Sind die Toten von Solingen für den DFB nur Opfer zweiter Klasse? Selbstentlarvung durch Stillschweigen

Von Kai Rebmann

Schweigeminuten, Trauerflor und sonstige Bindchen aller Art sind für den DFB und seine Landesverbände längst zum Mittel der Wahl geworden, um die eigene Haltung zu demonstrieren – aber eben nur, wenn es „politisch korrekt“ erscheint. Ja, die Deutsche Fußball Liga (DFL), die nicht mit dem DFB zu verwechseln ist, „empfahl“ den Vereinen der Bundesliga und der 2. Bundesliga am vergangenen Wochenende das Tragen eines Trauerflors.

Aber wie sah es jetzt mit dem viel beschworenen Eintreten gegen Hass und Gewalt im Amateurfußball aus? Welche Zeichen der Solidarität mit den Opfern des islamistisch motivierten Terroranschlags von Solingen und deren Familien wurden auf den zehntausenden Sportplätzen in diesem Land sonst noch ausgesendet? Und vor allem: Wie verhielt sich das bei früheren Anschlägen mit vielen Toten und Verletzten?

Solidarität nur beim ‚richtigen‘ Täter-Opfer-Bild?

Den bis dato letzten großen Aufschrei gab es nach dem als „rechtsextrem“ gebrandmarkten Anschlag von Hanau (Hessen) im Februar 2020, als ein offenbar geistig verwirrter Täter mehrere Menschen mit Migrationshintergrund sowie seine eigene Mutter und schließlich sich selbst tötete. Fußball-Deutschland, zumindest der Amateurbereich, befand sich damals noch im Winterschlaf, die Vereine bestritten allenfalls mehr oder weniger belanglose Testspiele oder Hallenturniere.

Der DFB und seine Landesverbände ließen es sich aber freilich nicht nehmen, dennoch Stellung zu beziehen und das Ganze natürlich möglichst öffentlichkeitswirksam zu verpacken. Dr. Rainer Koch, damals DFB-Vize und Präsident des Bayerischen Fußballverbandes empfahl den Vereinen vor viereinhalb Jahren, „ein starkes Zeichen gegen Rassismus und für Toleranz, Vielfalt und Respekt zu setzen“ und bei den Spielen am Wochenende (damals 21. bis 23. Februar 2020) jeweils eine Schweigeminute abzuhalten und/oder Trauerflor zu tragen. Damit wolle man dem Beispiel des Hessischen Fußballverbandes bundesweit folgen, wie es hieß.

Nahezu alle Landesverbände sprangen auf diesen Zug auf und veröffentlichten entsprechende Stellungnahmen auf ihren Kanälen. Dr. Rainer Koch selbst ließ sich wie folgt zitieren: „Wir sind alle entsetzt darüber, dass vor unserer Haustüre Menschen ermordet werden, weil offenkundig Rassisten unter uns leben und uns mit Gewalt ihr Gesellschaftsbild aus Hass, Verachtung und Ausgrenzung aufzwingen wollen. Wir sind mit den Gedanken bei den Opfern und deren Angehörigen und solidarisieren uns mit allen Menschen, die ein klares Zeichen gegen jede Form des Rassismus setzen. Der Bayerische Fußball-Verband steht für null Toleranz bei jeder Form der Diskriminierung und Gewalt. Und wir sind mehr denn je gefordert, für unsere Werte ein- und auch für alle sichtbar aufzustehen.“

Beim Badischen Fußballverband hörte sich das auf Facebook so an: „Auch unsere Vereine im Amateurfußball können ein starkes Zeichen gegen Rassismus und für Toleranz, Vielfalt und Respekt setzen, indem sie bei ihren Spielen an diesem Wochenende zum Gedenken an die Opfer von Hanau eine Schweigeminute einlegen.“

