„Die Nerven bei den Regierungsparteien scheinen inzwischen vollends blank zu liegen. Hier zwei Beispiele vom Wochenende“ – mit diesem Kommentar schickte mir mein Autor Kai Rebmann zwei Meldungen. Die erste, aus der Bild: „Eklat auf SPD-Parteitag: Scholz-Kritikerin von der Bühne gebuht. Sachsens Juso-Chefin Mareike Engel keilt auf dem Parteitag der SPD gegen den Kanzler und bekommt Buh-Rufe zu hören“. Rebmanns Kommentar: „Kritik am Chef unerwünscht, wer nicht in den theatralischen ‘Applaus-Marathon‘ (vom Samstag) einstimmt, bekommt den Zorn der Genossen zu spüren…“.
Die zweite Nachricht, aus der „Welt“: „Berliner Grüne brechen ihren Parteitag ab – Weil die einzige Kandidatin für das Amt der Landesvorsitzenden in drei Wahlgängen keine absolute Mehrheit bekam, haben die Berliner Grünen die Landesdelegiertenkonferenz gestoppt.“ Die Kandidatin verließ unter Tränen den Saal. Und später wollten die Grünen das Tränen-Foto auch noch zensieren – der Pressesprecher meldete sich bei der „B.Z.“ und drängte darauf, das Bild aus dem Internet zu nehmen.
Tatsächlich sind diese beiden Nachrichten nur ein Mosaikstein in einem sehr viel größeren Bild, das sich seit Monaten abzeichnet – einer immer größer werdenden Nervosität bei unserer „Ampel-Koalition“.
Diese kommt wohl daher, dass inzwischen zumindest bei einigen der Koalitionäre die Erkenntnis dämmert, dass sie mit ihrer Ideologie-gesteuerten Politik des Umbaus der Gesellschaft immer heftiger in Konflikt mit der Realität geraten. Am deutlichsten wurde das durch Vize-Kanzler Robert Habeck, den gelernten Kinderbuchautor, der sich berufen fühlte, die Wirtschaft eines der größten Industriestaaten der Welt zu lenken, obwohl er keinerlei einschlägige Erfahrung mitbringt. Habeck entfuhr bei Anne Will in der ARD vergangenen Sonntag folgender verräterischer Satz: „Wir sind umzingelt von Wirklichkeit“ (siehe hier).
Dass Habeck so etwas sagt, noch dazu im Ton der Überraschung, so, als berichte er von einer Zumutung, erlaubt einen spannenden Einblick in das Seelenleben der rot-grünen Politiker. Sie stehen in der Denkschule von Hegel, der einst sinngemäß sagte: „Wenn die Tatsachen nicht mit der Theorie übereinstimmen – umso schlimmer für die Tatsachen.“
Dass sich der Wind und die Sonne nicht an die Vorstellungen der rot-grünen (und christdemokratischen) Energiewende-Ideologen halten, ist für Habeck & Co. eine Zumutung. Dass sich so viele Bürger den Eingriff des Staates in ihre eigenen vier Wände in Sachen Heizung nicht gefallen lassen wollen, ist für Habeck & Co. ebenso eine Zumutung. Wie vieles, vieles andere mehr: Dass die Politik der offenen Grenzen nicht auf Applaus stößt und so viele dagegen sind, dass noch mehr Asylbewerber ins Land kommen, dass die Menschen sich nicht freuen, höhere Steuern und Energiepreise für die gute Sache zu bezahlen, dass sie nicht frohlockend auf veganes Essen umsteigen und aufs Auto verzichten.
Versetzen Sie sich einmal für einen Moment in den Kopf von Habeck, Baerbock, Klingbeil, Esken & Co. (was mir persönlich aufgrund meiner Vergangenheit als Jungsozialist besonders leicht fällt): Sie werden sich dann im Besitz der Wahrheit und der Erkenntnis fühlen. Um als Auserwählte die finstere Masse, also den nichts ahnenden, Burger fressenden und mit Autos die Luft verpestenden Pöbel in eine emissionsfreie, vegane, sonnige Zukunft zu führen. Sie erwarten für diese Herkulesaufgabe Dankbarkeit und Hingabe vom Pöbel.
Und dann das! Große Teile des Pöbels meutern. Sie sind plötzlich bereit, für die Partei zu stimmen, die Sie – aus tiefster Überzeugung – für den Inbegriff des Bösen halten und für die Wiedergeburt der NSdAP. In Ihrem Kopf sehen Sie schon eine zweite Machtergreifung. Sie sehen, dass immer mehr Menschen sich abwenden von den großen Medien, die genauso erleuchtet sind wie sie und hingebungsvoll versuchen, den Pöbel zu erziehen. Und dass dieser Pöbel stattdessen Medien liest, die in ihren Augen „Nazi“ sind – also etwa meine Seite. Oder die Junge Freiheit. Oder gar Vera Lengsfeld!
