Dr. Donald und Mr. Trump Die USA, die Politik und die Schizophrenie

Ein Gastbeitrag von Alexander Fritsch

„Mit jedem Tage, sowohl vom Standpunkt der Moral als der Vernunft, näherte ich mich der unumstößlichen Wahrheit (…): dass der Mensch nicht aus einem, sondern in Wirklichkeit aus zwei Wesen besteht.“

(Robert Stevenson – „Der seltsame Fall des Doktor Jekyll und des Herrn Hyde“)

Nein, Donald Trump macht es niemandem leicht.

Seinen Gegnern sowieso nicht – aber auch seinen Anhängern beschert er immer wieder gemischte Gefühle. Klar, es gibt die tausendprozentigen Trump-Fans, die auch dann noch unverbrüchlich zu ihm stehen würden, wenn er öffentlich kleine Kinder äße. Und es gibt die vernagelten Trump-Hasser, die sich auch dann noch vor ihm ekeln würden, wenn er sein gesamtes Vermögen der Wohlfahrt spendete. 

Beide Extreme sind – wie alle Extreme – nicht wirklich hilfreich. Für halbwegs nüchterne und neutrale Beobachter gilt: Der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika entzieht sich jeder eindeutigen Bewertung.

Einerseits: Dr. Donald ist der amerikanische Samson in Chinas Löwengrube. Trump stemmt sich gegen den Vormarsch einer skrupellosen, staatskapitalistischen Diktatur. Er verfolgt eine nachvollziehbare (und – anders, als seine Feinde behaupten – auch keineswegs irrationale) Politik, die verhindern soll, dass Peking weiterhin dank aggressivster Praktiken und westlicher Blauäugigkeit weltwirtschaftliche Geländegewinne erzielt.

Andererseits: Mr. Trump verrät treue Verbündete. Er lässt erst die Kurden in Nordsyrien die blutige Drecksarbeit gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ machen – dann wirft er sie Erdogan zum Fraß vor, ohne mit der Wimper zu zucken.

Einerseits: Dr. Donald ist ein Bollwerk gegen die Politische Korrektheit. Trump macht dieses elende Das-darfst-du-nicht-sagen-Spiel einfach nicht mit. Er ist damit einer der wenigen im Westen, der sich der schleichenden Erosion der Rede- und Meinungsfreiheit entgegenstellt. Das hat Folgen bis über den Großen Teich, bis zu uns. Und – die Trump-Hasser müssen jetzt ganz stark sein – es sind positive Folgen.

Andererseits: Mr. Trump ist ein chauvinistisches Großmaul. Er führt sich regelmäßig auf wie ein unterbelichteter Schulhofschläger. Politisch unkorrekt zu formulieren, ist eine Sache – schlicht sexistisch und rassistisch zu reden, ist etwas ganz anderes. Aggressive Respektlosigkeit ist keine unkonventionelle Tugend. Die Trump-Fans müssen jetzt ganz stark sein: Stil ist nicht das andere Ende des Besens.

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Einerseits: Dr. Donald enthüllt demokratische Heuchelei. Trump hat der Welt vorgeführt, mit welcher Verachtung Hillary Clinton in Wahrheit auf die einfachen Leute herabschaute und wie selbstherrlich sie meinte, Regeln und Gesetze umgehen zu können. Dank Trump ist inzwischen auch klar, dass in der vermeintlich sauberen demokratischen Administration sehr unsaubere Geschäfte mindestens ganz in der Nähe zu politischer Korruption gemacht wurden: Auch Joe Biden hat ziemlich konsequent US-Außenpolitik für Familieninteressen eingesetzt.

Andererseits: Mr. Trump ist ein korrupter Lügner. Er sagt so oft (und so erbärmlich plump) die Unwahrheit, dass es eigentlich nur noch pathologisch zu erklären ist. Selbst altgediente Republikaner beklagen, das Trump-Hotel in Washington sei im Prinzip eine amtliche Anlaufstelle für Korruption: Wer dort eine Etage miete, bekomme einen Termin beim Präsidenten. Vorsichtig formuliert, ist selbstloser Verfassungspatriotismus ganz offensichtlich nicht Trumps Kernkompetenz.

Einerseits: Dr. Donald verteidigt die Freiheit seiner Bürger. Trump ruft dazu auf, das Leben nicht vom Coronavirus beherrschen zu lassen. Das ist – entgegen der hysterischen Reaktionen der pathologischen Trump-Hasser – gerade angesichts einer Pandemie genau das Richtige. Trump ermuntert sein Land dazu, sein Schicksal weiter selbst in die Hand zu nehmen – während in Europa selbstherrliche Regierungen ihren Bürgern die wirtschaftlichen Lebensgrundlagen entziehen, ohne irgendwelche realistischen Perspektiven anzubieten.

