Brasilien – ein Land in Aufruhr IT-Experte sieht Hinweise auf möglichen Wahlbetrug

Von Kai Rebmann

Brasilien hat gewählt! Am 30. Oktober setzte sich der linke Luiz Inácio Lula da Silva gegen den konservativen Amtsinhaber Jair Bolsonaro durch. Laut offiziellem Wahlergebnis entfielen 50,9 Prozent der Stimmen auf Lula, der von 2003 bis 2011 schon einmal Brasiliens Staatsoberhaupt gewesen war, und 49,1 Prozent votierten demnach für Bolsonaro. Damit setzt sich der Linksruck in Südamerika fort. Mit Ecuador, Paraguay und Uruguay gibt es derzeit nur noch drei Länder, die nicht von Sozialisten regiert werden. Bis auf die Maduro-Junta in Venezuela werden sämtliche Regierungen in Südamerika von der internationalen Staatengemeinschaft als legitim anerkannt.

Olaf Scholz zögerte nicht damit, Lula zu dessen Erfolg zu gratulieren, auch wenn der Wahlsieger nicht nur in seiner Heimat alles andere als unumstritten ist. Und so kam es in den Stunden und Tagen nach dem Urnengang in Brasilien – unter weitgehender Missachtung der deutschen Medienlandschaft – zu landesweiten Protesten und Straßenblockaden. Anhänger von Jair Bolsonaro witterten Wahlbetrug und legten weite Teile der Infrastruktur des Landes lahm. Auch unser Team erreichten einige Zuschriften zu dem Thema, überwiegend von Deutsch-Brasilianern, die entweder selbst in Südamerika leben oder enge Verwandte und Freunde dort haben. Im Zuge der Recherchen in zahlreichen portugiesisch- und spanischsprachigen Quellen ergaben sich tatsächlich einige Hinweise, die einen Wahlbetrug zwar nicht definitiv belegen, aber dennoch zur Kenntnis genommen werden sollten. Darüber hinaus lohnt es sich, auch die Vergangenheit und die Machenschaften zu beleuchten, die dazu geführt haben, dass Lula da Silva mehrere Jahre in einem Gefängnis in Curitiba zugebracht hat.

Brasil Was Stolen – Der geklaute Wahlsieg?

Die erste Spur führt zu einer Gruppierung, die sich „Brasil Was Stolen“ nennt, was sich offensichtlich auf den vermeintlichen Wahlsieg Bolsonaros bezieht. Eine Leserin schickte uns dazu eine Mitteilung, die sich in Brasilien und einigen anderen Ländern Südamerikas, insbesondere Argentinien, wie ein Lauffeuer zu verbreiten begann: „Ex-Präsident Lula wurde im Zuge des größten Korruptionsskandals in der Geschichte des Landes angeklagt und kam ins Gefängnis. Er wurde nicht freigesprochen, aber seine Prozesse wurden eingestellt, damit er zur Präsidentschaftswahl antreten konnte, und zwar durch Personen, die der Ex-Präsident damals in den obersten Gerichtshof gesetzt hatte. Während des Wahlprozesses kam es zu vielen Unstimmigkeiten und Zensuren der Medien, die gegen unsere Verfassung verstoßen. Die Wahlen wurden manipuliert. Der Betrug wurde statistisch bewiesen, von den internationalen Medien aber nicht thematisiert, weil wir in Brasilien unter Zensur stehen. Wir protestieren für das Wohl unseres Landes und die Zukunft unserer Kinder. Brasil Was Stolen – und die Welt muss es erfahren! Wir bitten die Streitkräfte Brasiliens aktiv einzugreifen.“

Unwillkürlich fühlt man sich im ersten Moment an eine brasilianische Version des Tauziehens um das Weiße Haus in den USA erinnert. Trotzdem – oder gerade deshalb – ging die Spurensuche weiter. Sowohl seitens der Leserin als auch durch persönliche Kontakte erreichten mich immer mehr Videos, die Aufmärsche des Militärs und von Menschenmassen gefüllte Plätze in Rio de Janeiro und weiteren Städten Brasiliens zeigten. In einigen Berichten war von bis zu 85 Millionen Brasilianern die Rede, die sich an den landesweiten Protesten beteiligt haben sollen. Vor allem die Art und Weise sowie der Zeitpunkt von Lulas Freilassung aus dem Gefängnis stieß vielen Anhängern Bolsonaros bitter auf. Denn außer Lula war weit und breit kein Kandidat in Sicht, dem realistische Chancen gegen den Amtsinhaber eingeräumt worden wären.

