Wladimir Putin: So tickt der russische Präsident wirklich Mein Psychogramm des Kreml-Chefs

Diesen Beitrag habe ich 2014 auf dem Höhepunkt der damaligen Ukraine-Krise geschrieben. Er ist aktueller denn je. Nur in einem Punkt habe ich mich damals fatal geirrt. Dass Angela Merkel ihn durchschaut, war zwar richtig – dass die Frau, die aus einer Pfarrersfamilie mit engem Kontakt zum KGB-Umfeld stammt, aber offenbar in Wahrheit hinter der potemkinschen Fassade ihrer Worte mehr Helfershelferin Putins war als Gegenspielerin, habe ich zu spät verstanden.

Wladimir Putin hat die Perestroika verpasst. Als seine Landsleute in der UdSSR sich über das Ende der Diktatur freuten, lebte er als KGB-Offizier in der DDR. Die war für ihn eine kleine, heile Welt: Sauberer und reicher als die Sowjetunion.

Ausgerechnet Michail Gorbatschow zerstörte Putins Idylle in Dresden. Als Demonstranten am Zaun der KGB-Villa rüttelten, hatte er Dienst. Und Angst. „Ich bin bereit zu sterben“, schrie er in die Menge. Er bat die Armee um Hilfe. Die Antwort: „Moskau schweigt!“ Sein Staat ließ Putin im Stich. Die Szene hat er nie vergessen.

Der Zerfall der Sowjetunion ist sein Albtraum. Als er 1990 nach Leningrad zurück muss, kann sein Staat ihm keine standesgemäße Arbeit und Wohnung bieten. 1996 wird er, inzwischen Vize-Bürgermeister, sogar arbeitslos, als sein Chef die Wahl verliert. Putin fühlt sich erniedrigt. Dieses Gefühl quält ihn bis heute.

Damals habe er verstanden, so Putin später, dass die Sowjetunion an einer „Lähmung der Macht“ leide. Eine richtige Diagnose. Aber er zog die falschen Schlüsse. Nicht das Fehlen von Demokratie, Freiheit und Offenheit sieht er als Sargnagel der UdSSR, sondern dass es in der Perestroika zu viel davon gab. Als Präsident tut Putin alles, um Gorbatschows „Fehler“ rückgängig zu machen. Er errichtet eine „DDR 2.0“, mit Blockparteien, gelenkten Wahlen, Neo-Kapitalismus und Reisefreiheit.

Putin spricht viel von Demokratie. Doch was die bedeutet, hat er sich bei Honecker abgeschaut statt bei Willy Brandt. Das macht den Dialog so tückisch: Putin nutzt die gleichen Begriffe wie wir, aber meint etwas anderes.

Modernisierung bedeutet für ihn eben auch modernere Wahlfälschung und Zensur. Die westlichen Ideale hält er für Etikettenschwindel. Er glaubt, dass wir nur besser sind im Lügen. Dass Demokratie mehr sein könnte als Propaganda, liegt außerhalb seiner Vorstellungswelt.

Kritik kontert Putin stets mit dem Hinweis auf angeblich ähnliche Missstände im Westen. Die Krim verglich er mit dem Kosovo – als hätte sich auf der Halbinsel ein Völkermord angebahnt. Solche Unterschiede blendet er aus. Wie alles, was stören könnte bei seiner Mission: dem „Zusammensammeln der slawischen Erde“.

Dafür heiligt der Zweck alle Mittel: Dass er und seine Getreuen Gesetze brechen und sich bereichern. Dass sie Andersdenkende verfolgen. Dass der Staat alles ist und der einzelne Mensch nichts.

Putins Großvater war Koch bei Stalin. Dessen Erzählungen haben ihn geprägt: Er führte die Melodie der Stalin-Hymne wieder ein, die neuen Schulbücher beschreiben den Diktator als Helden und Gorbatschow als Schwächling. Die Perestroika, die er nie erlebte, sieht er als Verrat. Russland wurde „auf die Knie gezwungen“, sagt er. Kompromisse und Diplomatie sind für ihn ein Zeichen von Schwäche. Und die hasst er: „Die Schwachen werden geschlagen.“

Geschlagen hat ihn einst sein gefühlskalter Vater. Mit dem Gürtel. Als schmächtiger Junge wurde Wladimir in seinem Hinterhof in einem Leningrader Arbeiterviertel gehänselt und geprügelt. Er tut alles, um stark zu werden. Lernt Judo. Geht zum KGB. Posiert als Muskelmann.

Der KGB prägte ihn. Er sei ein „Spezialist im Umgang mit Menschen“, sagt er. Anwerben ist sein Beruf. Auch in der Krim-Krise erahnt er gekonnt Stimmungen, wirbt im Westen erfolgreich um Sympathisanten. Nur Angela Merkel, die gelernte DDR-Bürgerin, durchschaut ihn. Die Kanzlerin sei der einzige Mann im Westen, witzeln sie im Kreml, und haben Achtung vor ihr.

Der KGB richtete seine Leute darauf ab, überall Verrat und Verschwörung zu wittern. Selbst im eigenen Umfeld. Das hat Putin einsam gemacht. Er sieht sein Land umzingelt von der Nato. Dass er seine Nachbarn selbst verprellte, bis sie sich dem Westen annäherten, verdrängt er. Wer ihn, den „nationalen Führer“, kritisiert, muss ein ausländischer Agent sein. Oder Faschist.

Er fühlt sich vom Westen schlecht behandelt. Er spricht vom „Sieger-Volk“, von „Gefahren für das Vaterland“ und sogar vom „Sterben vor Moskau“: Putin befindet sich im gefühlten Kriegszustand. Immer nationalistischer, aggressiver und völkischer werden seine Töne. Die meisten im Westen wollen nicht glauben, dass er das ernst meint.

Mit dem Anschluss der Krim hat Putin seinen Albtraum ein Stück weit vertrieben. Um 26 844 Quadratkilometer. Er hat Russland wieder stark gemacht, so sieht er das. „Revanche“ ist sein Schlagwort, das Auswetzen der „Schmach“ von 1990. Er gab dem „erniedrigten“ Land seinen Stolz zurück. Viele Russen empfinden das ähnlich. Dank Dauer-Propaganda haben sie vergessen, dass die Perestroika auch eine Befreiung war.

48 Prozent der Russen ist es wichtiger, in einer Großmacht zu leben, die „geachtet und gefürchtet wird“, als in einem Land mit mehr Wohlstand. Das ist das Resultat von Putins Politik. Deshalb wird er gefeiert. Deshalb sind die sozialen Probleme vergessen. Als er vergangene Woche auf dem Roten Platz den „Krim-Anschluss“ feierte, wirkte Putin erstmals seit Jahren gelöst. Sein Albtraum schien verschwunden. Aber für wie lange?

Hier ein Video zum Thema:

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Bild: Rokas Tenys/Shutterstock
Text: br

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