In 16 Jahren als Korrespondent in Russland habe ich eine tiefe Abneigung entwickelt gegen Journalisten, die ihre Regierung loben. Und genau die kam heute in mir sofort hoch, als mir ein in Berlins Politik bestens vernetzter, ausländischer Freund gerade einen Artikel schickte, mit dem Kommentar „Vorbereitung für Merkels fünfte Amtszeit“. Der Artikel stammt vom Chefredakteur von T-Online, dem früheren Chef von Spiegel Online, Florian Harms. Als ich ihn öffnete, war mein erster Gedanke: Das kann nur Satire sein. Ist es aber nicht. Voila:
Mir hat es die Sprache verschlagen. Ich tue mich schwer, anständige Worte für so etwas zu finden. Bewegen wir uns in Richtung Nordkorea? Auf Anhieb fällt mit jedenfalls kein anderes Land ein, in dem „Journalisten“ Staats- oder Regierungschefs mit derartigen Vergleichen bauchpinseln. Selbst in Russland ist das Lob Putins zumindest im Staatsfernsehen heute in der Regel weniger plump und dezenter. Wenn man sich dann den Linktext anschaut, wird es noch bunter: „angela-merkels-aussenpolitik-die-kanzlerin-ist-ein-licht-in-der-finsternis.“
Ein guter Freund von mir ist ein alter Diplomat, war jahrelang deutscher Botschafter in verschiedenen Ländern, stand immer der SPD nahe. Seine Bilanz von Merkels Außenpolitik ist vernichtend: Sie habe die drei Säulen, auf denen Deutschlands Sicherheit seit dem Zweiten Weltkrieg gründete, fast zerstört – NATO, EU und OSZE, und Deutschland sei so isoliert wie seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr, so das Fazit des altgedienten Diplomaten im Ruhestand. Im Osten ist Merkel verpönt, der Brexit ist in vielem Folge von ihrer Politik, die US-Regierung schüttelt den Kopf über die Kanzlerin, Franzosen, Italiener ebenso. Deutschlands Westbindung ist unter ihr faktisch ebenso gefährdet wie die gute Nachbarschaft mit dem Osten und den anderen EU-Ländern.
Und was schreibt T-Online-Chefredakteur Harms, dessen Redaktion inzwischen riesige Reichweite hat? Ein Heiligenbildchen in Textform. Da steht unter anderem: „Die Kanzlerin hingegen erscheint derzeit als die einzige Außenpolitikerin von Rang und Format, sie bringt wenigstens kleine Hoffnungsschimmer in die Finsternis.“ Und weiter: „In der Ruhe liegt die Kraft. Das ist durchaus ein Lichtblick.“
In Harms Text ist – also Zitat, aber das macht es nicht besser – von einem englischen Premierminister die Rede, der sich in eine Kakerlake verwandelt und das Land mit Lügen, List und Bosheit ins Chaos stürzt. Spätestens an dieser Stelle ergriff mich das blanke Entsetzen. Ein deutscher Chefredakteur, in dessen Text ein britischer Premier mit einer Kakerlake verglichen wird? Man denkt da an eine andere Epoche in der deutschen Geschichte.
Wie tief kann Journalismus noch sinken? In solchen Momenten schäme ich mich für meinen Berufsstand. Das hat nichts mehr mit Journalismus zu tun. Und besonders schlimm: Es fällt offenbar vielen nicht mehr auf.
P.S.: Ich weiß nicht, ob Chefredakteur Harms bibelfest ist – wenn ja, dann müsste ihm aufgefallen sein, dass er mit seiner Beschreibung Merkels auf ein Bild Gottes im Johannes-Evangelium zurückgreift: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch dasselbe entstanden; und ohne dasselbe ist auch nicht eines entstanden, was entstanden ist. In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen. “
P.P.S.: Ein Kommentar zu diesem Artikel auf twitter – in der Tat merkwürdig, wenn ein Chefredakteur gleichzeitig Co-Geschäftsführer ist. Früher war die Trennung von Redaktion und Verlag einmal heilig – aus gutem Grund.

