„Wir leben in zwei völlig voneinander getrennten Sphären in diesem Land“ #allesdichtmachen

Von Christian Euler

Seit Donnerstagabend kann niemand mehr sagen, dass der Protest gegen die Corona-Maßnahmen nur aus den Reihen von Rechten, Reichsbürgern oder Impf-Esoterikern kommt. Unter dem Hashtag „#allesdichtmachen“ hatten 53 deutsche Schauspieler auf ironische und sarkastische Art die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und deren Folgen sowie die Berichterstattung kritisiert (reitschuster.de berichtete).

Doch was die Politik in ironisch-pointierter Manier hinterfragen sollte, weitete sich binnen kürzester Zeit zu einem veritablen Skandal aus, der einmal mehr die zunehmende Spaltung der Gesellschaft offenbart. Das öffentliche Echo auf die Aktion zeigt unmissverständlich, wie sehr wir im Schwarz-Weiß-Denken gefangen sind und uns jegliche kritische Distanzfähigkeit zunehmend verlorengeht.

Für Doppeldeutigkeit und Persiflage gibt es derzeit augenscheinlich wenig Platz. „Grundsätzlich finde ich es immer bedenklich, wenn Humor nicht erlaubt sein darf“, unterstreicht Schauspieler Christian Ehrich, der die Aktion unterstützte. Aus Angst, in die rechte Ecke gedrängt zu werden, ruderten Protagonisten wie Heike Makatsch, Richy Müller und Meret Becker schon früh zurück und löschten ihre Videos. Weitere haben sich – gleichsam prophylaktisch – entschuldigt, um dem Stigma des Querdenkertums zu entgehen.

„Schlechter, bornierter Schrumpfsarkasmus“

Andere hatten einfach Angst. Zum Nachdenken über die Befindlichkeit unserer Gesellschaft in Zeiten der Pandemie sollte diese Anmerkung auf der Website der Aktion (allesdichtmachen.de) anregen: „Wenn Videos von dieser Seite verschwinden, dann heißt das nicht zwingend, dass die jeweiligen Leute sich distanzieren. Es kann auch bedeuten, dass jemand sich einfach nicht in der Lage sieht, diesen Shitstorm auszuhalten, oder dass Familie und Kinder bedroht werden.“ Meret Becker wurde laut Bild-Zeitung wegen ihrer Teilnahme an dem Künstlerprotest sogar mit dem Tod bedroht.

Öl ins Feuer goss ausgerechnet ein Künstlerkollege, der sich immer wieder in den politischen Diskurs einschaltet: Der Pianist Igor Levit twitterte, die stumpfste Waffe gegen die Pandemie sei „schlechter, bornierter Schrumpfsarkasmus, der letztendlich bloß fader Zynismus ist, der niemandem hilft. Nur spaltet.“ So, als wäre die Spaltung der Gesellschaft, auch aufgrund einer fragwürdigen Informationspolitik, nicht längst traurige Realität.

Jan Josef Liefers lässt sich von derartigen Einlassungen nicht von seinem Kurs abbringen. Der Schauspieler lässt WDR-Moderator Martin von Mauschwitz in der „Aktuellen Stunde“ aussehen wie einen Grundschüler, der sich in seinem ersten Interview für die Schülerzeitung versucht. Auf die Frage von Mauschwitz, der nach eigenem Bekunden „enttäuscht“ von Liefers ist, wie er dazu komme, die Medien als gleichgeschaltet zu werten, antwortet dieser sichtlich genervt: „Von gleichgeschaltet war nicht die Rede. Ich habe gesagt, dass seit einem Jahr alle dabei sind, den Alarm dahin zu halten, wo er hingehört – und zwar ganz weit oben, und es ist ziemlich egal, wann und wie und wo. Mein Punkt ist in dieser Übertreibung, dass ich gerne auch über die Rolle der Medien in dieser Pandemie eine große Diskussion hätte. Da geht es nicht nur um mich. Ich betrachte mich selbst auch nur als einen Teil.“

Jan-Josef Liefers gibt schwachem WDR-Moderator keine Chance

In Hochform läuft der u. a. aus dem Münster „Tatort“ bekannte Schauspieler auf, als Mauschwitz, der ihm immer wieder ins Wort fällt, wissen will, ob er „wirklich so naiv“ sei, mit dem Video „exakt auch das Narrativ, die Erzählung der Corona-Leugner und dieser rechtsextremen Lügenpresse-Schreihälse“ zu bedienen. „Wissen Sie, wann das letzte Mal jemand zu mir gesagt hat: Sind Sie so naiv?“, fragt Liefers zurück, „das war ein Mitarbeiter des Zentralkomitees in der DDR auf der Schauspielschule.“ – „Da sind wir weit von weg“, versucht der WDR-Journalist sich aus der Affäre zu ziehen. Doch Liefers lässt nicht locker: „Ich weiß. Aber so war’s halt. Die Frage klingt genau so. Ich wollt’s Ihnen nur einfach mal sagen.“