Pfui, werden Sie sich da denken. Wie schlecht ist doch die Welt! Und wie undankbar gegenüber denen, die sie retten wollen – wie Sie!
Wenn Sie dann weiter lesen, dass die AfD in einigen Bundesländern laut Umfragen die stärkste Partei ist, dass es sogar nicht mehr völlig ausgeschlossen ist, dass sie dank der Fünf-Prozent-Hürde in einem Landtag eine absolute Mehrheit stellen könnte und damit die Regierung – dann werden Sie, wenn Sie ein strammer Grüner sind und in der Überzeugung, besser zu sein als die Mehrheit und diese retten bzw. erziehen zu wollen, in Panik geraten.
Ich bitte um Verzeihung für die Zumutung, die dieses Gedankenspiel für Sie sicherlich war. Genauso wie für mich. Es ist nicht vergnügungssteuerpflichtig, sich hineinzudenken in die Köpfe von Habeck, Baerbock oder – schlimmer noch – Esken.
Aber es ist notwendig, um zu verstehen, was sie umtreibt. Und wohin sie das noch führen kann.
Ihr aktuelles Umfragetief und der Höhenflug der AfD sind für sie nicht die Anzeichen für eine Niederlage in einem sportlichen, fairen Wettbewerb. Sie sehen sie als die Gefahr des Weltuntergangs. Und zwar nicht nur ihrer Welt – in ihrem Weltrettungs-Wahn sehen sie auch wirklich die ganze Welt bedroht.
Und damit sind wir am eigentlichen Punkt – der so wichtig ist, dass ich Ihnen das ganze Gedankenspiel zugemutet habe, damit Sie verstehen, wie diese Menschen ticken: Wer die Wahrheit auf seiner Seite wähnt, sich als Welt-Retter fühlt und seine politischen Gegenspieler als das personifizierte Böse sieht, neigt zu Überreaktionen und Fouls.
Und genau die sehen wir.
Etwa in den beiden anfangs geschilderten Nachrichten.
In der Erklärung des Sächsischen Verfassungsschutzes, die AfD in dem Freistaat sei „gesichert rechtsextrem“. Also der Ungeheuerlichkeit, dass eine der Regierung unterstellte, weisungsgebundene Behörde die größte Oppositionspartei gegen eben diese Regierung öffentlich diffamiert. Eine Verletzung grundlegendster demokratischer Prinzipien.
Aber eben erlaubt, wenn es um die „Weltrettung“ geht – in diesem Fall von einem CDU-Innenminister (was aber nur zeigt, wie ähnlich viele Christdemokraten inzwischen den rot-grünen Ideologen sind).
Auch die Rufe nach Verboten der AfD werden verständlich, wenn man sich in die Gedankenwelt der Rot-Grünen versetzt (wobei die Motive ihrer vermeintlich „liberalen“ und „konservativen“ Mitläufer eine eigene Analyse wert wäre, die hier zu weit führen würde).
Ketzerverfolgung
Verständlich wird so auch die Zensur und die Rufe nach ihrer Verschärfung. Der Missbrauch der Justiz für die Bekämpfung von Andersdenkenden, also „Ketzern“. Und der Versuch, diese wirtschaftlich zu vernichten, etwa durch Boykottaufrufe oder das Durchsetzen von Kontenkündigungen.
Unsere Ideologen fühlen sich angeschlagen. In die Ecke gedrängt. Das sind sie auch. Und zwar von der Wirklichkeit. Aber das wollen sie nicht so wahrnehmen und darum brauchen sie Sündenböcke. Die „Bösen“, die „Rechten“, die „Nazis“ – also Leute wie Sie und ich.
Unsere Ideologen sehen sich in einer Art „Showdown“ (den eigentlich sprachlich besser passenden Begriff „Endkampf“ verkneife ich mir, da er historisch vergiftet ist). Und in diesem sind ihnen im Zweifelsfall alle Mittel recht. Auch solche, die undemokratisch und nicht rechtsstaatlich sind – denn sie glauben, ihr vermeintlich guter Zweck heilige die Mittel.
So bitter es ist – man muss sich dessen bewusst sein, um bereit zu sein für das, was uns noch erwartet.
Die Geschichte zeigt, leider: Diejenigen, die sich im Besitz der Wahrheit glauben, die sich für erleuchtet und auserwählt halten, ketten sich mit allen Mitteln an die Macht, wenn sie diese erst einmal haben.
Da kann man bis zur Inquisition zurückblicken, also der Ketzerverfolgung.
Man mag hoffen, dass es diesmal anders enden wird. Sich darauf zu verlassen, wäre aber sträflich naiv.
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