Von Alexander Wallasch
Während die großen etablierten Printhäuser und ihre Online-Dependancen vielfach in der Kritik stehen, zu so etwas wie Staatsmedien zu mutieren, ist auf dem Nebengleis ein reines Online-Pflänzchen ausgewachsen, das diesen Häusern auch noch darin mächtig Konkurrenz macht. Die Rede ist von T-Online.
Eine Twitter-Nutzerin Brigitte schreibt zu einem geteilten Beitrag des Portals: „T-online fällt mir schon seit Jahren sehr negativ auf. Wegen dieser Nachrichten wollte ich mal fast meinen ‚Vertrag‘ kündigen. Dann habe ich beschlossen, den Stuss zu ignorieren.“ Aber kann oder sollte man diesen „Stuss“ einfach ignorieren?
Vom emotional geprägten Teil der Meinungsäußerung abgesehen, könnte man diese Kritik an einer Personalie festmachen: Chefredakteur des Newsportals ist seit 2017 der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Florian Harms. Und Harms hat demnach einfach seine ausgelatschten Schuhe bei T-Online weitergetragen.
Zwei Artikel fallen aktuell besonders auf: Zum einen ein T-Online-Bericht, der Kritik am mRNA-Impfen abbügeln soll, und zum anderen ein Artikel, der Querdenker und „Corona-Leugner“ im Staatsdienst lokalisiert haben will.
Die Autorin von „Die drei größten Impfmythen – und was an ihnen dran ist“ schreibt in ihrer Vita: „Bei t-online.de lerne ich nun seit September 2019 eine neue Facette des Journalismus kennen.“ Das darf man ihr sofort glauben.
Einer der angeblichen drei Mythen, die Sandra Simonsen – so heißt die Autorin – hier auflistet, soll exemplarisch herausgegriffen werden: Es geht um die Frage, ob Impfstoffe Langzeitschäden verursachen können. Also um eine Anknüpfung an Josuha Kimmichs Kritik und beispielsweise die von Sahra Wagenknecht zuletzt bei Anne Will.
Für T-Online sind die Langzeitschäden längst von „zahlreiche(n) Experten“ entkräftet. Nicht von allen? Aha. Wissenschaft arbeitet aber nicht demokratisch. Das ist die falsche Kategorie. Es gibt hier keine Mehrheitsentscheidungen, die alles andere negieren.
Langzeitnebenwirkungen der mRNA-Impfungen
Zur Sache: Zitiert wird der Chef des Paul-Ehrlich-Institutes, der gegenüber ZDF gesagt hat: „Langzeit-Nebenwirkungen, die erst nach Jahren auftreten, sind bei Impfstoffen generell nicht bekannt.“
Hier schon das erste, ganz große Missverständnis: Kritik richtet sich nämlich vielfach nicht gegen das Impfen ansich, sondern explizit gegen die neuartigen mRNA-Impfstoffe. Hier werden also Äpfel mit Birnen verglichen. Oder gar Kirschen mit Melonen – um das von vielen befürchtete Risiko plakativer ins Bild zu setzen.
Ein weiterer T-Online-Artikel, der sich mit „Corona-Leugnern im Staatsdienst“ beschäftigt, ist hier ebenso auffällig. Denn er beginnt schon im Titel mit einer falschen Voraussetzung, die sich allerdings hartnäckig hält: Die Gleichsetzung von Corona-Leugnung mit Kritik an den Corona-Maßnahmen inklusive den Impfkampagnen der Bundesregierung.
Wo nur ein verschwindend geringer Teil der Kritiker die Existenz des Virus komplett bestreitet, ist diese T-Online Schlagzeile irreführend bzw. sie will eine Corona-Maßnahmenkritik gezielt diffamieren.
Besonders schäbig
Auslöser ist wohl der Fall Atilla Hildmann, der Extremist soll Tipps aus einer Behörde bekommen haben. Nichts Genaueres weiß man, in der Sache wird noch ermittelt, aber T-Online nutzt die Gelegenheit, gleich mal in Behörden die Büros auszufegen – das ist im weiteren Verlauf des Artikels deshalb besonders schäbig, weil das Nachrichtenportal damit gleich alle nachdenklichen Beamten unter Verdacht stellt, Hildmann nahezustehen bzw. laut Überschrift ebenfalls „Corona-Leugner“ zu sein.
Hier werden auch keine Fragen mehr gestellt, hier will das Portal vor einer angeblich großen Gefahr warnen. Die Bebilderung des Artikels transportiert die Diffamierung weiter: Gezeigt wird eine Frau, die ein Grundgesetz hochhält. Also jemand, der gegen die Einschränkung desselbigen durch die Corona-Maßnahmen protestiert und eben kein Schild in die Luft hält, worauf beispielsweise steht: „Ätsch: Corona ist nur erfunden!“
Das Nachrichtenportal zitiert MdL Nico Weinmann (FDP), der seine baden-württembergische Landesregierung konkret gefragt hatte, wie das denn aussehe mit „Querdenkern“ im Staatsdienst.
Die Antwort gibt klar eine Entwarnung: Nur „sechs bekannte Fälle, meist ohne Konsequenzen.“ Der Artikel wäre an der Stelle zu Ende, die These weggebrochen – interessiert T-Online aber nicht. Das Portal zitiert lieber den ländlichen Liberalen, der sich mit der Antwort nicht zufriedengibt und weiter gegen kritische Beamte trommelt: „Sie setzen sich durch die Verbreitung von Verschwörungsideologien in Widerspruch zu der politischen Treuepflicht gegenüber dem Staat.“
Beobachtung durch den Verfassungsschutz als Legitimierung für was?
