Es war eine bemerkenswerte Frage, die Tilo Jung von „Jung & Naiv“ heute auf der Bundespressekonferenz stellte. Von Merkels Sprecherin Ulrike Demmer, einer früheren Focus-Kollegin von mir, wollte er wissen: „Frau Vick, Frau Demmer, mir geht es um die Rechtsextremisten-Demonstration am Samstag in Stuttgart, wo trotz Maskenpflicht keine Masken getragen wurden und wo die Presse angegriffen wurde. Unter anderem wurde ein SWR-Reporter mit Schottersteinen beschmissen. Ich würde gerne wissen, wie das Kanzleramt die Eskalation, die es dort wieder einmal gegeben hat, und die Tatsache, dass dort keine Masken getragen wurden, bewertet.“
Ich war selbst in Stuttgart vor Ort und ich habe nicht bemerkt, dass dort Journalisten mit Schottersteinen beworfen wurden. Vielleicht ist es mir entgangen. Wahrscheinlicher ist, dass Jung eine Szene meint, bei welcher der vermeintliche Stein möglicherweise auch nur ein geworfenes Ei war, und die ich von Anfang an beobachtet hatte (anzusehen hier). Ebenso habe ich persönlich keine offensichtlichen Rechtsextremen erkennen können in Stuttgart. Mag sein, dass als solche nicht erkennbare unter der fünfstelligen Anzahl von Teilnehmern waren. Erstaunlich allerdings, dass Herr Jung diese von Berlin aus besser erkannt haben will als ich und auch besser als Kollegen von den Öffentlich-Rechtlichen, die in der Kundgebung ebenfalls keine „Rechtsextremen-Demonstration“ sehen. Aber Herr Jung hat ja auch schon einmal Stalin, Mao und die DDR als „Rechte“ („rechter geht’s gar nicht“) bezeichnet. Er bedauerte das zwar später. Aber auf diese Idee muss man erst mal kommen. Und wenn man das tut, spricht das nicht unbedingt für eine Treffgenauigkeit bei der Diagnose politischer Richtungen.
Dass Tilo Jung also gewisse Schwierigkeiten mit der Richtungsbestimmung hat – geschenkt. Aber dass die Bundesregierung hier sofort anbeißt, statt etwa zu fragen, welche Demonstration er meint, ist der wirklich beunruhigende Part des Ganzen. Jemand mit offensichtlich radikalen linken Ansichten hebt das Stöckchen – und die Regierung springt darüber. Ob sie es eher aus Versehen tut oder gerne, oder man sich hier gar Bälle zuspielt, kann ich Ihnen nicht beantworten. Erschreckend ist es auf jeden Fall. Wie immer man zu den Corona-Protesten steht: Die Teilnehmer pauschal als Rechtsextremisten zu diffamieren ist nicht nur undemokratisch und dreist. Es ist auch eine gefährliche Relativierung von tatsächlichem Rechtsextremismus. Auch hier sei wieder dahingestellt, ob dies absichtlich geschieht oder ein Kollateralschaden im Eifer des Framing-Gefechtes ist.
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Bild: Youtube/Phoenix/Screenshot
Text: br