Ein Gastbeitrag von Gregor Amelung
Nachdem sich Hanno Kautz am 10. Februar 2021 auf dem Wahrheit-o-Meter von Politifact.com mit einer völlig falschen Zahl eigentlich ein »Liar. Liar, pants on fire« verdient hätte, aber nicht ertappt worden war, war jetzt am 7. Juni das zweite Paar Hosen an der Reihe. Wieder war die Bundespressekonferenz Schauplatz. Wieder ging es um die Themen Todesfälle und Impfungen und wieder ging die Frage von Boris Reitschuster aus.
Reitschuster: »Eine Frage an Herrn Kautz. Laut dem Berliner Senat sind nach vollständiger Impfung, also zwei Wochen nach der letzten Impfung, 11 Personen an Covid-19 oder mit Covid-19 gestorben. Alle mit BioNTech geimpft. Und bei den Hospitalisierten gleiche Zahlen: 45 von 48 mit BioNTech geimpft. Erhebt der Bund auch solche Statistiken, um die möglichen Zusammenhänge herauszufinden? Danke.«
Kautz: »Ja, Sie wissen, dass wir das tun, Herr Reitschuster. – Das haben wir verschiedentlich an dieser Stelle gesagt: dass das PEI die Impfkampagne bewertet [und] wöchentlich dazu auch Zahlen veröffentlicht.«
Einmal »wöchentlich« im Monat – aha
Nun, es mag sein, dass das PEI (Paul-Ehrlich-Institut) solche »Zahlen« wöchentlich erhebt; vielleicht bekommt auch Herr Kautz diese erhobenen Zahlen wöchentlich auf seinen Schreibtisch, aber sie werden definitiv nicht wöchentlich veröffentlicht. Die sogenannten »Sicherheitsberichte« des PEI zu den »Verdachtsfällen auf Impfnebenwirkungen« erscheinen erstens unregelmäßig und zweitens im Moment eher im Rhythmus eines Monats.
Und »monatlich« ist nicht »wöchentlich«. In keinem Kalender auf diesem Planeten. Und damit war die zweite Hose abgefackelt.
Trotzdem hatte der Medienprofi mit seiner wahrheitswidrigen Behauptung der Frage des Journalisten natürlich den Wind aus den Segeln genommen und Boris Reitschuster so ausschauen lassen, als würde der entweder nicht richtig zuhören auf den Bundespressekonferenzen (»Sie wissen, dass wir das tun, Herr Reitschuster. – Das haben wir verschiedentlich an dieser Stelle gesagt.«) – und / oder als würde er wider besseres Wissen sachlich Falsches indirekt in seine Frage einflechten. Entsprechend lässig konnte Medienprofi Kautz abschließend erklären, dass er die »Zahlen des Berliner Senats jetzt hier nicht kommentieren« werde. Punkt.
Da half es nur wenig, dass der Journalist versuchte, mit seinem Berliner Zahlenmaterial nachzufassen: »Also Ihnen ist im Moment anhand dieser Zahlen – Sie sagen Sie haben die – ist Ihnen da bekannt, dass es da eine ähnliche Häufung gibt bundesweit? – Und wenn ja, was ziehen Sie daraus für Konsequenzen?«
Kautz: »Nein. Ist mir nicht bekannt.« – Kautz tat hier so und suggerierte damit auch Reitschuster sowie den anderen Journalisten, die direkt anwesend oder zugeschaltet waren, dass das PEI in seinen »wöchentlichen« Berichten auch Covid-19-Hospitalisierungen von Personen, die vollständig mit beispielsweise BioNTech geimpft worden sind, zahlenmäßig erfassen und veröffentlichen würde.
Dem Autor dieser Zeilen ist so etwas in den »Sicherheitsberichten« des PEI bisher nie aufgefallen. Solch ein Bericht wäre eigentlich auch kein »Sicherheitsbericht« zu den eingesetzten Covid-19-Vakzinen, sondern eher ein detaillierter »Wirksamkeitsbericht«. Aber auch so einen Bericht hat der Autor noch nie gesehen, weder vom PEI noch vom Robert-Koch-Institut. Und falls der Autor nun nicht irgendwo im üppigen Informationsangebot von Kautz’ Arbeitgeber diese ganz spezielle Berichtform übersehen haben sollte, stünde entweder Hanno Kautz’ dritte Hose in Flammen oder die zweite würde deutlich heißer verbrennen. Je nach Lesart.
Und damit zurück in die Bundespresskonferenz, wo sich im selben Moment – also direkt nach Kautz’ »Nein. Ist mir nicht bekannt.« – Regierungssprecher Seibert einschaltete, um Boris Reitschuster Folgendes zu erklären:
»Zunächst mal sind Sie es ja auch, der behauptet, dass es da einen inneren Zusammenhang mit der Impfung gibt.«
Daraufhin gestikuliert Reitschuster mit den Händen »Nein«.
Seibert: »Doch. Genau das tun Sie.«
Reitschuster: »Nein, hab’ ich nicht.«
Seibert: »Gut. – Menschen sterben und auch geimpfte Menschen können sterben. Und es ist jedem Verdachtsfall nachzugehen und das wird ja genau vom PEI auch gemacht und auf europäischer Ebene von den anderen Instituten. Ob ein Fall tatsächlich kausal zusammenhängt mit der Tatsache, dass der Verstorbene vorher geimpft war.«
Damit deckte Steffen Seibert Kautz’ Falschinformation, dass das, was von PEI »gemacht wird«, »wöchentlich« veröffentlicht wird, anstatt sie richtigzustellen. Oder aber Seibert war über die Sicherheitsberichte des Paul-Ehrlich-Instituts überhaupt nicht im Bilde, was in der größten Impfkampagne, die Deutschland je gesehen hat und angesichts der Lehren aus den potentiell tödlichen Sinusvenenthrombosen bei dem Vakzin von AstraZeneca eigentlich nicht vorstellbar ist.
