Warum die Sommerwelle für Experten keine Überraschung ist Immunologen sehen „Nachholeffekt“ bei praktisch allen Atemwegserkrankungen

Von reitschuster.de

„Was hat die Pandemie mit unserem Immunsystem gemacht?“ Das will der Spiegel in der Überschrift eines aktuellen Artikels wissen, der leider hinter der Bezahlschranke versteckt wurde. Es steht zu vermuten, dass es darin um die außergewöhnlich hohe Zahl von Patienten geht, die in Deutschland derzeit ihren Hausarzt wegen Infektionen mit Grippe, RSV oder anderen Atemwegserkrankungen aufsuchen. Der kontinuierliche Anstieg bei den akuten respiratorischen Erkrankungen seit dem Ende der Maskenpflicht in fast allen Bereichen wird auch durch den aktuellen ARE-Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) bestätigt. Weder ist diese Entwicklung ein Zufall noch lässt sich der entsprechende Zusammenhang bestreiten, darin sind sich die meisten Experten einig. Die Frage des Spiegel müsste also korrekterweise lauten: „Was haben die Maßnahmen mit unserem Immunsystem gemacht?“

David
Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Der Epidemiologe Alexander Kekulé erklärt diesen Zusammenhang in der Welt wie folgt: „Wegen der Corona-Maßnahmen, vor allem wegen der Maske, ist der jahreszeitliche Rhythmus bei vielen Atemwegsinfektionen durcheinandergekommen“. Das sei der Grund, weshalb wir aktuell mit Viren zu tun haben, die normalerweise im Herbst und Winter für größere Wellen sorgen. Dem pflichtet auch Carsten Watzl bei. In der Berliner Morgenpost erklärt der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, dass es Erkältungsviren gebe, bei denen „man einfach alle zwei, drei Jahre fällig“ sei. Dass viele Menschen diese Erkrankungen in den vergangenen beiden Jahren „verpasst“ haben, bezeichnete Watzl als „Nachholeffekt“, der sich in diesem Sommer zeige.

Experten sprechen also „vor allem wegen der Maske“ von einem aus dem Rhythmus gekommenen Immunsystem. Umso bemerkenswerter ist es da, welche Tipps Karl Lauterbach (SPD) seinem Fanclub via Twitter zukommen ließ. „Eine Sommerwelle war zu erwarten. Freiwilliges Tragen von Masken im Innenraum und eine vierte Impfung sind die besten Gegenmittel. Die vierte Impfung schützt vor schwerer Krankheit und senkt für ein paar Monate, wenn auch unvollständig, (das) Ansteckungsrisiko“, teilte der Bundesgesundheitsminister seinen Anhängern mit. Jeder einzelne Satz enthält Behauptungen, die fernab jeglicher Evidenz aufgestellt werden. So wird etwa auch die vierte Impfung (alternativ auch „zweite Auffrischungsimpfung“ genannt) selbst von der treu ergebenen Ständigen Impfkommission (Stiko) nur für Menschen ab 70 Jahren, Patienten mit Vorerkrankungen und/oder Bewohnern und Mitarbeitern von Pflegeeinrichtungen empfohlen. Lauterbach hingegen empfiehlt sie, neben dem Maskentragen natürlich, aber als angeblich „bestes Gegenmittel“ gegen die Sommerwelle.

