Stacheldraht statt Deutscher Einheit Wenn Putin gesagt hätte „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“

Ein Gastbeitrag von Gunter Weißgerber. Weißgerber war Redner der Leipziger Montagsdemonstrationen 1989/90, Mitbegründer der Ost-SPD, Mitglied der freigewählten Volkskammer 1990, Mitglied des Deutschen Bundestages 1990–2009.

Mit Geschichte spielen? Warum nicht. Angenommen statt Gorbatschow wäre Putin 1989 der sowjetische Führer gewesen. Was wäre anders gelaufen? Einfach alles wäre anders. Glasnost und Perestroika hätte es nicht gegeben, das Sputnik-Verbot ebenso wenig. Von der Sinatra-Doktrin statt der Breschnew-Doktrin ganz zu schweigen, friedliche und samtene Revolution hätten nicht stattgefunden. Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl statt Deutscher Einheit in Freiheit und Sicherheit der NATO. Die baltischen Staaten, die Ukraine wären noch sowjetische Kolonien wie die DDR samt ihren mittelosteuropäischen Leidensgenossen. Miklos Nemeth wäre im März 1989 nicht nach Moskau geflogen, um Putin zu sagen, dass Ungarn die Grenzzäune zu Österreich und Jugoslawien abbauen, ein Mehrparteiensystem und freie Wahlen zulassen wird – im Gegenteil, Putin hätte die Grenzanlagen erneuern lassen, so wie es geplant war. Massenfluchten in die deutschen Botschaften nach Prag, Budapest und Warschau hätte es ebenso wenig gegeben wie die zehntausenden DDR-Bürger im ungarischen Sommer 1989.

Zwei historische Kipp-Punkte lohnen der genaueren Betrachtung. Gorbatschows Satz vom Zuspätkommen und der darauffolgenden Bestrafung durch das Leben sowie der 9.Oktober 1989 in Leipzig.

Putin zeigte 2014 auf dem Maidan und mit seinem Einmarsch in die Ukraine, wie er mit Freiheitsbestrebungen umgeht.

Putin hätte Gorbatschows Satz vielleicht auch gesagt, jedoch auf putinsche Art und Weise vervollständigt:

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben und wir kommen niemals zu spät. Wir sind wachsam. Ich habe deshalb die OMON-Truppen angewiesen, der Westgruppe unserer Streitkräfte den Rücken für die Unterstützung von Volkspolizei, Nationaler Volksarmee, Bereitschaftspolizei, Kampfgruppen der Arbeiterklasse, der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) und allen Kommunisten und wachsamen Revolutionären in der DDR in ihrem Kampf gegen die Faschisten und Konterrevolutionäre der sogenannten Basisgruppen und der sogenannten Umweltbibliothek wirksam beizustehen. Die DDR-Bevölkerung muss in Filtrationslagern gesäubert und dem Fortschritt wieder zugeführt werden! Wir schaffen das gemeinsam wie 1953, 1956 und 1968 gegen die faschistischen Konterrevolutionen in der DDR, Ungarn und der CSSR. Mit uns zieht immer die neue Zeit.“

Den 9. Oktober 1989 hätte Putin im Blut erstickt. Siehe seinen mörderischen Versuch in der Ukraine 2022. Putin hätte Krenz‘ Drohung mit der chinesischen Lösung als Hilferuf wie 1968 in die CSSR empfunden. Den friedlichen Charakter von Friedensgebet und anschließender Demonstration hätten Provokanten der Geheimpolizei gestört, die Staatsmacht hätte sich zum Eingreifen genötigt gesehen, auch weil plötzlich Waffen in den Reihen der Demonstranten rein zufällig entdeckt worden wären. Auch Schüsse hätte es durch Demonstranten auf Demonstranten wie fünfundzwanzig Jahre später auf dem Maidan gegeben. Die Drehbücher liegen seit den Zaren- und Lenin-Stalin-Zeiten in Moskaus Archiven. Wahre Schätze sind das für wachsame Antifaschisten.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Gunter Weißgerber war Montagsdemonstrant in Leipzig, Mit-Gründer der Ost-SPD und saß dann 19 Jahre für die SPD als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. 2019 trat er aus der Partei aus. Der gelernte Bergbauingenieur ist heute Publizist und Herausgeber von GlobKult. Im Internet zu finden ist er unter www.weissgerber-freiheit.de.

Bild: Shutterstok

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