Staatsrat in Belgien kippt Corona-Beschlüsse der Regierung Kulturhäuser und Kinos dürfen wieder öffnen

Von Daniel Weinmann

Was hierzulande wegen der extrem ausgeprägten Obrigkeitsgläubigkeit kaum denkbar erscheint, führte in Belgien zum Einknicken der Regierung. Die Bürger gingen für die Kultur auf die Straße, belgische Schauspieler, Künstler und Kinobetreiber wehrten sich massiv gegen die Entscheidung der Regierung, Kinos und andere Kulturzentren zu schließen.

Es mutete absurd an, als am Mittwoch vergangener Woche das mit der deutschen Ministerpräsidentenkonferenz vergleichbare Corona-Koordinierungskomitee unter Regie von Premierminister Alexander De Croo seine neuen Maßnahmen verkündete. Kinos, Theater und Konzerthäuser mussten schließen, um die Omikron-Variante einzudämmen – trotz der Einschätzung des wissenschaftlichen Ausschusses, der der Regierung nahelegte, dass diese Einrichtungen kein zusätzliches Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellen.

Der Brüsseler Epidemiologe Marius Gilbert, eine belgische Autorität in Sachen Corona, sprach von einem „totalen Vertrauensbruch“ zwischen Wissenschaft und Politik, von einem politischen Kuhhandel, der den sozialen Zusammenhalt gefährde.

Die Reaktion folgte prompt: Am zweiten Weihnachtstag protestierten in Brüssel rund 15.000 Kulturschaffende, Theatermacher und Veranstalter, die um ihre Existenz fürchten müssen. Trotz des Verbots öffneten Kinobetreiber ihre Türen, während Betreiber von Jazzclubs und Theaterhäusern ankündigten, die Corona-Maßnahmen zu ignorieren. Der Dachverband des Sektors hielt die Maßnahme für unbegründet, ungerecht und unverhältnismäßig und hatte zusammen mit mehreren Kultur- und Rechtsgruppen beim belgischen Staatsrat Einspruch erhoben.

Staatsrat: Beschlüsse sind nicht verhältnismäßig

Auf wenig Verständnis fiel der Vorstoß der Regierung auch beim Brüsseler Bürgermeister. Er denke nicht daran, die örtliche Polizei für Kontrollen zu alarmieren. Ähnlich sah es ein hochrangiger Vertreter der Staatsanwaltschaft, der sagte, seine Behörde habe Besseres zu tun, als solche Verstöße zu verfolgen. Bénédicte Linard wiederum, grüne Kulturministerin der französischen Sprachgemeinschaft, beharrt darauf, es sei nicht ihre Aufgabe, die Kulturschaffenden zur Einhaltung der Regeln zu ermahnen. Sie werde keinesfalls Veranstaltern die Subventionen streichen, die sich nicht an die Verbote hielten.

Nur zwei Tage später, am vergangenen Dienstag, kippte der belgische Staatsrat, der vergleichbar mit einem obersten Verwaltungsgericht in Deutschland ist, die befremdenden Regierungsbeschlüsse. Neben den Kulturhäusern dürfen auch die Kinos wieder öffnen. Im Urteil heißt es, die Schließung von Kultureinrichtungen und Veranstaltungen, die ein Hygienekonzept und Abstandsregeln einhalten können, sei nicht verhältnismäßig.

Der Politikwissenschaftler Carl Devos kommentierte die Entscheidung des Gerichts so: „Das Urteil des Staatsrates ist an sich nicht überraschend, denn die Maßnahmen waren übertrieben. Andererseits ist das Urteil doch überraschend, denn es ist außergewöhnlich, dass der Staatsrat die Politik derart zurückpfeift.“

Nach dem Kultursektor reichten nun die Betreiber der Kegelbahnen und der Bowlingcenter Klage vor dem Staatsrat ein. Auch die Sportwelt erwägt diesen Schritt. Nicht nur belgische Polit-Beobachter fragen sich: Ist die Politik in Belgien jetzt angezählt?

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: Alexandros Michailidis/Shutterstock
Text: dw

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