RKI-Daten sprechen klare Sprache

Die Daten für die ARE-Wochenberichte stammen aus dem Projekt GrippeWeb, das im März 2011 gestartet wurde und unter dem Dach des RKI angesiedelt ist. Die Abbildung 2 des aktuellen Reports zeigt einen steilen Anstieg der geschätzten ILI-Rate (Influenza Like Illness), der nur wenige Wochen nach dem weitgehenden Ende der Maskenpflicht begann, für diese Jahreszeit sehr ungewöhnlich ist und so in keinem der fünf Vorjahre beobachtet werden konnte. Zwar stiegen die Kurven im Frühjahr auch in der Saison 2020/21 (wohl aus ähnlichen Gründen wie aktuell) und in der Saison 2017/18 (besonders starke Grippewelle im Winter) etwas stärker an, jedoch auf deutlich niedrigerem Niveau. Laut offizieller Definition handelt es sich bei ILI um akute respiratorische Erkrankungen (ARE), die zusätzlich noch mit Fieber als weiterem Symptom einhergehen. Zu den ARE wiederum werden alle möglichen Influenzaviren, RSV (Respiratorisches-Synzytial-Virus), saisonale Coronaviren, Rhinoviren, Metapneumoviren und letztlich auch Sars-CoV-2 gezählt.

Fast noch aufschlussreicher sind die in Abbildung 1 dargestellten Daten. Demnach lag die geschätzte ARE-Rate (Atemwegserkrankungen ohne begleitendes Fieber) in der KW 23 (6. – 12. Juni 2022) bundesweit bei 5,3 Prozent und damit um das bis zu 13-fache höher als im Vergleichszeitraum der Vorjahre. So lag die ARE-Rate im Juni 2019 zum Beispiel bei gerade einmal 0,4 Prozent. Die interessanteste Aussage verbirgt sich jedoch im unteren Teil der Grafik. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt während der vergangenen 12 Monate lag die Covid-19-Rate in Deutschland um ein Vielfaches (!) unterhalb der ARE-Rate. Nun muss man zwar einräumen, dass in der Covid-19-Rate ausschließlich PCR-positiv getestete Fälle berücksichtigt sind, während es sich bei der ARE-Rate um Schätzungen handelt, andererseits ist aber auch zu berücksichtigen, dass die ARE-Saison 2021/22 im Vergleich zu den Vorjahren eine außergewöhnlich schwache war. Angesichts dieser Daten verwundert der seit über zwei Jahren betriebene Alarmismus im Zusammenhang mit Corona umso mehr.

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende

Die aktuellen Sommerwellen bei Corona und der Grippe sind also keineswegs als Naturgewalt vom Himmel gefallen, sondern durchaus hausgemacht. Auch die auffällig niedrigen ARE- und ILI-Raten in den Wintern 2020/21 und 2021/22 sind ein klares Indiz dafür, dass die Masken teilweise Aufgaben übernommen haben, für die normalerweise das Immunsystem zuständig ist. Oder wie Karl Lauterbach sagen würde: „Die Immunität ist in den letzten Jahren zurückgegangen, weil die Schutzmaßnahmen auch dort geschützt haben“.

Selbst die Tatsache, dass sich die Omikron-Fälle in Deutschland aufgrund der BA.5-Variante derzeit von Woche zu Woche praktisch verdoppeln, ist für Prof. Klaus Stöhr kein Anlass zur Sorge. Der Virologe weist darauf hin, dass die zuletzt gemeldeten Omikron-Fälle im Vergleich zum März lediglich ein Viertel betragen, bei den Hospitalisierungen sogar nur ein Fünftel. Und auch im März habe es zu keiner Zeit eine Überlastung in den Krankenhäusern gegeben. „Wieso also Panik schlagen und nach Masken und Boostern rufen?“, fragt Stöhr in der Welt nicht zu Unrecht.

Karl Lauterbach und seine Corona-Jünger wären also gut beraten, die Sommerwelle(n) bei Corona, Grippe und den weiteren ARE als Chance zu begreifen und das Immunsystem wieder das tun zu lassen, was es am besten kann – Viren, Bakterien und Keime zu bekämpfen, um so schwere Erkrankungen seines Trägers zu verhindern. Wäre Lauterbach tatsächlich ein praktizierender Arzt und würde seinen Titel nicht nur auf dem Papier durch die Welt spazieren tragen, dann wüsste er nur zu gut, dass Erkrankungen zum Leben dazugehören, das menschliche Immunsystem in den allermeisten Fällen aber sehr gut damit klarkommt.

Bild: Shutterstock
Text: reitschuster.de

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