Der Fußball- und Leichtathletikverband Westfalen auf seiner Homepage: „Die Gewalttat von Hanau am vergangenen Mittwoch, bei der nach einem rassistisch motivierten Anschlag zehn unschuldige Menschen ihr Leben verloren haben, hat Deutschland und die Welt tief erschüttert. Als gemeinsames Zeichen gegen Rassismus und für Toleranz, Vielfalt und Respekt bittet der Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen (FLVW) seine Vereine, an diesem Wochenende Schweigeminuten vor allen Meisterschaftsspielen einzulegen.“

Beim Berliner Fußballverband war zu lesen: „Der BFV bittet seine Vereine, vor den Spielen am Wochenende eine Gedenkminute für die Opfer von Hanau abzuhalten. Anlässlich des rassistisch motivierten Anschlags von Hanau, bei dem am vergangenen Mittwoch, den 19. Februar 2020 zehn unschuldige Menschen ihr Leben verloren, hat der Berliner Fußball-Verband entschieden, seine Vereine zu bitten, vor ihren jeweiligen Spielen am Wochenende (21. bis 23. Februar), eine Schweigeminute einzulegen, um den Opfern zu gedenken.“

Der Hamburger Fußballverband gab seinen Vereinen sogar einen empfohlenen Text vor, den sie zur Einleitung der Schweigeminute verlesen konnten: „Liebe Fußballfreunde, am Mittwoch haben bei einem rassistischen und rechtsgerichteten Anschlag in Hanau elf Menschen ihr Leben verloren. Wir sind angesichts der Gewalttat fassungslos und trauern um die Opfer. Unsere Gedanken sind bei deren Familien, Angehörigen und Freunden. Gemeinsam stehen wir für Toleranz, für Vielfalt und für Respekt. Rassismus und jegliche Form von Diskriminierung haben bei uns keinen Platz. Lasst uns bitte in diesem Moment in Stille der Opfer von Hanau gedenken.“

Und so weiter und so fort!

Lautes Schweigen nach dem Terror von Solingen

Sollte man da nicht erwarten, dass es jetzt ganz ähnliche Solidaritätsbekundungen hätte geben müssen? Zumal sich der Spielbetrieb – anders als im Februar 2020 – nicht in der Pause befand, sondern in allen Landesverbänden bereits wieder Liga- und/oder Pokalspiele auf Kreis- bzw. Verbandsebene stattfanden?

Aber: Von einem flächendeckenden, auch nur an annähernd vergleichbaren Schulterschluss im Gedenken an die Toten und zum Teil Schwerstverletzten in Solingen war im Amateurfußball heuer keine Spur. Weil das Täterprofil nicht ins politisch-ideologische Weltbild passt? Weil es schmutziges Wasser auf die „falschen“ Mühlen wäre, wo doch ausgerechnet jetzt drei wichtige und womöglich wegweisende Landtagswahlen im Osten anstehen?

Dabei kann Solingen jederzeit und überall sein. Über diese bittere Erkenntnis kann auch das (Ver-)Schweigen der ansonsten so kunterbunten Fußballverbände nicht hinwegtäuschen.

Bezeichnend: reitschuster.de hat exemplarisch in Baden und Bayern nachgefragt. Beide Verbände hatten im Februar 2020 Stellungnahmen zum Anschlag von Hanau abgegeben (siehe oben). Wir wollten jetzt wissen: „Weshalb hat der BFV im aktuellen Fall auf eine ähnlich gelagerte öffentliche Solidaritätsbekundung bzw. einen entsprechenden Appell an seine Vereine verzichtet?“

Beide Pressestellen, sowohl jene in Karlsruhe als auch die in München, ließen die reitschuster.de-Anfrage unbeantwortet. Das gleiche Bild also, wie es auf den Sportplätzen am vergangenen Wochenende zu sehen war: Statt andächtiger Schweigeminuten für die Opfer gab es dieses Mal nur ein Verschweigen, das in diesem Fall aber umso dröhnender wirkt!

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Shutterstock

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