Was, wenn ich irre? Ein Plädoyer für die Selbstbestimmung

Von Annette Heinisch

Eigentlich wollte ich nichts mehr zu Corona schreiben – ich kann es nicht mehr hören. Das Virus hat zudem bei 80 % der Bevölkerung seinen Schrecken verloren, es scheint zunehmend medialen Zwecken zu dienen. Horrormeldungen und Panik verkaufen sich nun einmal besser als die Nicht-Nachricht „99,6 % aller Bundesbürger haben kein Corona“.

Eine Begebenheit aus meinem Bekanntenkreis geht mir aber nicht aus dem Kopf und ist Anlass dieser Zeilen. Ein älterer Herr wird von seiner Tochter zur Corona-Impfung gedrängt. Er ist eigentlich gesund und munter, aber in der gefährdeten Altersgruppe. Sie fährt ihn zur Impfung, eine gute und besorgte Tochter eben. Drei Tage später ist er tot, nach Angaben der Ärzte an den Folgen der Impfung verstorben. Die Tochter ist am Boden zerstört, für sie bedeutet das: Ich habe meinen Vater getötet. Meinetwegen wurde er geimpft, ich habe ihn gedrängt. Und nun …

Wie wird man damit fertig? Kann man das überhaupt verkraften?

Mir geht das wirklich nahe, denn ich hätte genauso gehandelt wie sie. Mein Vater ist schon lange tot, meine Mutter ist noch nicht so lange verstorben. Hätte sie während Corona noch gelebt, hätte ich sie ebenso gedrängt, sich impfen zu lassen. Sie wäre wohl sehr skeptisch gewesen, denn als gebranntes Kind scheute sie alles, was auch nur von Ferne nach Massenwahn und Manipulation aussah. Ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie ich sie zu überreden versucht hätte, voller Sorge um sie und überzeugt von der Richtigkeit meiner Ansicht. Natürlich hätte ich sie zur Impfung gefahren, mich um sie gekümmert. Was, wenn sie daran gestorben wäre? Ich mag es mir nicht vorstellen.

Hätte es mich getröstet zu erfahren, dass tödliche Impffolgen relativ selten sind? Wohl nicht. Der entscheidende Punkt wäre für mich gewesen, dass ich sie zu einer Entscheidung gedrängt hätte, die den Tod zur Folge hatte. Aus meiner Sicht wäre ich mitschuldig am Tod meiner Mutter. Auch ich wäre wie diese andere Tochter am Boden zerstört und wüsste nicht, wie ich jemals damit fertig werden sollte. „Ich habe es doch nur gut gemeint“ war der meistgehasste Satz meiner Mutter. Mittlerweile weiß ich, warum.

Um Irrtümer zu vermeiden: Mir geht es nicht um Sinn oder Unsinn der Impfung. Das kann und will ich nicht beurteilen. Schon gar nicht für andere. Genau das ist mein Punkt: Wie geht man mit Verantwortung um, vor allem mit der Verantwortung für andere?

Anderen Ratschläge zu erteilen, ist ein schwieriges Unterfangen. Ärzte müssen es, auch in meinem Beruf als Jurist gehört es zum Kerngeschäft. In beiden Fällen ist es ein Handeln in Unsicherheit, wobei Ärzte oft besser zukünftige Krankheitsverläufe abschätzen können als Juristen die Erfolgsaussichten von Prozessen. Die Unsicherheiten vor Gericht sind ja allseits bekannt und in vielen Sprichwörtern verewigt.

Professionelle Ratgeber geben ihre Einschätzung nach bestem fachlichen Wissen und Gewissen. Die hier beispielhaft genannten Ärzte und Volljuristen haben mit die längsten Ausbildungen Deutschlands, die sowohl umfangreiche theoretische wie auch praktische Teile umfassen. Erst nachdem sie in einer oder bei Volljuristen zwei Staatsprüfungen ihre Kompetenz bewiesen haben, dürfen sie ihre fachliche Expertise anbieten. Wenn allerdings der Patient/Mandant dem Rat nicht folgt, ist das seine Sache. Man dokumentiert aus haftungsrechtlichen Gründen seinen Rat, ansonsten ist es die Entscheidung des Anderen.

