Wir leben in einem Erziehungsstaat. Eine kleine Elite, vor allem aus Politikern, Beamten und Journalisten, wähnt sich im Besitz der Wahrheit. Und glaubt, sie könne und müsse uns vorschreiben, wie wir zu leben haben. Das Robert Koch-Institut fühlte sich sogar bemüßigt, uns zu diktieren, was wir an Silvester (nicht) zu essen haben. Und warnte vor Raclette und Fondue. Selbst ans korrekte und richtige Händewaschen werden wir inzwischen auf Schritt und Tritt erinnert – wie kleine Kinder. Hurra, wir haben den Nanny-Staat. Und viele, wohl vor allem autoritäre Charaktere, sind über die Entmündigung und Bevormundung geradezu glücklich. Nimmt sie uns doch nicht nur die Qual der Wahl, sondern vor allem auch die der Eigenverantwortung. Frei nach Dostojewski bzw. dessen „Großinquisitor“: Es gibt für Menschen nichts Qualvolleres als die Freiheit.
Die Reihe der Erziehungsmaßnahmen ist nun um eine Facette reicher. Dank Bernd Ulrich, stets stramm auf Linie des Zeitgeists befindlicher stellvertretender Chefredakteur des Zentralorgans des rotgrünlila Guten in Deutschland, der „Zeit“. Der ist Träger diverser Journalistenpreise und hat schon mit seinem Buch „Alles wird anders. Das Zeitalter der Ökologie“ klar gemacht, wohin die Reise nach seinem Willen gehen soll. Er ändert selbst den Anglizismus „Follower“ und macht daraus „Follower:innen“. Schon in seinem Twitter-Profil steht politisch korrekt „vegan“. Für manche hört die öffentliche Präsentation der richtigen „Haltung“ nicht mal bei Fragen des Essens auf. Das sei ihm vergönnt. Bemerkenswert ist aber, dass er nun Fleischessern die Legitimität ihrer Essgewohnheiten abspricht:
Nur weil hier gerade so wild über @cem_oezdemir s Forderung nach Abschaffung der #Ramschpreise für Fleisch und Wurst diskutiert wird: Wo es möglich ist, zu leben ohne zu töten, ist es auch geboten. Fleisch essen ist in unseren Gesellschaften illegitim. #vegan
— Bernd Ulrich (@berndulrich) December 27, 2021
Zur richtigen Haltung gehört auch, dass sie richtig begründet wird – denn nur, wer betont freiwillig und mit Freude auf Linie ist, ist richtig auf Linie:
Für die, die sich wirklich für #vegan e Lebensweise interessieren: ich verzichte nicht auf Fleisch, ich erspare mir Fleisch. Mit all seinen Nebenwirkungen auf meinen Körper, die Umwelt, das Klima sowie auf mein Gewissen #Klima
— Bernd Ulrich (@berndulrich) December 30, 2021
Über Kritik an Ulrichs Bekenntnis zum Zeitgeist war man in der linksgrünlila-Journalistenblase nicht amüsiert. Georg Restle, Monitor-Chef beim WDR und verbitterter Kämpfer für alles Gute und gegen alles Schlechte, versucht sich in der Kunst, die Ideologen meist am schlechtesten gelingt – Humor:
Was mich bei Herrn Ischingers Tweet beschäftigt: Dass demnach über 20 Millionen Mitbürger zu Weihnachten Sojabratlinge verzehrt haben. Erstaunlich! Das müsste auch @berndulrich gefallen. 🍷 https://t.co/UvRGPdxEnM
— Georg Restle (@georgrestle) December 29, 2021
Ulrich nahm es noch ernster und brachte gleich noch Corona ins (Fleisch-)Spiel:
Und dann erhöht die Massentierhaltung auch noch die Wahrscheinlichkeit von Pandemien, noch ein Grund damit aufzuhören #Corona @cem_oezdemir https://t.co/dZ5LToISne
— Bernd Ulrich (@berndulrich) December 27, 2021
Mich lässt all das sprachlos zurück.
Ich finde: Die Essgewohnheiten der Menschen sind ihre Privatsache. Wenn der Staat und eng mit ihm verbundene Medien versucht, da Einfluss zu nehmen, ist das kein gutes Zeichen. So wurde in den sozialistischen Staaten immer gepredigt, wie ungesund genau die Dinge seien, die es wegen der Mangelwirtschaft nicht gab. Bananen? Ganz schlecht!
Ich bin selbst Vegetarier seit jungen Jahren. Seit der geliebte Hase bei meinem Großonkel, der einen Bauernhof hatte, plötzlich auf dem Tisch stand – als Hasenbraten. Zu der Zeit biss Ulrich wohl noch kräftig ins Steak. Aber ich habe aus meinem Verzicht auf Fleisch und Fisch nie eine Religion gemacht (der Schuss wäre in meinen 16 Jahren in Russland auch ordentlich nach hinten los gegangen). Auch wenn ich die industrielle Massentierhaltung logischerweise kritisch sehe: Ich würde mir niemals im Leben anmaßen, meinen Umgang mit Essen anderen aufzudrängen. Oder, um noch weiter zu gehen, ihnen die Legitimität ihrer Essgewohnheiten abzusprechen. Ja mich gar zum Richter über diese zu erheben. Mehr noch: Ich setze mich gerne dafür ein, dass jeder erwachsene Mensch das essen kann, was er essen will.
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