Fakt ist: Der Ex-Präsident saß seit dem 7. April 2018 in Curitiba im Gefängnis, nachdem er wegen seiner Verwicklung in den Petrobras-Odebrecht-Skandal zu einer Haftstrafe von mehr als 12 Jahren verurteilt worden war. Zudem waren weitere Anklagen wegen Korruption anhängig. Am 7. November 2019 ordnete Brasiliens Oberster Gerichtshof die Freilassung Lulas an. Hierbei ist bemerkenswert, dass die Freilassung nicht etwa aufgrund eines Freispruchs erfolgte. Vielmehr hatte das Gericht bemängelt, dass der Richter, der Lula hinter Schloss und Riegel gebracht hatte, voreingenommen gewesen sein soll. Und in der Tat ist dieser Verdacht nicht gänzlich von der Hand zu weisen, denn besagter Sérgio Moro wurde unter Jair Bolsonaro später zum Justizminister berufen.

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Trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack. Denn am 8. März 2021 hob der Oberste Gerichtshof insgesamt vier gegen Luiz Inácio Lula da Silva verhängte Urteile auf, allesamt waren wegen Korruption ergangen. Begründung: Das Gericht in Curitiba sei nicht zuständig gewesen, weshalb die Fälle in Brasilia neu aufgerollt werden müssten. Doch dazu kam es nie und damit war ganz nebenbei auch der Weg für eine erneute Kandidatur gegen Jair Bolsonaro frei. Fakt bleibt deshalb: Lula befindet sich wegen vermeintlicher Form- bzw. Verfahrensfehler auf freiem Fuß, Freisprüche gab es bis zum heutigen Tag in keinem der betreffenden Verfahren.

Indizien für möglichen Wahlbetrug

Bleibt noch die Behauptung der Gruppierung „Brasil Was Stolen“, dass der Wahlbetrug „statistisch bewiesen“ worden sei. Bei Wahlen in Brasilien kommen elektronische Urnen zum Einsatz, die in Deutschland vom Bundesverfassungsgericht aus wohl gutem Grund bis heute nicht zugelassen sind. Am 10. November gab das Verteidigungsministerium in Brasilia eine offizielle Erklärung heraus. Darin wird unter anderem mitgeteilt, dass den Technikern des Militärs im Vorfeld der Wahl nicht ausreichend Gelegenheit gegeben worden sei, um die Urnen darauf zu untersuchen, ob „die Möglichkeit des Einflusses eines möglichen bösartigen Codes“ ausgeschlossen werden kann, der Einfluss auf die Funktionsweise des Wahlsystems hätte nehmen können. Ferner sei der Zugang der Techniker zum Quellcode und der Software, die jeweils von Dritten entwickelt worden waren, eingeschränkt gewesen. Daher sei es ihnen unmöglich gewesen, die Funktionsweise der Codes „vollständig zu verstehen“, wie es weiter heißt.

Aber natürlich gilt es auch hier zu bedenken, dass das Verteidigungsministerium dem Noch-Präsidenten Jair Bolsonaro unterstellt ist. Weitaus unabhängiger klingen da die Argumente von Luis Manuel Aguana. Der Journalist und IT-Experte aus Venezuela ist Kolumnist für das News-Portal „Noticiero Digital“. Aguana vergleicht die beiden Wahlgänge bei der Präsidentschaftswahl in Brasilien in seinem aktuellen Artikel mit „allen Wahlen in Venezuela seit dem Jahr 2004“. Ebenso wie das Castro-Chavista-Madurista-Regime seit eben diesem Jahr jede Wahl in Venezuela gestohlen habe, so sei dies auch bei der jüngsten Wahl in Brasilien der Fall gewesen. Doch wie kommt Aguana zu diesen Behauptungen?

