Wiesendanger vs Drosten: Professoren-Streit geht in die nächste Runde Nanowissenschaftler sieht Belege für Beteiligung an GoF-Forschungsprogramm

Von Kai Rebmann

Vor etwas mehr als einem Jahr hat Roland Wiesendanger schwere Vorwürfe gegen Christian Drosten erhoben und deutliche Kritik an dessen Rolle in der Corona-Krise geübt. In einem am 2. Februar 2022 veröffentlichten Interview sagte der Hamburger Physiker den Kollegen des „Cicero“ unter anderem, dass der damalige Chefberater der Bundesregierung die Öffentlichkeit über den Ursprung von Corona gezielt getäuscht habe und Drosten einer Bewegung von Wissenschaftlern angehöre, deren Ziel es sei, die Forschung frei von Beschränkungen zu halten. Diese und weitere Äußerungen waren seither regelmäßig Gegenstand von juristischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Professoren. Insgesamt wollte Drosten seinem Gegenüber die weitere Verbreitung von nicht weniger als neun Aussagen untersagen lassen.

Mit Ausnahme der beiden eingangs zitierten Vorwürfe darf Wiesendanger alle weiteren in dem strittigen Interview getätigten Aussagen auch weiterhin verbreiten bzw. verbreiten lassen. Das geht aus dem jüngsten Urteil in dieser Causa hervor, das am 17. Januar 2023 vom Hanseatischen Oberlandesgericht gefällt wurde. Dies gilt insbesondere auch für die Aussage, die „Theorie der Zoonose, also eines natürlichen Ursprungs der Pandemie“, entbehre jeder Grundlage. Wörtlich hatte Wiesendanger gesagt: „In diesem Brief kam zum allerersten Mal der Begriff Verschwörungstheorie im Zusammenhang mit der Labortheorie auf. Später haben ihn Journalisten und Politiker übernommen, aber eingeführt wurde er von diesen 27 Virologen, die sich sehr frühzeitig auf die Theorie der Zoonose, also eines natürlichen Ursprungs der Pandemie, festgelegt haben. Aber das entbehrte jeder Grundlage.“ Anders als das Landgericht Hamburg, das Wiesendanger zuvor auch die Verbreitung dieser Aussage noch untersagt hat, sah das Hanseatische Oberlandesgericht hierin eine zulässige Meinungsäußerung. Dasselbe gelte demnach auch für die von Wiesendanger ebenfalls geäußerte Einschätzung, dass „so etwas … nicht in eine wissenschaftliche Zeitschrift“ gehöre.

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Hütchenspiel in der Urteilsbegründung

Spannend wird es nun bei den Aussagen, die der Hamburger Physiker künftig nicht mehr verbreiten (lassen) darf. Dies aber weniger wegen der eigentlichen Inhalte, sondern vor allem aufgrund der dafür vom Hanseatischen Oberlandesgericht angeführten Gründe. Eine „gezielte Täuschung“, wie sie von Wiesendanger vorgeworfen wurde, könne demnach darauf bezogen werden, „dass der Antragsteller (Drosten) positiv gewusst habe, dass das Virus im Labor entstanden sei, und jetzt öffentlich behaupte, dass es definitiv nicht im Labor entstanden sei, zum anderen darauf, dass der Antragsteller gewusst habe, dass das Virus zumindest möglicherweise im Labor entstanden sei, und jetzt in diesem Wissen gegenüber der Öffentlichkeit definitiv behaupte, dass feststehe, dass es nicht im Labor entstanden sei.“ Ja, die juristische Sprache ist eine bisweilen schwere und vor allem langatmige Sprache.

Wiesendanger sah offenbar die letztgenannte Version als gegeben an und belegte dies unter anderem damit, dass in einer Telefonkonferenz am 1. Februar 2020, an der Drosten beteiligt war, die Möglichkeit eines Laborursprungs ernsthaft erwogen wurde. Nur wenige Tage später, am 19. Februar 2020, wurden die Vertreter dieser Theorie in einem offenen Brief an chinesische Wissenschaftler als „Anhänger einer Verschwörungstheorie“ bezeichnet. Dem hielt das Gericht entgegen, dass es im Laufe dieser Telefonkonferenz keine Festlegung gegeben habe und ein „sicheres Wissen hinsichtlich dieses Punktes“ nicht reklamiert worden sei. Seltsam: Nur wenige Zeilen zuvor hatte dasselbe Gericht in seiner Urteilsbegründung noch betont, dass eine gezielte Täuschung auch „nur“ voraussetzen kann, „dass das Virus zumindest möglicherweise im Labor entstanden“ sei. Und zwei Sätze später wird dann darauf abgestellt, dass es kein „sicheres Wissen“ gegeben habe? Mit diesem Argument ließe sich bestenfalls die erstgenannte Definition einer gezielten Täuschung widerlegen, nicht aber im von Wiesendanger verwendeten Sinne.

