„Wichser“ im Bundestag Wenn es im Hohen Haus wie im Freibad zugeht

Sehen Sie hier mein Video zum Thema – Merz dechiffriert.

Als Journalist erlebt man immer wieder Momente, in denen man neidisch ist auf die Kollegen. Etwa auf eine besonders gelungene Schlagzeile. Heute war das der Fall. Als ich in der „Jungen Freiheit“ folgende Überschrift las: „Wenn der Bundestag zum Freibad wird„. Bravo! Hut ab, liebe Kollegen! Besser geht es nicht! Und ich habe mir erlaubt, als Hommage meine Unterzeile an diese geniale anzulehnen.

Denn tatsächlich verroht die Kultur hierzulande nicht nur in Freibädern – die viele Familien gar nicht mehr besuchen, aus Angst vor der Gewaltkultur, die dort Einzug gehalten hat. Zu Handgreiflichkeiten kam es heute zwar im Bundestag nicht, für die sonst eher vornehme Atmosphäre im Hohen Haus war es aber doch ungewöhnlich, was sich dort der SPD-Hinterbänkler Michael Schrodi leistete. Im hellblauen Polo-Hemd, blauer Jeans und Turnschuhen löste er vor dem Podium tumultartige Szenen aus. Er bezeichnete einen CDU-Politiker im Präsidium als „Wichser“. Seit dem „Arschloch“-Ruf des späteren Bundesaußenministers von 1984 eine der heftigsten Entgleisungen. Wobei Fischer das auf den damaligen Vize-Bundestagspräsidenten Richard Stücklen (CSU) gemünzte Schimpfwort anders als Schrodi seines heute wenigstens höflich umrahmte: „Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch!“, so das Gesamt-Zitat.

Der gelernte Lehrer ließ es nicht nur bei Verbal-Attacken. Wild gestikulierend stürmte er vor dem Podium Richtung AfD und CDU und musste von Abgeordneten am Weiterstürmen gehindert werden. Ob er das Parlament mit einem Rugby-Platz verwechselte? Er schimpfte wie ein Rohrspatz. Der CDU warf er sinngemäß vor, sie stimme „mit den Faschisten von der AfD“ und mache diese salonfähig. Ob sich diese Pöbelei an Merz richtete oder an den CDU-Vertreter im Präsidium, darüber gibt es unterschiedliche Versionen. Fakt ist: Es kostete seine Kollegen einiges an Mühe Schrodi zu beruhigen. Es schien zuvor, als stünde er kurz davor, auch körperlich übergriffig zu werden.

Seine Genossin im Präsidium, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, war sichtbar angefasst. Kein Wunder: Da versucht sie ständig, die AfD-Abgeordneten zu den Schmuddelkindern zu machen – und dann so was aus den eigenen Reihen. Bas verhängte einen Ordnungsruf und eine Strafe von 1.000 Euro und schimpfte: „Es ist mir wirklich nicht leicht gefallen, aber es hat hier kurz vor der Abstimmung vom Abgeordneten Michael Schrodi einen wirklich derartigen verbalen Angriff auf das Präsidium und auf einzelne Abgeordnete dieses Hauses gegeben, sodass ich das als eine mehr als geringfügige Verletzung der parlamentarischen Ordnung werten muss.“

Hohe Nervosität

Der Vorfall ist insbesondere deshalb erwähnenswert, weil er zeigt, wie blank die Nerven bei den Regierungsparteien liegen. Sie spüren, dass sie mit ihrer Politik des „Umbaus“ der Gesellschaft gegen den Willen der Mehrheit nicht so vorankommen, wie sie sich das erwünscht haben. Und obwohl sie weiter im Walde pfeifen, ist ihnen im Inneren wohl doch bewusst, dass ihnen ihre rot-grünen Felle davon schwimmen. Selbst die SPD-Bundestagspräsidentin musste eingestehen: „Es ist alles schwierig, die Nerven liegen scheinbar blank hier kurz vor der Sommerpause.“

So war etwa der „offizielle“ Auslöser für die Wutattacke des Sozialdemokraten eher ein harmloser: Dass die Opposition Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Thema Heizgesetz ins Parlament zitieren wollte. Weil ihr die Abstimmung per Hand zu knapp war, setzte die Union, offenbar unterstützt von der AfD, einen sogenannten „Hammelsprung“ durch. Bei diesem müssen die Abgeordneten je nach ihrem Abstimmungswunsch durch eine von mehreren Tür gehen, und werden dabei gezählt. Habeck war kurz zuvor gegangen, mit Hinweis auf einen Termin im Bundesrat. Blöd nur, dass der dort nirgends eingetragen war. Womit der Verdacht im Raum steht, dass der Vizekanzler das Parlament belogen hat. Die Regierungsmehrheit verhinderte schließlich, dass er zum Rapport bestellt wurde.

Kein Klartext im Stenogram

Pöbler Schrodi selbst bestritt später, das Wort „Wichser“ genutzt zu haben. Im Protokoll des Bundestags steht, dass er aufgrund „verbaler Drohungen und Entgleisungen gegenüber dem Sitzungsvorstand und anderen Abgeordneten“ ein Ordnungsgeld von 1000 Euro bekam. Weiter ist dort zu lesen: „Da die Stenografen die Äußerungen nicht hören konnten, sind sie nicht im Stenografischen Bericht verzeichnet.“

Ich musste beim Schreiben dieser Zeilen immer wieder daran denken, dass kritischen Journalisten wie mir von der Regierung vorgeworfen wurde, wir diskreditierten die demokratischen Institutionen. Mir fällt dazu ein wunderbares Zitat des großen ukrainisch-russischen Schriftstellers Gogol ein: „Man soll nicht den Spiegel schimpfen, wenn er eine Fratze zeigt.“

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Bilder: Deutscher Bundestag/Youtube/Screenshot

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