Nein, Sie haben sich nicht verlesen bei dieser Überschrift. Es ist tatsächlich so. Die AfD hat das Bundesverfassungsgericht verklagt. Und die obersten Richter, die mehrheitlich stramm an der Seite der Regierung stehen seit Angela Merkel ihren Vertrauten Stephan Harbarth als Präsidenten nach Karlsruhe delegierte, müssen sich nun selbst vor Gericht verantworten. Der Auslöser: Karlsruhe „macht seine Entscheidungen vorab einem bestimmten Kreis von Journalisten zugänglich – noch bevor die Prozessparteien informiert werden“, wie die „Welt“ schreibt: „Die jahrzehntelange Praxis wurde vor zwei Jahren öffentlich bekannt, nun klagt die AfD.“
Es sei ein „durchaus ungewöhnliches Verfahren“, in dem „ein Gericht vor Gericht steht“, stellt der Vorsitzende der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Karlsruhe gleich zu Beginn der Verhandlung klar, wie es in dem Bericht heißt, der leider hinter einer Zahlschranke versteckt ist: „Und es ist nicht irgendein Gericht, das sich hier verantworten muss, sondern ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht.“
Eine völlige Premiere ist das allerdings nicht: Die Karlsruher Verwaltungsrichter mussten sich bereits zweimal mit ihren Kollegen aus dem benachbarten Verfassungsgericht befassen, die vom Rang her viele Ebenen über ihnen stehen. „Einmal ging es dabei um die Corona-Schutzvorschriften für Besucher; einmal um Informationen für Journalisten über ein Abendessen der Verfassungsrichter im Kanzleramt im Juni 2021, bei dem auch die sogenannte Corona-Bundesnotbremse diskutiert worden war“, schreibt die „Welt“. Besonders pikant: In beiden Fällen bekamen die Kläger der Sache nach Recht, das Verwaltungsgericht entschied gegen das Verfassungsgericht.
Lange Tradition
Klägerin im aktuellen Verfahren ist die AfD. Sie wendet sich gegen „ein seit Jahrzehnten praktiziertes Vorgehen des Verfassungsgerichts, das bis zu einer Veröffentlichung des „Tagesspiegel“ im Juni 2020 jedoch öffentlich unbekannt gewesen war“, wie es in dem Bericht heißt: „Das Bundesverfassungsgericht händigt seine typischerweise sehr ausführlichen Pressemitteilungen an bestimmte Journalisten schon vor der öffentlichen Verkündung aus – bei Urteilen ab 20 Uhr am Vorabend, bei Beschlüssen eine Stunde vor der Veröffentlichung am Morgen.“
Begründet wird dies damit, dass man den Journalisten so ermöglichen will, genug Zeit zu haben, um sich in die oft sehr schwierigen Sachverhalte einzulesen. Nur – die Prozessparteien haben diese Möglichkeit dann eben nicht und sind damit logischerweise benachteiligt. Wo bleibt die Gleichheit vor dem Gesetz und vor allem vor dem Gericht? Die Praxis der Verfassungshüter wäre „bei jedem anderen deutschen Gericht völlig undenkbar“ und hätte „disziplinarrechtliche Konsequenzen für jeden normalen Richter, der so etwas versuchen würde“, empörte sich der Prozessvertreter der AfD, Ulrich Vosgerau, laut „Welt“ in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht.
Besonders pikant: Dass Karlsruhe diese dubiose Praxis verheimlichte und ebenso die so bevorzugten Journalisten. Nicht einmal die Bundesgerichte sowie das Bundesjustizministerium wussten Bescheid, wie es in dem Bericht heißt. Demzufolge kritisierte auch der Deutsche Journalistenverband das Vorgehen der obersten Richter als „befremdlich und nicht mehr zeitgemäß“.
‘Willkürliche Bevorzugung‘
Kritik an dieser Praxis gab es auch aus der CDU und der „Linken“. Am härtesten bemängelt es allerdings die AfD. Ihr Prozessvertreter sagte bei der Verhandlung am Donnerstag laut „Welt“: „Wenn Journalisten den Prozessparteien bereits unmittelbar nach der Urteilsverkündung ausführlich vorbereitete Fragen stellen könnten, liefe das darauf hinaus, diese ‘dumm aussehen‘ zu lassen. Durch die ‘willkürliche‘ Bevorzugung bestimmter Journalisten eines ‘Klüngelvereins‘ mit ‘öffentlich-rechtlicher Schlagseite‘ verletze das Bundesverfassungsgericht das Recht der AfD auf ein faires Verfahren.“
Die Zeitung aus dem Hause Springer nimmt sodann die Verfassungshüter in Schutz: Willkürlich sei die Auswahl der vorab informierten Journalisten allerdings nicht, schreibt sie: „Zugang erhalten vielmehr ausschließlich Vollmitglieder der Justizpressekonferenz (JPK)“. Die erinnert in gewisser Weise an die Bundespressekonferenz – auch hier kann mit Ausschlusskriterien dafür gesorgt werden, dass nur passende Journalisten Zugang erhalten. So muss man etwa für den Beitritt zwei Bürgen aus den Reihen der Mitglieder aufbringen. So kann man unter sich bleiben.
Schönfärberei
Offiziell müssen sich die Journalisten zwar verpflichten, vor der Entscheidungsverkündung über das Urteil zu schweigen. Die „Welt“ schreibt dazu: „Vor dem Verwaltungsgericht versucht der Anwalt der AfD zwar, Zweifel an der Einhaltung dieser Verschwiegenheitspflicht zu wecken“. Doch postwendend weist das Blatt den Vorwurf zurück: Diese Verschwiegenheitspflicht werde in Wirklichkeit eingehalten. Sind die Kollegen so naiv oder verstellen sie sich? Wer den Betrieb der großen Medien auch nur halbwegs kennt, weiß, dass solche „Verschwiegenheitspflichten“ heute viele gar nicht mehr kümmern. Die Sitten sind hier völlig verloddert. Und tatsächlich sickern die Entscheidungen regelmäßig vor Verkündung im Kollegenkreis und auch an Interessierte durch. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Vielleicht ist der Bericht der „Welt“ tendenziös, weil der Autor selbst Vollmitglied der Justizpressekonferenz ist. Was er aber zumindest offen zugibt.
In meinen Augen ist diese Praxis des Verfassungsgerichts ein Skandal und dazu geeignet, das ohnehin schwer angekratzte Ansehen des einst so gut beleumundeten obersten Gerichts noch mehr zu erschüttern. Bleibt zu hoffen, dass die Verwaltungsrichter ihren Kollegen auf dem hohen Ross im Verfassungsgericht auf die Finger klopfen.
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Text: br