Laborursprung war für Drosten erstaunlich schnell ‚vom Tisch‘

Darüber hinaus machen die Hamburger Richter geltend, der von Drosten mitunterzeichnete Brief vom 19. Februar 2020 sei keine „wissenschaftliche Abhandlung“, sondern vielmehr eine „Verteidigungsschrift zugunsten der die Pandemie bekämpfenden Wissenschaftler in China“. Tatsächlich trägt das Schreiben die Überschrift „Statement in support of the scientists, public health professionals, and medical professionals of China combatting COVID-19“, sodass man diesem Argument insoweit noch folgen kann. Das Gericht betont zudem, dass sich Drosten in der Zeit nach der Publikation des offenen Briefes öffentlich mehrfach dahingehend geäußert habe, „dass der Laborursprung eine denkbare Ursache für das SARS-CoV-2-Virus sein könnte“, er einen natürlichen Ursprung aber für wahrscheinlicher halte. Als einziges Beispiel für diese anscheinend „mehrfachen Äußerungen“ wird ein NDR-Podcast vom 8. Juni 2021 angeführt.

Nur einen Tag später, am 9. Juni 2021, wurde der Laborursprung in eben diesem Podcast aber erneut als „Verschwörungstheorie“ verächtlich gemacht. Der Interviewer sagte an Drosten gewandt: „Sie schreiben, dass Sie Verschwörungstheorien verurteilen, die darauf hindeuten, dass Covid-19 keinen natürlichen Ursprung hat.“ Diese Aussage ließ der Virologe unwidersprochen im Raum stehen, so dass er sie sich wohl anrechnen lassen muss. Am 14. Mai 2020 beleuchtete der „Focus“ die Frage nach dem Ursprung des Virus und schrieb dazu: „Top-Virologe Christian Drosten erklärt, warum es nur eine Antwort darauf geben kann.“

Bei diesem Artikel handelte es sich – anders als beim wenige Wochen zuvor publizierten offenen Brief – aber nicht um eine „Verteidigungsschrift“ für chinesische Wissenschaftler. Drosten erklärte darin, der Laborursprung sei „vom Tisch“. Darüber hinaus bezeichnete Drosten Aussagen des Nobelpreisträgers Luc Montagnier, die in Richtung eines Laborursprungs deuteten, als „kompletten Unsinn“. Der „SZ“ sagte Drosten im Februar 2022, dass im Labor in Wuhan zwar „Sachen gemacht wurden, die man als gefährlich bezeichnen könnte“, dabei aber „nicht das SARS-CoV-2-Virus herauskommen“ konnte. Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass sich der Virologe auch nach der Publikation der sogenannten „Verteidigungsschrift“ tatsächlich mehrfach zu dem Thema geäußert hat, aber eben in sehr eindeutiger Weise.

Wiesendanger wirft Gericht Uminterpretation seiner Aussagen vor

Laut Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts wurde Wiesendanger auch die künftige Verbreitung folgender Aussage untersagt: „ … die Bewegung ‚Scientists for Science‘, zu deren Mitbegründer Christian Drosten zählte, habe das Ziel gehabt, die virologische Forschung frei von Beschränkungen zu halten.“ Die Richter monieren, dass der „verständige Durchschnittsrezipient“ diese Aussage „im Lichte der ihr vorausgehenden Äußerung“ so auffasse, dass „Herr Drosten … in der ganzen Diskussion um die Gain-of-Function-Forschung immer im Lager derjenigen“ gewesen sei, „die gesagt haben, dass virologische Forschung frei von staatlichen Regularien sein muss, dass in der Wissenschaft alles selbst geregelt werden kann und genügend Selbsteinsicht herrsche.“