Nur in ganz seltenen Fällen wird der Rat eindringlicher. Das ist dann der Fall, wenn man wirklich fundiert einen Verlauf abschätzen kann und dieser sehr negativ ist oder auch andere mit tangiert, z. B. wenn in meinem beruflichen Bereich die Existenz eines Unternehmens davon abhängt. Dann werden die Worte deutlicher und dies wird sehr sorgfältig dokumentiert. Denn wenn dem Rat nicht gefolgt wird und es dann so kommt wie befürchtet, ist es nicht selten so, dass sich die Betroffenen seltsamer Weise nicht mehr an den Rat erinnern können. Schuld sind die Anderen. Kein Wunder, denn sonst hätte man ein heftiges Problem mit dem Selbstbild. Sagen Sie jetzt nicht, Juristen seien Zyniker. Wir sind nicht zynisch, sondern realistisch. Juristerei ist sozusagen die Empirie der Psychologie. Was die Einen wissenschaftlich erarbeiten, erleben die Anderen in der täglichen Praxis.

Es gibt also zwei „Ratgeber-Hürden“: Einmal die fachliche Kompetenz als Zulassungsbeschränkung und dann die unmittelbar eigene Haftung für fehlerhaften Rat. Das eine macht wissender, das andere vorsichtiger. Wenn man die Verantwortung für das trägt, was man sagt oder tut, dann versucht man aus eigenem Interesse, alle – auch abweichende – Aspekte in die Überlegung mit einzubeziehen. Vorsicht und Skepsis sind notwendig. Daher sind professionelle Ratgeber nicht böse, wenn man ihrem Ratschlag nicht folgt. Sie sind nämlich in diesem Fall aus der Haftung.

Anders Journalisten und in gewissem Maß auch Politiker: Journalisten haften für gar nichts – sie treiben die Politiker vor sich her, ohne irgendeine Verantwortung für ihr Handeln übernehmen zu müssen. Politiker „haften“ auch nicht, können jedoch abgewählt werden, was immerhin etwas schmerzhaft ist. Aber Wahlen sind selten, Listenplätze oft sicher – der Anreiz, Ruhe und Verstand zu bewahren, wenn alle um einen herum diese verlieren, ist gering. Skepsis, das Antriebsmittel jeden Fortschritts und das ehemalige Markenzeichen der westlichen Zivilisation, wird dem Beifall geopfert.

Was wäre beispielsweise, wenn die Ergebnisse einer in der Zeitschrift »European Journal of Epidemiology« veröffentlichte Studie von S. V. Subramanian (Harvard Center for Population and Development Studies, Cambridge; Department of Social and Behavioral Sciences, Harvard T.H. Chan School of Public Health, Boston, MA, USA) und Akhil Kumar (Turner Fenton Secondary School, Brampton, ON, Canada) sich als richtig herausstellten?

Danach gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Impfquote und der Ansteckungsrate: “Increases in COVID‑19 are unrelated to levels of vaccination across 68 countries and 2947 counties in the United States”.

Oder die Aussage einer Studie in „The Lancet“, wohl die renommierteste medizinische Fachzeitschrift schlechthin, mit der Überschrift:  “COVID-19: stigmatising the unvaccinated is not justified”.

Es heißt weiter:

“In the USA and Germany, high-level officials have used the term pandemic of the unvaccinated, suggesting that people who have been vaccinated are not relevant in the epidemiology of COVID-19. Officials’ use of this phrase might have encouraged one scientist to claim that “the unvaccinated threaten the vaccinated for COVID-19”.1 But this view is far too simple.

