Ein Gastbeitrag von Klaus Kelle
Was kommt dabei heraus, wenn deutsche Experten in unseren Mainstreammedien ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorhersagen? Genau! Ein Erdrutschsieg für den Kandidaten der politischen Rechten. Viktor Orbán und seine konservative Fidesz-Partei haben am Sonntag einen klaren Auftrag der Wähler für die nächsten vier Jahre bekommen. Um 22 Uhr, als natürlich noch nicht alle Stimmbezirke ausgezählt waren, lag Orbáns Partei zeitweise bei 61,1 Prozent, das Linksbündnis aus sechs Parteien, die den Ministerpräsidenten herausgefordert hatten, kam um die Zeit auf rund 24 Prozent, also ein knappes Viertel der Wählerschaft.
Und dabei sind es nicht einmal nur linke Parteien, die sich zu einem Anti-Orbán-Bündnis zusammengefunden hatten. Dabei war auch die rechte Jobbik-Partei, die wirklich weit rechts steht. Ich bin gespannt, wie das Morgenmagazin von ARD und ZDF morgen früh den Dreh findet, das Verliererbündnis hochzujubeln. Einen Linksruck kann man den Ungarn nun wirklich nicht vorwerfen.
Wahl in Ungarn wirkt in ganz Europa
Auf einer Wahlparty im Mathias Corvinus Collegium (MCC) in Budapest, das besonders begabte Schüler, Studenten und Akademiker fördert, diskutierten auf einem Panel Experten aus Ungarn, den USA und Deutschland über die Auswirkungen des Wahlergebnisses in Ungarn. Mit dabei auch der konservative Politologe Prof. Werner Patzelt aus Dresden. „Dieses Ergebnis wird Auswirkungen in ganz Europa haben“, prophezeite er im grün-weiß-rot geschmückten Saal. Heute sei besonders Ungarn das Gegenmodell zur Brüsseler EU. Und wenn Orbán nun überzeugend zum vierten Mal gewählt wird, dann machen er und seine Partei wohl etwas richtig. Sozusagen der lebende Beweis, wie moderner Konservativismus die Wähler mit vernünftiger Politik zur Stimmabgabe motiviert.
Als ich die Wahlparty etwa um 22.45 Uhr verließ, lag die Fidesz mit 58 Prozent deutlich vorne, auf der Basis von 36 Prozent der ausgezählten Stimmen. Das Oppositionsbündnis »Ungarn in Einheit« mit seinem Spitzenkandidaten Péter Márki-Zay näherte sich da gerade den 30 Prozent an. Klar war auf jeden Fall, dass Orbáns Partei wieder eine komfortable Mehrheit im neuen Parlament haben wird.
Orbán regiert seit 2010 in Ungarn. Nun strebt er eine fünfte Amtszeit an, die vierte in Folge. In der EU, der das Land seit 2004 angehört, hat er auch zahlreiche Konflikte vom Zaun gebrochen, so etwa beim Asylrecht und in der Familienpolitik, die sich nur an den Bedürfnissen von Vater, Mutter und Kindern orientiert und nicht an der unwissenschaftlichen Gender-Ideologie. Und obwohl Ungarn EU- und NATO-Mitglied ist, pflegt Orbán immer einen persönlichen Gesprächsfaden zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Das dürfte weniger tiefe Freundschaft ausdrücken als totale Abhängigkeit im Energiesektor. So bezieht Ungarn sogar 90 Prozent seines Erdgases aus Russland.
Als aber der gesamte Westen nach Russlands Angriff auf die Ukraine Sanktionen verhängte, zögerten die Ungarn nicht und beteiligten sich an allen Sanktionen. Außerdem verlegten sie Kampfflugzeuge ins Baltikum, um den NATO-Partnern dort gegen die militärische Bedrohung durch Russland beizustehen.
Vor vier Jahren hatte Orbáns Fidesz-Partei mit 49 Prozent der Stimmen knapp mehr als zwei Drittel der 199 Parlamentsmandate gewonnen. Aus diesem Grund trat die Opposition diesmal vereint an.
Dem Oppositionsbündnis gehören die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP), die sozialdemokratische Demokratische Koalition (DK), die links-grüne Dialog-Partei, die Grün-Partei Politik kann anders sein (LMP), die liberale Momentum-Partei und die rechts-konservative Partei Jobbik (Die Besseren) an. Spitzenkandidat Márki-Zay ist seit 2018 Bürgermeister der südostungarischen Kleinstadt Hódmezővásárhely. Der Ort hatte vor seiner Wahl als Fidesz-Hochburg gegolten.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs. Dieser Beitrag ist zuerst auf „the-germanz.de“ erschienen.
Bild: photocosmos1/ShutterstockText: Gast
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