Wladimir Putin hat es seinen Verteidigern noch nie leicht gemacht. Etwa 2014, als er behauptete, die uniformierten Kämpfer auf der Krim seien keine russischen Militärs. Viele im Westen glaubten das und verteidigten ihn deshalb – bis er kurz darauf selbst stolz verkündete, dass seine Sondereinsatzkommandos auf der Krim im Einsatz waren. Den Einsatz rechtfertigte er mit einem Hilfeersuchen des später gestürzten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch – um dann später seinen Pressesprecher Dmitrij Peskow, mit dem ich aus alten Zeiten noch per Du bin, verkünden zu lassen, den Brief habe es nie gegeben. Bis kurz vor dem Einmarsch in die Ukraine beteuerte Putin, Berichte, er plane einen solchen, seien westliche Propaganda.
Jetzt hat Putin in Sachen Ukraine-Krieg einen ähnlichen Kurswechsel vollzogen und fällt seinen Verteidigern voll in den Rücken. Doch die großen deutschen Medien schweigen entweder oder vermelden die Nachricht nur im Kleingedruckten – obwohl sie eigentlich auf die Titelseiten gehörte und Bundeskanzler Olaf Scholz wie die Putin-Verteidiger vom Dienst völlig brüskiert. „Russland hat keine Probleme mit Finnland und Schweden, die beabsichtigen, der NATO beizutreten“, erklärte Putin am 16. Mai auf dem Gipfel der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit in Moskau, wie keine andere Quelle als die quasi amtliche russische Nachrichtenagentur RIA übertrug.
Das ständige Gerede von den Ängsten Russlands, von der Bedrohung durch die vermeintliche Einkreisung des Landes durch die NATO – alles zerplatzt wie eine Seifenblase durch die Aussage von Putin, er habe kein Problem mit der Erweiterung des westlichen Bündnisses. Doch das ist noch der schwächere Tobak im Vergleich zu dem, was Peskow hinzufügte – der inzwischen einer der engsten Vertrauten Putins ist und dessen Aussagen als Aussagen seines Chefs gewertet werden können.
Was Peskow sagte, ebenfalls laut der RIA, hat die politische Sprengkraft einer Atombombe. Denn er erklärte, warum Russland bzw. sein Chef Putin kein Problem mit der NATO-Erweiterung habe: „Weder mit Finnland noch mit Schweden“ habe Moskau „territoriale Streitigkeiten“ – und jetzt bitte besonders aufpassen: „Während die Ukraine ‘möglicherweise Mitglied der NATO werden könnte und dann hätte Moskau einen territorialen Streit mit einem Staat, der sich beteiligt an einer Allianz, die riesige, riesige Risiken für den gesamten Kontinent birgt‘.“
Mit anderen Worten – nicht die NATO ist das Problem für Moskau, wie das ständig gebetsmühlenhaft vor allem von Putins Verteidigern behauptet wird – sondern „territorialer Streit“ mit der Ukraine. Den darf es aber eigentlich gar nicht geben: Denn Russland hat nicht nur in einem Freundschaftsvertrag mit der Ukraine deren Grenzen in vollem Umfang anerkannt. Es ist sogar Garantiemacht für die territoriale Integrität des Nachbarlandes. Das hat es im „Budapester Memorandum“ zugesichert als Gegenleistung dafür, dass die Ukraine auf ihr gewaltiges Atomwaffenpotential verzichtete. Den Transport der ukrainischen Atomwaffen nach Russland finanzierte übrigens großteils die USA – was die weit verbreitete Behauptung widerlegt, sie habe Russland immer nur schwächen wollen. In diesem Fall hätte sie sich dafür einsetzen müssen, dass die Ukraine ihre Atomwaffen behält. Putins Angriff auf das Nachbarland wäre dann undenkbar gewesen.
Auch Peskow betonte laut RIA noch einmal – so wörtlich – „dass er den möglichen Beitritt Schwedens und Finnlands zum Bündnis nicht als existenzielle Bedrohung Russlands ansehe“.
Damit steht auch Olaf Scholz argumentativ etwas nackt da. „Wir müssen uns Sorgen machen, dass es eine Eskalation des Krieges nach Deutschland gibt“, hatte der gerade RTL gesagt: „Ziel müsse es sein, den dritten Weltkrieg zu verhindern.“ Zugleich warnt Scholz aber, dass man nicht über eine Unterstützung der Ukraine hinausgehen solle, um Russland nicht zu provozieren.
Bemerkenswert ist auch, dass Putins Sicherheitsratschef Nikolaj Patruschew laut RIA eine neue Begründung für den Überfall auf die Ukraine anführte, die den bisherigen – „Denazifizierung des Nachbarlands“ und „Beendigung eines Völkermords“ widerspricht: „Der Westen versucht, Bedingungen für die Errichtung eines von Westlern kontrollierten Regimes in Russland zu schaffen, wie es bereits in der Ukraine und in einer Reihe anderer Staaten ausgearbeitet wurde. Die spezielle Militäroperation hat diese Pläne vereitelt“ (In Moskau muss der Krieg als „spezielle Militäroperation“ bezeichnet worden, für das Wort „Krieg“ droht Haftstrafe).
Was stimmt denn nun von all den verschiedenen Begründungen?
Und hier noch ein kurzer Überblick dazu, was die deutschen Medien herauspickten aus Putins Rede, in der er sagte, er habe “ keine Probleme“ mit einem NATO-Beitritt von Finnland und Schweden“ – die ersten Suchergebnisse zu dem Thema auf Google:
Das zeigt wieder einmal: Während viele immer noch glauben, unsere großen Medien seien auf Ukraine-Kurs, ist die Realität eine etwas andere: Bis auf „Bild“ und „Welt“ sind sie eher auf Kurs von Olaf Scholz. Und der spielt, anders als die Grünen – ein doppeltes Spiel. Offiziell ist er auf Seiten Kiews, hinter den Kulissen agiert er aber umgekehrt. Genauso wie seine Vorgängerin Angela Merkel, die ihn ins Amt hievte, die Deutschland abhängig machte von Russland – und jetzt eisern schweigt. Ihr Schweigen sagt mehr als 1000 Worte.
Bild: Andrzej Rostek/Shutterstock
Text: br
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