Mauschwitz, der durch sein fortgesetztes Framing unfreiwillig zum Beweisstück für den schlechten Ruf der Öffentlich-Rechtlichen wird, startet einen weiteren Versuch: „Ich möchte am Schluss Ihren letzten Satz aufgreifen: Verzweifeln Sie ruhig, aber zweifeln Sie nicht. Mit anderen Worten: Die Verzweifelten sind der Politik und den Medien egal. Meinen Sie das wirklich?“ Liefers‘ Replik: „Ich finde, Sie könnten den Verzweifelten mehr Aufmerksamkeit schenken, ja, das meine ich.“ Setzen, sechs, Martin von Mauschwitz.

Dietrich Brüggemann, der bei einigen #allesdichtmachen-Videos Regie führte, hat von Beginn an damit gerechnet, dass die Aktion missverstanden wird und antwortete mit einem bewegenden Tweet, den Sie hier nachlesen können. „Unser Land ist momentan so zwiegespalten, dass die Aktion von einem Teil der Leute überhaupt nicht verstanden werden kann“, sagte er zwischenzeitlich dem Nachrichtensender n-tv, „wir leben in zwei völlig voneinander getrennten Sphären in diesem Land. Wenn man aber natürlich von vornherein der Meinung ist, dass wir zynische, menschenverachtende Arschlöcher sind, dann braucht man nicht mal Phantasie, um das darin zu sehen, klar.“

„Damit ist das ganze Thema im Keim erstickt“

Der vor allem durch einige Tatort-Folgen bekannte Regisseur gibt Einblick in seine Motivation für die Videos: „Die Art, wie wir mit Corona umgehen, ist eine andere, als die, mit der wir mit dem Tod in unserer Gesellschaft generell umgehen. (…) Wir haben ein neues System. Wir müssen um jeden Preis Corona-Tote verhindern. Das ist das neue Paradigma unserer Gesellschaft. (…) Wenn wir sagen, jeder Corona-Tote ist einer zu viel, dann können die Maßnahmen nie genug sein, und das kritisieren wir mit dieser Aktion.“

Unterstützung bekommt Brüggemann – eher unerwartet – von einem Vertreter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, der bisher nicht durch besondere Milde gegenüber Corona-Maßnahmen-Kritikern aufgefallen ist: „Nicht jeder, der einen neuen Untertanengeist aufs Korn nimmt, ist ein ‚Querdenker‘ oder ‚nimmt Tausende Tote‘ in Kauf. Wir sollten aufhören, uns gegenseitig in Ecken zu treiben, aus denen keiner mehr herauskommt“, tweetete Georg Restle, WDR-Moderator und Leiter des Polit-Magazins „Monitor“.

Es müsse uns als Gesellschaft irgendwann gelingen, auch Corona in unser etabliertes, erprobtes Verhältnis zum Tod einzubauen, mahnt Brüggemann. Dass sich der öffentliche Diskurs in seiner Kritik sehr einseitig auf „rechte“ Anschauungen kapriziert, macht Brüggemann mit diesem Einwand deutlich: „Auf einmal sehe ich mich in Gesellschaft mit der AfD und Teilen der FDP – und Sahra Wagenknecht. Warum wird mir deren Zuspruch nicht vorgeworfen?“

Die Diskussion, wie viel Lockdown verhältnismäßig sei und wie viel wir kaputt machten in unserer Gesellschaft – das könne man doch nicht der AfD überlassen, so Brüggemann gegenüber n-tv. „Und den Prozess dann stigmatisieren und jedem, der protestiert, sagen: ‚Du vertrittst jetzt hier AfD-Positionen.‘ Das ist doch totalitär. Damit ist das ganze Thema im Keim erstickt.“

Umso mehr überrascht, dass die E-Mail-Adresse der Aktions-Website laut Brüggemann mit positiven Nachrichten geflutet wird: „98 Prozent sagen ‚Danke‘“.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!
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Dipl.-Volkswirt Christian Euler widmet sich seit 1998 intensiv dem Finanz- und Wirtschaftsjournalismus. Nach Stationen bei Börse Online in München und als Korrespondent beim „Focus“ in Frankfurt schreibt er seit 2006 als Investment Writer und freier Autor u.a. für die „Welt“-Gruppe, Cash und den Wiener Börsen-Kurier.
Bild: Screenshot #allesdichtmachen
Text: ce

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