Manche von Ihnen werden sich noch an den Untergang des russischen Atom-U-Bootes Kursk erinnern. Es ging am 12. August 2000 bei einem Manöver der russischen Nordflotte in der Barentssee unter. Alle 118 Mann an Bord starben. Nicht alle sofort. Mindestens 23 Mann überlebten zunächst im Inneren des Bootes: Aber sie konnten sich nicht aus eigener Kraft aus dieser Tiefe befreien. Hätte Präsident Putin nicht ausländische Hilfe ausgeschlagen, obwohl Russland selbst keine ausreichenden Bergungsmöglichkeiten hatte – wer weiß. Vielleicht könnten sie noch leben. Eines der Besatzungsmitglieder schrieb eine Notiz, die später geborgen wurde:
12. August 2000 15:45
Hier ist es zu dunkel, um zu schreiben,
aber ich versuche es durch Fühlen.
Es scheint keine Chance zu geben, 10–20 Prozent.
Hoffentlich
liest das jemand.
Hier ist eine Liste des Personals der Sektionen,
die in der neunten [Sektion] sind,
und versuchen werden, rauszukommen.
Grüße an alle,
nicht verzweifeln.
Kolesnikow
Ich traf damals Hinterbliebene der Opfer. Ich besuchte die Familie von Kolesnikow, der diese Zeilen schrieb, traf seine Witwe. Ich war an der Unglücksstelle in der Barentssee.
Warum ich all das schreibe in einem Artikel über Bundeskanzler Olaf Scholz? Weil ich nie vergessen werde, wie damals Präsident Putin in einer US-Talkshow auf die Frage antwortete, was mit der Kursk passiert ist. „Es ist untergegangen“, sagte der Kreml-Chef mit einem zynischen Lächeln. Das sich mir ins Herz bohrte, nach all dem Leid, das ich miterlebt habe. So ein Zynismus, sagte ich meinen russischen Freunden, sei von Politikern in einem demokratischen Land wie in Deutschland nicht denkbar.
An all das musste ich denken, als ich mir gestern eine Szene auf der Pressekonferenz nach dem G7-Gipfel in Elmau ansah. Die polnisch-deutsche Journalistin Rosalia Romaniec fragte, mit leichtem Akzent, aber in völlig korrektem Deutsch: „Herr Bundeskanzler, die G7 bekannten sich sehr ausdrücklich zu den Sicherheitsgarantien für die Ukraine auch nach dem Krieg. Könnten Sie konkretisieren, welche Sicherheitsgarantien das sind?“
Die Antwort des Kanzlers bestand aus drei Worten, einem zynischen Lächeln und Schweigen: „Ja“. Und nach einer kurzen Pause: „Könnte ich“.
Was dann folgte, war mindestens genauso schlimm wie die Dreistheit von Scholz: Einige andere Journalisten lachten.
Scholz (Wahlkampfmotto: „Respekt für Dich“ ) lächelte dann noch verschmitzter, und fügte mit einem verschlagenen Grinsen hinzu: „Das war’s“.
Und erneut lachten Journalisten.
Romaniec schrieb anschließend auf Twitter: „Echt schade, Herr Bundeskanzler. Als ich Deutsch gelernt habe, wurde mir für Pressekonferenzen dringend die Höflichkeitsform empfohlen.“
Eigentlich müsste dieser Artikel hier aufhören. Denn jedem Menschen, der das Herz am rechten Fleck hat, sträuben sich hier die Nackenhaare und man muss nichts hinzufügen.
Aber dennoch ein paar Worte: Der Auftritt war kein Ausrutscher, sondern typisch für den Stil von Scholz, den ich auf der Bundespressekonferenz auch am eigenen Leib zu spüren bekam. Er gleicht Putin in dieser zynischen Manier wie ein Ei dem anderen.
Dass sich kein einziger Journalist vor Ort für die Kollegin einsetzte, dass viele sogar lachten, ist ein neuer Tiefpunkt im deutschen Journalismus. Man kann sich gar nicht so viel fremdschämen, wie man es müsste.
Mich erinnerte die Szene an mein eigenes Erlebnis mit Angela Merkel, als diese versuchte, mich zu verhöhnen. Auf meine Frage nach Rissen in der Regierung wegen unterschiedlicher Aussagen in Sachen Corona antwortete sie 2021 in der Bundespressekonferenz: „Gibt es außer Rissen bei Ihnen noch irgendwas Zusammenhängendes?“ Die Journalisten im Saal klopften sich auf die Schenkel und lachten laut. Später schrieben Kollegen, Merkel hätte mich zerlegt. Ich finde, sie hat sich entlarvt. Genauso wie Scholz das jetzt tat.
Aber nicht nur die Kanzlerin hatte sich entlarvt. Auch die linke Blase auf Twitter und in manchen Medien. Sie zeigten damit ihre unjournalistische Nähe zur Regierung und eine beinahe schon obsessive Fixierung auf deren Kritiker.
PS: Erstaunlich auch, dass der Arroganz-Anfall von Scholz in den Medien nicht einmal ansatzweise eine Reaktion auslöste wie der Lacher des damaligen Kanzler-Kandidaten bei der Flutkatastrophe 2021. Tröstlich, dass es zumindest auf Twitter heftige Kritik gab:
Das ist beschämend, Herr @Bundeskanzler. Wenn Sie keine Lust mehr auf Politik haben, hören Sie bitte auf. Ansonsten reißen Sie sich zusammen. Sie sind Regierungschef und kein Deutschlehrer, der seine Schüler*innen mit grammatikalischen Spitzfindigkeiten nerven kann! https://t.co/8RSvcY00du
— Theresa Hannig 🌊💪😷 (@t_matam_t) June 29, 2022
Jedes Land hat den Kanzler, den es verdient. https://t.co/ceARknHVoA
— Niema Movassat (@NiemaMovassat) June 28, 2022
https://twitter.com/tinapruschmann/status/1541839669595447296?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1541839669595447296%7Ctwgr%5E%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.tichyseinblick.de%2Fdaili-es-sentials%2Felmau-journalistin-scholz%2F
Das muss dieser Respekt sein, den der damals noch nicht @Bundeskanzler im Wahlkampf, den ich und viele Parteifreund:innen über Wochen mit Herzblut unterstützt haben, in jedes Mikrofon gerufen hat. Was für ein Tiefpunkt, ich bin sehr angewidert. https://t.co/3CoUhdYDt6
— Tina Pruschmann (@tinapruschmann) June 28, 2022
Unverständlich, was Kanzler Scholz bei dieser Antwort geritten hat. Aber das ist nicht witzig, sondern nur überheblich gegenüber einer ausländischen Journalistin. #Sicherheitsgarantien https://t.co/xw0VmI6Zfr
— Markus Grill (@m_grill) June 28, 2022
Bild: Screenshot Youtube Welt Nachrichtensender
Text: br
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