Von Daniel Weinmann
Weil hierzulande 1,73 Millionen Stellen unbesetzt sind, sinnierten die SPD und die Grünen im Frühsommer über ein Gesetz für den sogenannten „Spurwechsel“. Asylbewerber sollten demnach erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik eine langfristige Bleibeperspektive über Arbeit erwerben können. Bedenken der FDP, dass dies Pull-Effekte ins Asylsystem nach sich ziehen könnte, ließen die rotgrünen Gralshüter der Willkommenskultur kalt.
Bereits im Juni kippten die Freidemokraten um und einigten sich mit der SPD und den Grünen auf eine Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Kurz vor Weihnachten billigte auch der Bundesrat die entsprechende Änderung des Aufenthaltsgesetzes. Ursprünglich sollte der „Spurwechsel“ erst im März 2024 in Kraft treten.
Asylbewerber haben damit künftig einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zu Beschäftigungszwecken und können sich so – auch aus dem Asylverfahren heraus – ihren langfristigen Aufenthalt sichern. Dies gilt auch dann, wenn sie keinen Schutzbedarf haben.
Nur jeder zehnte Migrant mit offenem Verfahren geht einer Beschäftigung nach
Die dafür notwendigen Kriterien sind unschwer zu erfüllen. So darf das Asylverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sein. Zudem müssen die Asylbewerber zwar ihren Antrag zurücknehmen, dürfen aber zu einem späteren Zeitpunkt einen Folgeantrag stellen. Und schließlich müssen sie die spezifischen Voraussetzungen für den Aufenthaltstitel erfüllen.
Dazu zählen neben einem Studium oder einer Berufsausbildung die Sicherung des Lebensunterhalts, Deutschkenntnisse und ein Jobangebot. Zudem kommen nur Migranten in den Genuss des neuen Regelwerks, wenn sie vor dem 29. März 2023 eingereist sind. Damit soll vordergründig sichergestellt werden, dass allein wegen des neuen Gesetzes keine zusätzlichen Migranten nach Deutschland kommen und einen Antrag stellen.
Zwar war Ende 2022 bei rund 415.000 Migranten das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, sodass sie potenziell infrage kommen. Laut des Migrationsexperten Herbert Brücker geht aber nur jeder Zehnte einer Beschäftigung nach. Die Gründe: mangelnde Deutschkenntnisse, Probleme, eine frühere Ausbildung in Deutschland anerkennen zu lassen, und fehlende Netzwerke.
Vom Rest werde früher oder später die Mehrheit ohnehin einen Schutzstatus erhalten, prognostiziert Brückner, weil im Jahr 2022 eine hohe Zahl von Asylbewerbern aus Ländern mit recht hohen Anerkennungsquoten wie Afghanistan oder Syrien gekommen seien. Über den „Spurwechsel“ werde ihre Integration aber beschleunigt.
Deutschland bleibt der Selbstbedienungsladen der Welt
Die Regierungsparteien loben sich derweil selbst: Mit dem „kleinen Spurwechsel“ mache man einer kleinen Gruppe „ein ganz neues Integrationsangebot“, sagte etwa die Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan der „Welt“. Kritik kommt von der Opposition: „Jeder Spurwechsel bringt weitere Unordnung ins System“, zitiert das Springer-Blatt den innenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm.
Die Aufhebung der Trennung zwischen Asyl- und Erwerbsmigration setze „weitere falsche Anreize für illegale Migration“. Die Ampelkoalition setze ihre Politik der „Ausweitung von Bleiberechten“ für Menschen fort, die eigentlich ausreisepflichtig seien. Als Signal bleibe: „Ein Asylantrag ist die Eintrittskarte für ein besseres Leben in Deutschland, ohne dass es wirklicher Fluchtgründe bedarf.“
Ohnehin fragt sich, was Berlin langfristig vorhat. Noch ist die Zahl der Betroffenen überschaubar, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung rechnet mit wenigen 10.000 Menschen. Doch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass einmal geschaffene Bleiberechte häufig ausgeweitet werden. Zu befürchten ist zudem, dass der „Spurwechsel“ eine neue Hintertür für die endgültige Duldung von Migranten schafft, etwa durch kurzfristige Scheinbeschäftigungen bei Freunden oder Verwandten. Deutschland bleibt der Selbstbedienungsladen der Welt.
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Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Jochen Netzker/Shutterstock