Wiesendanger wirft dem Gericht gegenüber reitschuster.de eine freie Uminterpretation seiner Aussagen vor. Wörtlich habe er im „Cicero“-Interview gesagt: „Drosten war Mitbegründer einer Gegeninitiative, die sich ‚Scientists for Science‘ nannte. Diese Bewegung hatte zum Ziel, die virologische Forschung frei von Beschränkungen zu halten.“ In der Tat ist es ein großer Unterschied, ob etwas „frei von Beschränkungen“ oder „frei von staatlichen Regularien“ gehalten werden soll. Wiesendanger verweist hierzu auf die Selbstbeschreibung der Bewegung, in der es im englischen Originaltext heißt: „lf we expect to continue to improve our understanding of how microorganisms cause disease we cannot avoid working with potentially dangerous pathogens. ln recognition of this need, significant resources have been invested globally to build and operate BSL-3 and BSL-4 facilities, and to mitigate risk in a variety of ways, involving regulatory requirements, facility engineering and training. Ensuring that these facilities operate safely and are staffed effectively so that risk is minimized is our most important line of defense, as opposed to limiting the types of experiments that are done.“

Und hier die Übersetzung: „Wenn wir unser Verständnis davon, wie Mikroorganismen Krankheiten verursachen, weiter verbessern wollen, kommen wir nicht umhin, mit potenziell gefährlichen Krankheitserregern zu arbeiten. In Anerkennung dieser Notwendigkeit wurden weltweit beträchtliche Ressourcen in den Bau und Betrieb von BSL-3- und BSL-4-Anlagen sowie in eine Vielzahl von Maßnahmen zur Risikominderung investiert, die staatliche Regularien, Anlagentechnik und Schulungen umfassen. Die Sicherstellung, dass diese Einrichtungen sicher funktionieren und über effektives Personal verfügen, um das Risiko zu minimieren, ist unsere wichtigste Verteidigungslinie, anstatt die Art der durchgeführten Experimente einzuschränken.“

Unklare Rolle im Konsortium eines GoF-Forschungsprogramms

Oder anders ausgedrückt: Die Bewegung verwahrt sich gegen eine Einschränkung „der Art der durchgeführten Experimente“, zum Beispiel der hochriskanten Gain-of-Function-Forschung. Nichts anderes hat Wiesendanger in dem fraglichen Interview gesagt, nur eben mit etwas anderen Worten: „Diese Bewegung hatte zum Ziel, die virologische Forschung frei von Beschränkungen zu halten.“ Wie das Gericht nun darauf kommt, jemand könne darunter verstehen, dass Wiesendanger Drosten und der Bewegung unterstellt habe, deren Ziel sei es, die Forschung „frei von staatlichen Regularien“ zu halten, erschließt sich nicht. Und auch der Physiker wundert sich, „dass ‚Beschränkungen‘ mit ‚staatlichen Regularien‘ gleichgesetzt wurden, obgleich im Originaltext der Selbstdarstellung der Gruppe ‚Scientists for Science‘ diese beiden Begriffe als gegensätzlich (‚as opposed to‘) dargestellt werden. Das heißt, man hat mein Originalzitat gerade so umgedeutet, dass nach der Umdeutung notwendigerweise eine falsche Tatsachenbehauptung resultieren musste.“

Unabhängig von dem Richterspruch aus Hamburg gibt es nach Ansicht von Wiesendanger neue Hinweise darauf, „wie stark Herr Drosten in die Gruppe von Wissenschaftlern eingebunden war, die im Zusammenhang mit der Vorgeschichte des SARS-CoV-2-Virus eine wesentliche Rolle gespielt haben.“ Der Physiker bezieht sich dabei auf eine Publikation aus dem Jahr 2014 (liegt reitschuster.de vor), aus der hervorgeht, dass Drosten Mitglied des PREDICT-Konsortiums war – gemeinsam mit Wissenschaftlern wie Peter Daszak oder Zhengli Shi, die im Kontext mit der hochriskanten Gain-of-Function-Forschung an Coronaviren in Wuhan weithin bekannt sind. Wiesendanger dazu: „Aus dem PREDICT-Programm der NIH (National Institutes of Health, Unterabteilung von Dr. Fauci) wurde und wird nach wie vor ein Forschungsvorhaben unter anderem von Peter Daszak und Zhengli Shi gefördert (Förderzeitraum: 2019 – 2024), welches zuvor unter dem Kurznamen DEFUSE von der DARPA im Rahmen des PREEMPT-Programms abgelehnt wurde mit Verweis auf die Gefährlichkeit der geplanten Gain-of-function-Forschungsexperimente, welche unter anderem den Einbau von Furin-Spaltstellen in SARS-artige Coronaviren vorsahen. Die Furin-Spaltstelle ist seit Beginn der Pandemie eines der markantesten Merkmale des SARS-CoV-2 Virus, welches sonst bei keiner anderen SARS-Coronaviren-Art auftritt.“

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

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