Andererseits: Mr. Trump versagt beim Schutz seiner Bürger. Auf die Selbstverantwortung der Menschen zu setzen, ist eine Sache – eine Pandemie zu leugnen, ist eine völlig andere. Trump bastelt sich seine eigene medizinische Wahrheit und handelt für eine Welt, wie er sie sich wünscht – nicht für die Welt, wie sie tatsächlich existiert. Im Ergebnis sterben in den USA auf 100.000 Einwohner derzeit 70 Menschen an COVID-19. In Deutschland sind es gerade mal 13. (Stand: 01. November 2020, 12.00 Uhr mittags)

Es gäbe noch viel, viel mehr Dinge, die man gegen Donald Trump ins Feld führen könnte. Und genauso viele für ihn.

Die politisch wie persönlich also irgendwo zwischen zwiespältig und schizophren oszillierende Figur „Donald Trump“ fordert dem Beobachter alles ab. Meinungsbildung mit herkömmlichen Methoden des rationalen Abwägens wird da schnell extrem anstrengend. Das verleitet zur Einseitigkeit – auch Journalisten und deren Publikum, sogar manche Leser von „reitschuster.de“. Das zeigt sich in völlig atypisch wütenden und aggressiven Kommentaren unter Artikeln, in denen der US-Präsident zwar auch gelobt, aber nicht ausschließlich bejubelt wird.

Wer bei Trump differenziert, kommt schnell in Teufels Küche.

Wer sich trotzdem und ungeachtet politischer Sympathie oder Antipathie nicht dazu hinreißen lässt, sich selbst entweder nur als Fan oder nur als Feind des US-Präsidenten zu definieren, der ist womöglich offen für eine spannende Idee: Die Trumpsche Zwiespältigkeit ist nicht einzigartig.

Die USA sind politisch schizophren. Amerika beklagt überall Korruption – und ist selbst korrupt: Kaum irgendwo kann man politische Entscheidungen so offen für Geld kaufen wie in den USA. Die US-Medien beklagen sich über Trumps Angriffe auf die Medien – und verraten selbst alle journalistischen Grundsätze: CNN, die Washington Post, die New York Times und Fox News sind bessere (manchmal auch schlechtere) Parteiorgane. Die US-Wirtschaft beklagt chinesische Politik – und wirft sich vor China in den Staub: Apple ist gegen Strafzölle, die sind zwar gut fürs Land, kosten den Konzern aber Geld; die Basketball-Liga NBA inszeniert sich als Hort der Freiheit, bestraft aber harmlose Unterstützungsadressen für die Unabhängigkeitsbewegung in Hong Kong.

Politische Schizophrenie auch in Europa: Man beklagt wortreich US-Zölle auf europäische Autos – erhebt selbst aber noch höhere Zölle auf US-Autos. Europa beklagt die US-Klimapolitik – und ignoriert seit Jahren praktisch alle selbstgesteckten Ziele in diesem Bereich. Europa beklagt die außenpolitische Unzuverlässigkeit der USA – und bricht selbst eiskalt einstmals hochheilige Versprechen an Albanien und Nord-Mazedonien.

Die Meister der politischen Schizophrenie sitzen freilich in Deutschland. Wir beklagen den „militaristischen US-Imperialismus“ – und rufen dann nach US-Truppen in Syrien. Wir beklagen den US-Führungsanspruch in der NATO – und verweigern unseren eigenen angemessenen (und zugesagten) Beitrag. Wir beklagen eine angebliche Verrohung der politischen Kultur durch Trump – und sehen bei uns selbst achselzuckend der kaltlächelnden Demontage der Meinungsfreiheit zu.

Ja, Donald Trump ist Dr. Jekyll und Mr. Hyde: ein Held und ein Schurke. Er ist sympathisch und unerträglich. Seine Politik ist gut und schlecht. Aber er ist damit als Person so wie insgesamt Amerika, wie Europa, wie Deutschland.

Die Welt ist eben schwarz und weiß – und auch noch grau.

Man kann das Falsche aus den richtigen Motiven tun. Man kann aber auch das Richtige aus den falschen Motiven tun. In der Politik zählen Motive wenig – die Konsequenzen sind praktisch das einzig Wichtige. Und die Konsequenzen von Trumps Politik sind eben weder einseitig schlecht – noch einseitig gut. Sie sind zwiespältig.

Wenn überall Widersprüche sind, dann hilft es niemandem, nur eine Sichtweise zuzulassen und alles andere zu verdammen. Freunde sind eben nicht immer nur Freunde – Feinde nicht immer nur Feinde. Mit blinder Gefolgschaft und intellektueller Einseitigkeit wird nichts besser – nicht in den USA, nicht in Europa, nicht in Deutschland.

Und wenn es nur diese Einsicht wäre, die von Donald Trumps Zeit im Weißen Haus übrig bliebe – dann hätte sich seine Präsidentschaft alleine dafür schon gelohnt.

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Alexander Fritsch, Jahrgang 1966, studierte Volkswirtschaft und Philosophie in Frankreich und Deutschland und arbeitet seit 25 Jahren als Journalist. Außerdem berät er als Business Coach Unternehmen und Verbände, vorrangig bei den Themen Kommunikation und Strategie.

 

 


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Bild: thongyhod/Shutterstock
Text: Gast

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