Und dann wird’s richtig haarig: Denn wo der Staat eine bestimmte regierungskritische Haltung unterdrücken will, lockt die Einstufung so einer Haltung und ihrer Protagonisten als Beobachtungsfall durch den Verfassungsschutz, damit hat man dann nicht nur die Beobachteten mundtot gemacht, man bindet automatisch der gesamten deutschen Beamtenschaft einen Maulkorb um – von den Verwaltungen bis hinüber zur verbeamteten Polizei.
Wird nämlich eine Haltung unter Verdacht gestellt, verfassungsfeindlich zu sein, dann riskiert der Beamte seinen Status bzw. seine Pension.
T-Online scheut sich dabei nicht, diese junge Polizeibeamtin mit ihrem Herz zu zitieren, das sie auf einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen mit den Fingern für einen Fotografen formte und das durch die Medien ging.
Der Indizienprozess des Nachrichtenportals T-Online gegen die deutschen Beamten geht weiter zu einem Polizisten, der in Uniform ein Schild hochhielt, er wolle sich nicht am Faschismus beteiligen, bis hin zu einer Gruppe ehemaliger und noch aktiver Polizisten, die „Polizisten für Aufklärung“ gegründet hätten.
Postwendend übrigens hatte Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) diese Gründung bereits folgendermaßen kommentiert: „Diese Gruppierung steht wirklich für überhaupt nichts von dem, wofür unsere Polizistinnen und Polizisten täglich arbeiten und einstehen.“
T-Online weiter
„Die bekanntesten Corona-Leugner unter den Polizisten sitzen aber im Bundestag.“ Gemeint sind hier natürlich Vertreter der AfD. Dass dort in der Opposition allerdings kein einziger Abgeordneter sitzt, der aktiv COVID-19 bestreitet (leugnet), interessiert T-Online überhaupt nicht. Ebenso, wie die Autoren unter ihrem Ex-Spiegel-Chefredakteur die eigentliche Aufgabe einer Opposition nicht mehr begreifen: Die besteht nämlich darin, die Maßnahmen der Regierung zu kritisieren. Demokratie funktioniert genau so.
Hausdurchsuchungen bei unabhängigen Richtern? Für T-Online irgendwie schon okay: „Inzwischen haben auch Bundesgerichte entschieden, dass seine Rechtsauslegung abwegig war.“
Und das Portal schreibt es ja selbst:
Als in Stuttgart die Polizeikette bei einer verbotenen Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen durchbrochen wurde, war in der ersten Reihe ein Mitarbeiter des Landesgesundheitsamtes Baden-Württemberg dabei. Der Mann gehörte dem Organisationsteam von „Querdenken-711“ an, deren Köpfe inzwischen vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Hauptargument hier die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Mehr braucht es nicht mehr: Argumente und vernünftige Recherchen sind zweit- und drittangig geworden, die inhaltlich schon falsch gesetzte Artikelüberschrift spiegelt die These.
Interessante Frage in dem Zusammenhang: Versteht sich T-Online eigentlich selbst noch im journalistischen Sinne als Vierte Gewalt? Ist man in der Redaktion noch gewillt, durch Berichterstattung und öffentliche Diskussion das politische Geschehen zu beeinflussen? Oder geht es nur noch darum, Regierungspolitik wohlwollend zu begleiten und Opposition zu verunglimpfen?
Sätze im Artikel, die man sich immer wieder aufsagen muss, um nicht zu vergessen, wie hier ein sich seriös gebendes Nachrichtenportal agiert, das im Sound an die Kassiber einer IM-Agentin erinnern könnte:
Regelmäßig bringen „Querdenker“ Staatsbedienstete mit Vorlagen in Versuchung, die mögliche Gleichgesinnte im öffentlichen Dienst zu geneigten Entscheidungen animieren könnten.
Zurück zur Überschrift des Artikels: „So groß ist die Gefahr durch Corona-Leugner in Behörden“. T-Online gibt die Antwort im hinteren Teil des Artikels selbst: „Sind das Einzelfälle – oder haben Deutschlands Behörden ein systemisches Problem mit Corona-Leugnern und -Skeptikern in ihren Reihen? Die Frage ist kaum zu beantworten.“
Amüsant auch, dass die beiden ausführenden Redakteure an einer Stelle zudem anzeigen, zwar verstanden zu haben, dass „Corona-Leugner“ doch arg falsch ist, sie also „-skeptiker“ anfügen. Aber auch das ist leider inhaltlich falsch: „Corona-Skeptiker“ ist die kleine Schwester der Corona-Leugner, die überwiegende Mehrheit der Demonstranten und Kritiker sind aber Corona-Maßnahmen-Kritiker. Das ist nicht so schwer zu verstehen, es muss hier also Vorsatz bestehen.
Und weil dann zuletzt alles in eine ganz andere Richtung weist, als es die These des Artikels verkaufen wollte – nein, der Staat wird nicht von innen ausgehöhlt, jedenfalls nicht von Corona-Maßnahmen-Kritikern –, weil der Artikel selbst die Eingangsthese nicht bestätigt, wird in der Not ein weiterer Zeuge aufgerufen. Und das ist dann ausgerechnet „Niklas Schrader, Innenpolitiker der Berliner Linkspartei, die in Berlin mitregiert“.
In dem Moment ist T-Online dort angekommen, wo man es heute verorten muss, das ist die politische Heimat von T-Online unter dem ehemaligen Chefredakteur des linkspopulistischen Spiegel.
Ach ja, ein paar ziemlich armselige Polizisten hatten am Rande einer Querdenken-Demo Liegestütze am Holocaust-Mahnmal gemacht. Damit endet der Artikel von T-Online – demnächst also der Folgebericht: Antisemitismus unter Beamten. Man darf auf die nächste überwältigende Rechercheleistung dieser Redaktion gespannt sein.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Text: wal