Von Kai Rebmann
Auch zweieinhalb Jahre nach Bekanntwerden der ersten Infektionen mit Covid-19 in China ist die Herkunft des Virus noch ungeklärt. Als die beiden wahrscheinlichsten Ursprünge gelten ein Labor im Institut für Virologie in Wuhan und ein Wildtiermarkt in dieser Stadt. Keine der beiden Theorien konnte bisher bewiesen oder widerlegt werden. Am Institut für Virologie werden seit Jahren sogenannte „Gain-of-Function“-Experimente mit Coronaviren durchgeführt, dennoch wurde die Möglichkeit eines Laborunfalls überraschend schnell ausgeschlossen und ins Reich der Verschwörungstheorien verwiesen. Favorisiert wurde von der WHO und insbesondere natürlich China dagegen die Übertragung des Virus von einem Wildtier über einen Zwischenwirt auf den Menschen. Als vermeintlich überzeugendster Beweis für diese Theorie scheint aber lediglich die Tatsache zu gelten, dass die Laborunfall-These bisher noch nicht belegt werden konnte. Ein entscheidender Haken an der Wildtier-Theorie ist jedoch, dass der ominöse Zwischenwirt bis heute nicht identifiziert werden konnte, obwohl intensiv danach gesucht wurde und wird.
Der Hamburger Nanowissenschaftler Roland Wiesendanger hat bereits im Frühjahr 2021 auf die Gefahren der „Gain-of-Function“-Forschung hingewiesen. Das Vorhandensein einer für diese Art von Viren sehr ungewöhnlichen Furin-Spaltstelle, die möglicherweise künstlich erzeugt wurde, sieht Wiesendanger als eines der wichtigsten Argumente, die für die Laborunfall-Theorie sprechen. Linientreue Medien wie der Spiegel waren sofort zur Stelle, um den Physiker als fachfremden Pseudo-Experten hinzustellen. Dass ein Nanowissenschaftler sich aber von Haus aus mit kleinsten Teilchen beschäftigt, ausdrücklich auch biologischen, blieb in diesen Medien dagegen weitgehend unerwähnt. Bis heute haben sich die Stimmen aus verschiedenen Bereichen der Wissenschaft gemehrt, die einen Laborursprung des Coronavirus zumindest nicht ausschließen und daher weitere Untersuchungen fordern.
WHO fordert weitere Studien und Zugang zu Personal und Daten
Selbst Christian Drosten, der die Laborunfall-Theorie im Frühjahr 2020 noch kategorisch ausgeschlossen hatte, scheint sich seiner Sache inzwischen nicht mehr ganz so sicher zu sein. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung berichtete der langjährige Hof-Virologe der deutschen Bundesregierung im Februar 2022 von der für ihn offenbar „überraschenden Erkenntnis“, dass am Institut für Virologie in Wuhan im Rahmen eines Projekts der US-amerikanischen NGO Ecohealth Alliance „Gain-of-function“-Forschung betrieben wurde. Damit musste Drosten das bestätigen, was Wiesendanger bereits im Frühjahr 2021 und eine Gruppe von internationalen Forschern im Mai 2021 in einem im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichten Brief angemerkt haben.
In der vergangenen Woche hat sich nun auch der Expertenrat der WHO (SAGO) zu diesem Thema geäußert und weitere Untersuchungen zum Ursprung des Coronavirus gefordert. Das Gremium unter Vorsitz der Virologin Marietjie Venter wurde im Oktober 2021 eingerichtet und zählt unter anderem Christian Drosten zu seinen Mitgliedern. Am Donnerstag hat die SAGO ihren ersten offiziellen Bericht vorgelegt und fordert darin mit Bezug auf das Coronavirus unter anderem die „Bewertung potenzieller Szenarien, in denen ein Versagen der Biosicherheitsverfahren zu einer möglichen laborbedingten Infektion mit dem untersuchten Erreger geführt hat.“ Darüber hinaus wies der Expertenrat auf die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen hin, um „die Möglichkeit einer Einschleppung von SARS-CoV-2 in die menschliche Bevölkerung durch einen Laborunfall zu bewerten.“ Man müsse für alle Hypothesen offen sein und diese prüfen. Dazu sei es notwendig, Zugang zu Personal und Daten von Laboren in China und anderen Ländern zu erhalten.
China blockiert Versuche der Aufklärung
Letzteres dürfte sich bei der Suche nach der Wahrheit jedoch als größtes Hindernis herausstellen. Als ob sie wüssten, dass es in Wuhan etwas zu verbergen gibt, verweigerten die SAGO-Mitglieder aus China, Russland und Brasilien ihre Unterschrift unter die von einer überwältigenden Mehrheit ihres Gremiums ausgesprochene Empfehlung. Und das, obwohl es in dem Schreiben heißt, dass SAGO-Mitglieder die Wildtier-Theorie nach wie vor als die „wahrscheinlichste These“ ansehen. Allein der Gedanke daran, dass in diesem Zusammenhang allzu neugierige Fragen gestellt werden könnten, scheint manchem die Schweißperlen auf die Stirn zu treiben. Die ureigene Aufgabe eines unabhängigen Wissenschaftlers besteht jedoch darin, Wissen zu schaffen, in diesem Fall also, mehr über den Ursprung des Coronavirus herauszufinden.
China zeigte sich schon in den Wochen und Monaten nach dem ersten Corona-Ausbruch in Wuhan wenig kooperativ. Und so dauerte es bis Januar 2021, ehe einem Team der WHO erstmals Zugang zur Stadt gewährt wurde. Der damals verfasste Bericht sowie die Äußerungen während der in China abgehaltenen Pressekonferenz ließen erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass die Experten damals wirklich unabhängig arbeiten konnten. Die Erklärung, dass ein Laborunfall „extrem unwahrscheinlich“ sei, hat angesichts der offensichtlichen Umstände ihres Zustandekommens für massive Kritik gesorgt. Selbst WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus geht inzwischen davon aus, dass seinen Experten im Frühjahr 2021 wichtige Daten vorenthalten worden sind.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: sleepingpanda/ShutterstockText: kr
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