Zunächst erläutert der Informatiker, warum er nicht trotz, sondern gerade wegen seines beruflichen Hintergrunds unbedingt gegen elektronische Wahlurnen ist. Bei einer manuellen Abstimmung gehe man in ein Wahllokal, mache sein Kreuz und werfe den Zettel in eine Urne. Danach würden die Stimmen im Beisein von Zeugen aus jeder Partei ausgezählt, womit die Abläufe für jedermann nachvollziehbar seien. Bei Wahlen mit elektronischen Urnen vertraue der Wähler seine Stimme hingegen einem Computer an und das sei es dann gewesen. Das Gerät spukt ein Ergebnis aus, das man dann glauben kann oder auch nicht. Er höre oft das Argument, dass Wahlcomputer mit spezieller Software ausgestattet seien, um Betrug zu verhindern. Das stimme zwar, räumt Aguana ein, aber ebenso gebe es auch „technische Möglichkeiten“, diese zu umgehen. Nun ist aber auch das bloße Vorhandensein einer Möglichkeit natürlich noch lange kein Beleg für Wahlbetrug im großen Stil.

Gravierende Unterschiede bei den Wahlergebnissen

Aguana weist darauf hin, dass bei der Wahl in Brasilien verschiedene Arten von elektronischen Wahlurnen zum Einsatz gekommen sind. Insgesamt soll es sich um sechs Modelle gehandelt haben, die aus den Jahren 2009 bis 2020 stammen. Die Auswertung der Wahlergebnisse in Kleinstädten habe beträchtliche Unterschiede im vermeintlichen Abstimmungsverhalten der Wähler ergeben, so Aguana. Der IT-Experte zitiert aus einem Beitrag der PanAm Post: „In Städten mit weniger als 50.000 Wählern markieren Maschinen aus dem Jahr 2020 einen Unterschied von 10 Punkten zwischen den beiden Kandidaten (44,97 Prozent zugunsten von Bolsonaro gegenüber 55,03 Prozent für Lula da Silva). Im Vergleich dazu gibt es bei nicht geprüften Maschinen (vor 2020) einen Unterschied von 15 Punkten (42,68 zu 57,32 Prozent).“ Noch gravierender waren die Unterschiede im Nordosten Brasiliens. Dort wiesen die 2020er-Modelle ein Ergebnis von 62,92 zu 37,08 Prozent zugunsten von Lula aus, die älteren Modelle sahen den späteren Wahlsieger dagegen mit 74,61 zu 25,39 Prozent vorne.

Aguana sieht derart signifikante Unterschiede in einzelnen Kleinstädten als viel zu groß an, als dass sie auf statistischen Zufall zurückzuführen sein könnten. Auffallend ist zudem, dass die älteren und nicht auf Manipulierbarkeit geprüften Wahlmaschinen stets einen deutlich größeren Vorsprung für Lula ausgewiesen haben. In Anbetracht des äußerst knappen offiziellen Wahlergebnisses gewinnen solche Hinweise auf mögliche Unregelmäßigkeiten auf jeden Fall zusätzlich an Brisanz.

Der von unzähligen sogenannten „Wahlen“ in seiner Heimat gepeinigte Venezolaner kommt aufgrund der ihm vorliegenden Erkenntnisse zu einem ebenso klaren wie auch radikalen Fazit: „Wir hoffen, dass die legitime Regierung von Präsident Jair Bolsonaro einen historischen Meilenstein setzt, indem sie diesen betrügerischen Sieg, der durch elektronische Mechanismen errungen wurde, ignoriert und unverzüglich eine gründliche Reform des Wahlsystems in Brasilien vorantreibt. Die Abschaffung automatisierter Systeme ohne die gebührende Gewährleistung der Transparenz durch ein Land wie Brasilien wäre der erste Schritt zur Rettung der übrigen Wahlsysteme in Lateinamerika. Wir Venezolaner würden es zu schätzen wissen.“

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Shuttserstock

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