There is increasing evidence that vaccinated individuals continue to have a relevant role in transmission.” 
(In den USA und Deutschland haben hochrangige Offizielle den Ausdruck Pandemie der Ungeimpften genutzt, wobei sie unterstellten, dass diejenigen, die geimpft sind, keinen bedeutenden Einfluss auf das Infektionsgeschehenen von Covid-19 haben. Diese Sichtweise ist bei weitem zu einfach. Es gibt zunehmenden Beweis dafür, dass geimpfte Individuen einen bedeutenden Einfluss auf die Übertragung haben)

Wenn die Impfquote keinen Einfluss auf die Infektionsrate hat, dann wären die Impfungen kein zielführendes Mittel. Diejenigen, die jetzt Druck ausüben, würden für jeden Tod aufgrund der Impfung und auch für jede Nebenwirkung Verantwortung tragen. Hat sich das in letzter Konsequenz wirklich jeder überlegt, der vehement eine Impfpflicht durch Vorder – oder Hintertür fordert? Oder anders ausgedrückt: Wäre jeder, der dies fordert, bereit, dafür die persönliche Haftung zu übernehmen? Und wenn nein, sollte er das dann fordern? Fordern dürfen?

Wer wirklich Verantwortung für andere tragen muss, weiß den Wert der Selbstbestimmung des Einzelnen zu schätzen

Und was wäre, wenn sogar diejenigen Recht hätten, die behaupten, die Anzahl der Todesfälle steige mit zunehmender Impfquote? Auch solche Stimmen gibt es und zwar auf der Basis der Zahlen, die von der Johns Hopkins Universität veröffentlicht wurden. 

Ich maße mir kein Urteil an, ob die Ergebnisse zutreffen oder nicht, das kann und will ich nicht. Frappierend finde ich jedoch die Maßlosigkeit, mit der die Anhänger einer Ansicht jede andere Ansicht niedertrampeln. Nie werden sie geplagt von Selbstzweifeln, nie taucht die Frage auf: „Was, wenn ich irre?“

Wenn sie irrten, dann hätten sie sehr viel Schuld auf sich geladen. Also dürfen sie nicht irren, es wäre zu schmerzlich. Daher kämpfen sie bis zum „Endsieg“. Oder so ähnlich.

Oft hört man in letzter Zeit, die deutschsprachigen Länder seien besondere „Impfmuffel“. Kann es sein, dass die Geschichte doch Spuren hinterlassen hat? Dass der eine oder andere – unabhängig vom Thema – gewisse Verhaltensweisen wiedererkennt und ablehnt?

Nicht nur die Stigmatisierung als Volksschädling ist altbekannt, auch das schnarrende Herrschaftsgebaren, mit dem vorgeschlagen wird, Impfverweigerer zwangsimpfen zu lassen, lässt die Parallelen allzu deutlich werden.

Neben dem unmittelbaren Zwang werden die aus totalitären Staaten altbekannten Methoden der Manipulation angewandt. Im Internet kursieren zunehmend Hinweise auf die „10 Strategien der Manipulation“ durch die Medien, die dem früher am MIT lehrenden Sprachwissenschaftler Prof. Noam Chomsky zugeschrieben werden. Tatsächlich scheinen sie die aktuelle Situation hervorragend zu beschreiben.

Gleichgültig, welches politische Thema es ist: Pragmatischer Realismus und rationales Denken sind nicht der Weg, auf dem Lösungsversuche unternommen werden. Je mehr der Staat mit seiner Inkompetenz zur Lachnummer wird, desto hysterischer beharren seine Protagonisten darauf, dass ihre Ansichten der Weisheit letzter Schluss seien. Manipulation, Druck und Zwang sind die Mittel, mit der sie ihre „Weisheit“ umzusetzen versuchen. Könnte es sein, dass ein klein wenig kulturelle Sensibilität angebracht wäre und Menschen, die mit diesen Formen totalitären Handelns reichlich schlechte Erfahrung gemacht haben und deshalb darauf allergisch reagieren, damit in Ruhe gelassen werden sollten? Wir sind doch so ungemein vielfältig und kultursensibel bei anderen, warum nicht auch bei uns?

Und ist der Gedanke eigentlich abwegig, dass es sehr begrüßenswert ist, wenn ein nicht unerheblicher Teil des Volkes offenbar aus der Geschichte gelernt hat und sich nicht mehr mit manipulativen Methoden gängeln lassen will? Wenn Freiheit und Selbstbestimmung hohe Güter für sie sind? Irre ich mich oder wird das „Nie wieder“ nicht sogar ständig gefordert? 

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Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Annette Heinisch. Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank- und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht. Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig. Dieser Beitrag erschien zuerst auf Achgut.com.

Bild: Shutterstock
Text: Gast

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