Bilder: Blubberfish/Pixabay
Ich hatte noch nicht zu Ende gelesen ... da viel mir schon das Frühstück aus dem Gesicht.
Erinnert mich irgendwie an "Der Pate"
Es gibt im deutschen Sprachgebrauch einen passenden Ausdruck: Arschkriecher.
Eine derartige Lobhudelei war selbst in der DDR eher selten. Ich erinnere mich aber an den Personenkult in Rumänien. Seinerzeit erkannten die Speichellecker dort im Diktator Ceausescu ebenfalls so etwas wie die aufgehende Sonne des anbrechenden Morgens, das Licht in
weiterlesenIch war nie so toll in Mathe. Aber durch die derzeitige Entwicklung des Wahnsinns, in den Deutschland und der Rest der Welt getrieben wird, habe ich die exponentielle Gleichung endlich verstanden. Und noch so einiges anderes. Danke, Mutti. PS: Es
weiterlesenNoch vor 10 Jahren hätte es jeder für absurd gehalten, daß sich deutsche Medien mal in Richtung eines nordkoreanischen Niveaus entwickeln würden.
„Drei konzentrische Kreise“ und in der „Mitte ruht die Kraft“. Was für ein gequälter Schmus. Es tut einem das Papier (der Bildschirm) leid, solche sprachlichen Entäußerungen ertragen zu müssen. —- In der römischen Literatur gibt es die Panegyrici Latina, das
weiterlesenEs scheint nicht nur der Rahmen zu sein, auch die Datenbasis wird von den Merkelmedien gerne verschwiegen. Ich zum Beispiel habe heute Morgen am Frühstückstisch eine ähnlich lautende Umfrage gemacht und Frau Merkel erreichte glatte 100% an Ablehnung. Ich hatte
weiterlesenEs ist traurig wenn schlechte Vorahnungen sich erfüllen. Vor gut 40 Jahren führte ich oft interessante Gespräche mit meiner Großmutter, die den Kaiser, zwei Weltkriege, Hungersnöte, Wirtschaftswunder und den Mauerfall bewusst erlebte. Zwei große Themen sind mir hängen geblieben. Sie
weiterlesenIhre Großmutter war eine sehr kluge Frau!!
Das war sicherlich Satiere, anders kann ich Herrn Harms Worte nicht deuten.
Wenn man seine Leute in den Chefetagen von Funk, Fernsehen und anderen Medien postiert ,( siehe Tochter von Schäuble) ist es doch kein Wunder das sowas passiert !Willkommen in der Deutschen Demokratischen Republik 👋
Bei Harms sollten mal die alten Stasileute in die Lehre gehen. Dann haben sie bald wieder ihre DDR zurück. T-online ist echt das Unterste des Menschlichen, aber der Gipfel der Volksdemagogie.
Richtig! Für die Finsternis ist Sie das Licht! Es ist nicht die Rede davon, dass sie lichtvoll ist. Für die, der Dunkelheit, ist sie hier eine Kraft. Der Fairnesshalber: Sie spricht! Sie sagt sowohl der Einen als auch der anderen Seite, was
weiterlesenSchicken wir ihm einen großen Topf Vaseline ... Er spricht wahrscheinlich von der "Lichtbringerin", so wird ein Schuh daraus. Strickt euch mal was daraus: Merkel/Demokratischer Aufbruch/Horst Kasner/Wolfgang Schnur/Lothar de Maizière+Fam./evgl.Kirche/Wolfgang Schäuble/Helmut Kohl/CDU-Spendenaffäre/Kanzlerschaft widerlich, gefährlich
weiterlesenNun, vor mehr als 30 Jahren überwand ich den da damaligen ‚Antifaschistischen Schutzwall‘, um genau diesen Umständen zu entkommen. Jetzt gehe ich in den Osten und ein bisschen weiter. Grotesk. Viele Grüße aus Moskau.