Mir ist nicht mehr geheuer, was in diesem Land passiert. Ich habe 16 Jahre in Russland gelebt und gearbeitet, in einem autoritären System. Ich habe dort Schlimmes erlebt. Aber ich habe mich dort nie einer Zensur unterworfen gesehen wie heute hier im selbsternannten „besten Deutschland aller Zeiten“. Selbst im russischen Staatsfernsehen konnte ich das System Putin als korrupt kritisieren. Ich wurde dabei überschrien, es war höchst unfair, aber ich konnte sagen, was ich wollte, und es wurde nicht zensiert. Könnte ich heute in ARD oder ZDF Merkel kritisieren?
Anders als in Putins gesteuerter Demokratie und Medienwelt, in der ich als Ausländer natürlich auch privilegiert war, muss ich mir heute in Deutschland jedes Wort dreimal überlegen, wenn ich etwa meine Videos für Youtube mache. Schlimmer noch: Jedes Wort eines Interview-Partners kann zu schwerwiegenden Folgen für mich führen. Gestern tat ich das, was für einen Journalisten selbstverständlich ist: Ich übertrug live von der Corona-Maßnahmen-Gegner-Demonstration in Stuttgart. Presse-Alltag. Wenige Stunden später war das Video gelöscht und mein Kanal mit 218.000 Abonnenten gesperrt. Für eine Woche. Mit einem Interview mit Fußball-Weltmeister Thomas Berthold, das ich am Rande der Demonstration aufzeichnete, ging ich auf einen zweiten Kanal auf Youtube. Kein einziger Zuschauer konnte das Video zu Ende ansehen: Es wurde mitten in der Premiere gelöscht (unten können Sie es ansehen und sich selbst ein Bild machen).
Die Pressefreiheit in Deutschland wird im Stundentakt erdrosselt. Nicht einmal einen halben Tag nach den beiden Zensur-Fällen wurden beide Beschwerden von mir dagegen zurückgewiesen. Die Tragweite der Entscheidung ist erheblich: Damit kann ich etwa meinen Abonnenten diese Woche nicht von der Bundespressekonferenz berichten. Es ist ganz egal, wie man zu den Corona-Maßnahmen steht, ob man rechts oder links, konservativ oder liberal ist, ob man meine Arbeit mag oder nicht: Jeder aufrichtige Demokrat müsste angesichts solcher Zensur seine Stimme erheben, aufstehen und protestieren. Was geschieht stattdessen: Im besten Fall Wegducken, im schlimmsten Schadenfreude über und Applaus für die Youtube-Zensur auf Twitter. Nichts könnte besser verdeutlichen, wie weit unsere Gesellschaft von den Idealen einer freiheitlichen Demokratie abgedriftet ist in Richtung Meinungs-Totalitarismus.
Neben Bösartigkeit ist Dummheit und Naivität dabei ein wichtiger Wegbegleiter der neuen Zensoren: Youtube habe doch ein „Hausrecht“, ist immer wieder zu hören. Und man könne doch anderswo seine Meinung sagen. Das ist absurd: Zum einen ist Youtube als Quasi-Monopolist laut deutscher Rechtsprechung an die Grundrechte gebunden – also auch an das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Zum anderen ist der Verweis auf andere Wege so absurd, als wenn ein Diktator Verlegern sagt, sie dürften zwar ihre Zeitung nicht mehr in den Druckereien drucken lassen, weil die das alle ablehnen als Privatunternehmer, aber sie könnten sie schließlich auf Papier schreiben. Oder Radiosender einen Lautsprecher statt Radiofrequenzen nutzen. Viele in Deutschland scheinen nicht den feinen Unterschied in Sachen Meinungsfreiheit zu erkennen, den der Diktator Idi Amin einst so definiert haben soll: „Ich garantiere völlige Freiheit beim Reden, allerdings nicht danach.“
Der Staat macht seine Hände nicht schmutzig
Ebenso erschreckend wie die Zensur selbst ist, wie viele Menschen sie nicht einmal verstehen. Und der Nebelgranate auf den Leim gehen, es seien doch Privatfirmen, die da agieren. Sind es. Aber kann eine Telefongesellschaft die Inhalte von Telefonaten zensieren? Der Staat hat die sozialen Netzwerke unter Druck gesetzt zu zensieren. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wurde sogar in der russischen Duma als Vorbild angeführt. Unser Staat hat bei der Einführung von autoritären, demokratiefeindlichen Schritten das Outsourcing eingeführt. Kritische Meinungen? Darf man haben! Aber wenn man sie verbreitet, droht eine Sperre, faktisches Reklame-Verbot etc. Einschränkungen für Nicht-Geimpfte? Würde der Staat nie machen! Aber wenn es die Firmen tun…. Restaurant-Verbote, Rausschmisse aus Banken für Andersdenkende? Nicht der Staat macht das bei uns, sondern formell private Firmen. Und der Staat schafft die Atmosphäre, in der diese privaten Firmen das tun, ja beinahe tun müssen.
Unfreiheit und autoritäre Mechanismen schleichen sich immer durch die Hintertür ein. Während die deutsche Gesellschaft auf die Gewaltherrschaft des Dritten Reiches fixiert ist mit ihren Schrecken, ist sie völlig blind geworden für die Untergrabung der Demokratie durch die Hintertür. Nicht à la Orwell mit offener Unterdrückung, sondern so, wie es Huxley vorhersagte: Dass die neuen Diktaturen nicht auf Gewalt bauen werden, sondern darauf, das Denken der Menschen zu manipulieren. Nur daraus lässt sich die fast schon panische Angst vor anderen Meinungen erklären, das Abschalten von Videofilmen noch während der Premiere, das Abschmettern von Beschwerden binnen Stunden. In freiheitlichen Demokratien wäre das undenkbar. Sie hätten es vor allem gar nicht nötig. Wie viel muss ein Staat zu verbergen haben, wenn er sich genötigt sieht, so eine Atmosphäre der Angst und der Zensur zu schaffen?
Die Geschichte zeigt: Die, die zensierten, hatten eher selten recht. Und gingen noch seltener als die „Guten“ in die Geschichte ein. Da, wo zensiert wurde, war der Zusammenbruch der jeweiligen Systeme immer eine Frage der Zeit. Doch leider ist das keine gute Nachricht: Denn egal wie abgewirtschaftet ein System sein mag – ein Zusammenbruch ist nie erbaulich. Und wie die Geschichte der Sowjetunion zeigt, kann es zudem auch Jahrzehnte dauern, mit einer ewigen Phase des Dahinsiechens. Damals haben Leute ihr Leben und ihre Freiheit riskiert für den Kampf gegen die Unfreiheit. Heute müsste man eigentlich gar nicht so viel riskieren. Es wäre die Sache wert.
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