Wenn das Recht vor renitenten Gruppen kapituliert: Das System Bahn bricht ein Während für Deutsche jede Kleinigkeit geahndet wird, weicht man bei Gewalt aus

Von reitschuster.de

Es ist wie ein schlechter Witz, aber leider Realität: Auf der Strecke zwischen Erfurt und Suhl haben Zugbegleiter mittlerweile die Erlaubnis, das Recht einfach mal zu ignorieren, wenn es ihnen zu „brenzlig“ wird. Da fährt man als braver deutscher Bürger, zeigt sein Ticket – natürlich, wie sich das gehört – und wird auch kontrolliert. Doch wenn der Zugbegleiter auf eine Gruppe junger Männer trifft, die möglicherweise aus der nahen Suhler Erstaufnahmeeinrichtung kommen, entscheidet er lieber „situativ“, ob er die Fahrkarten sehen will. Das nennt man Kapitulation. Wie die Thüringer Allgemeine berichtete, ist das genau das Szenario, das sich auf dieser Zugstrecke regelmäßig abspielt. Und wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass das Ganze nur die Spitze des Eisbergs ist.

Es ist eine bemerkenswerte Zweiklassengesellschaft, die hier in den Zügen geschaffen wurde. Auf der einen Seite stehen die, die sich an die Regeln halten, also die für ein Ticket zahlen. Auf der anderen Seite: jene, die sich die Regeln nach Belieben zurechtlegen – und dabei wissen, dass sie ohnehin keine Konsequenzen zu befürchten haben. Denn wer spuckt, schlägt, bedroht, der hat gute Chancen, nicht kontrolliert zu werden. Stattdessen zieht man sich zurück, lässt die Gewalt freie Bahn und spricht das nur im kleinsten Kreis aus.

Schauen wir doch mal in den Bericht, der schon im Mai dieses Jahres hier veröffentlicht  wurde. Es sind erschreckende Szenen, die da von einer Bahngewerkschaft beschrieben werden. Für Lokführer und Zugbegleiter ist verbale und körperliche Gewalt zur Gewohnheit geworden. „Beleidigungen, Bedrohungen, Messerangriffe“ – das ist Alltag auf dieser Strecke. Viele Zugbegleiter schotten sich bei bestimmten Gruppen komplett ab, verschließen sich in der Kabine, bis die problematischen Fahrgäste den Zug verlassen haben. Nicht etwa aus Faulheit, sondern aus purer Angst vor Gewalt. „Teilweise lebensgefährlich“ sei die Arbeit für die Zugbegleiter, so die Aussagen.

Doch was geschieht? Mehr Sicherheitspersonal werde eingesetzt, hieß es. Doch das reicht ganz offensichtlich nicht aus. Die Täter, die ihre Macht in den Zügen ausspielen, sitzen eine Woche später wieder im Zug – die Kontrolleure in der Kabine eingeschlossen, weil sie sich schlicht nicht mehr trauen, ihren Job zu machen.

Statt hart durchzugreifen, lässt man die Mitarbeiter jetzt „selbst entscheiden“, ob sie kontrollieren oder lieber den Rückzug antreten. „Deeskalation“ nennt es die Süd-Thüringen-Bahn, wenn Zugbegleiter Fahrgäste, die aggressiv werden könnten, nicht mehr nach Fahrkarten fragen. „Vermeidung von Konflikten“, heißt es im schönsten Bürokratendeutsch. Was das wirklich bedeutet, wissen die Mitarbeiter der Bahn: Angst.

Und hier liegt das eigentliche Problem: Ein Rechtsstaat, der zulässt, dass gewisse Gruppen nicht mehr kontrolliert werden, verliert seine Autorität. Wenn Zugbegleiter „situativ“ entscheiden dürfen, ob sie das Gesetz durchsetzen oder nicht, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch andere Bereiche des öffentlichen Lebens vor renitenten Gruppen kapitulieren. Wir sind auf einem gefährlichen Weg, wenn Gewalt und Renitenz de facto belohnt werden, indem man sie einfach ignoriert.

Natürlich werden jetzt einige sagen, die angebliche „Deeskalation“ sei sinnvoll, um die Sicherheit zu gewährleisten“. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss Recht durchgesetzt werden, auch und gerade dann, wenn es schwierig wird. Wie sollen die Menschen, gerade die nicht so länger hier Wohnenden – um es im gruseligen Stil von Angela Merkel zu sagen – ohne größere Gewöhnung an unsere Spielregeln, Respekt vor unserem Gesetz haben, wenn sie täglich erleben, dass die Aggressivsten es nicht einmal befolgen müssen? Es ist ein Signal der Schwäche, das weit über den öffentlichen Nahverkehr hinausgeht. Es zeigt sich hier eine schleichende Erosion der Rechtsdurchsetzung, die sich wie ein Virus ausbreitet.

Das ist die Realität im „besten Deutschland aller Zeiten“, wie es uns so gerne verkauft wird. Doch wenn es brenzlig wird, dann gilt das Recht eben nicht für alle gleichermaßen. Manche dürfen einfach auf das Gesetz pfeifen, solange die eigenen Leute brav zahlen und die Regeln befolgen. Es gibt eben Gleiche und Gleichere – und die haben einen Freifahrtschein. In doppelter Hinsicht.

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