Seiberts fehlerhafte Darstellung der EMA-Daten
Somit hatte sich nun auch der Aggregatzustand von Seiberts Hose verändert. Von kalt zu warm. Zusätzlich war es irreführend von Merkels Sprecher, zu erklären, die Überwachung der Verdachtsfälle auf Impfnebenwirkungen würde vom PEI und »auf europäischer Ebene« durchgeführt. Grund hierfür ist, dass die »auf europäischer Ebene« zuständige EMA (European Medicines Agency) überhaupt nicht die Daten dafür hat, um zu tun, was sie laut Seibert tut. Wahrscheinlich werden Rauchzeichen zur Kommunikation zwischen dem PEI und der EMA benutzt, was dazu führt, dass in den Datensätzen der EMA tausende von »Verdachtsfällen auf Nebenwirkungen« aus Deutschland schlichtweg nicht vorhanden sind.
Die EMA-Daten zu BioNTech-Nebenwirkungen in Deutschland waren zum Zeitpunkt von Seiberts Erklärung gerade mal auf dem Stand von Ende März. Oder anders gesagt: Die EMA hat lediglich ein Drittel der deutschen Daten. Und deshalb kann auf »auf europäischer Ebene« unmöglich »jedem Verdachtsfall« nachgegangen werden, wie Seibert es der Öffentlichkeit hier mitteilte. Womit sich der Temperaturzustand seiner Hose dem von heiß angenähert hatte. In Flammen wie bei seinem Kollegen Kautz standen Steffen Seiberts Hosen allerdings nicht. Und sie gingen auch in der Folge nicht in Flammen auf, auch wenn sie durch Seiberts Exkurs, »ob ein Fall tatsächlich kausal zusammenhängt mit der Tatsache, dass der Verstorbene vorher geimpft« wurde, schon noch ein paar Grad zulegten.
Irreführender Exkurs zu den PEI-Meldungen
Es ist nämlich irreführend, so zu tun, als gäbe es bei den »Verdachtsfällen auf Impfnebenwirkungen« keinerlei kausale Nähe, sondern nur einen rein temporalen Zusammenhang. Selbst das Paul-Ehrlich-Institut widerspricht dem, denn es schreibt unter »Methodik« in seinen Berichten: »Ärztinnen und Ärzte sind gesetzlich verpflichtet, Impfkomplikationen, d.h. gesundheitliche Beschwerden, die über das übliche Ausmaß einer [normalen / erwünschten] Impfreaktion hinausgehen und nicht evident auf andere Ursachen zurückzuführen sind, namentlich dem zuständigen Gesundheitsamt zu melden…«
Die Betonung liegt hier auf: »nicht evident« auf andere Ursachen zurückzuführen. Eben deshalb ist es irreführend, wenn Steffen Seibert hier den Eindruck vermittelt, als wären die dem PEI gemeldeten »Verdachtsfälle« lediglich zeitlich assoziiert, indem er einleitend formuliert hatte: »Menschen sterben und auch geimpfte Menschen können sterben.«
Das ist so wohl wahr. Trotzdem stolpert kein Mensch einfach so in die PEI-Statistik hinein, lieber Herr Seibert, nur weil er um 16 Uhr im Impfzentrum war, um 17 Uhr nebenan eine Bratwurst gegessen hat und sich um 23 Uhr mies fühlte. Egal ob er im selben Moment tot umfällt oder sich lebendig zum Arzt schleppt. Bevor er in der PEI-Statistik reinkommt, werden andere Ursachen für sein Totumfallen und / oder Miesfühlen ausgeschlossen. Und aus eben dieser Ausschlussprüfung ergibt sich eine kausale Nähe zur Impfung im Sinne eines begründeten kausalen Anfangsverdachts. Ein reines »Sterben«, wie es Steffen Seibert in der Bundespressekonferenz beschreibt, reicht als Eintrittskarte in die PEI-Statistik nicht aus.
Die »vierte Gewalt« übt ihre Kontrollfunktion nicht aus
Und damit ein letztes Mal zurück in die Bundespressekonferenz, in der sich Boris Reitschuster noch ein kurzes Rededuell mit dem Vorsitzenden lieferte, weil der ihm im Zwiegespräch mit Seibert das Mikrofon abgedreht hatte. Anschließend ergriff Regierungssprecher Seibert erneut das Wort und manifestierte noch mal kurz das, was er zuvor gesagt hatte. Dann war ein neuer Fragesteller an der Reihe und Hanno Kautz hatte ein weiteres Mal mit mindestens einer Unwahrheit Medien und Öffentlich vortrefflich »dirigieren« können.
Wesentlich bedenklicher als dieses »Dirigieren« und Informieren mit Halb- und Unwahrheiten ist allerdings, dass die Medien in der Breite solchen Falschaussagen nicht nachgehen und so ihre Kontrollfunktion als »vierte Gewalt« im Staat nicht ausüben. Das ist der eigentliche Skandal. Nicht die verkohlten Hosen von Hanno Kautz.
Lesen sie auch Teil 1 dieser Geschichte – hier.
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Der Autor ist in der Medienbranche tätig und schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Boris Reitschuster
Text: Gast
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