Zurück aus dem Youtube-Sibirien Corona-Demos, Spaltung der Gesellschaft, Nawalnij

Nach sieben Tage Sperrung konnte ich jetzt zum ersten Mal wieder auf meinem angestammten Kanal auf Youtube auf Sendung gehen – dafür wartete gleich eine neue Strafaktion der Firma, die zum google-Imperium gehört. Doch dazu mehr in der Sendung und demnächst hier auf der Seite. Als „Überraschungsgast“ war diesmal Marina Litwinenko bei mir in der Sendung: Die Witwe des 2006 mit radioaktivem Polonium in London vergifteten Ex-FSB-Agenten und Putin-Intimfeinds Alexander Litwinenko. Wir sprachen über die Vergiftung von Kreml-Kritiker Alexej Nawalnij. Ein Thema, mit dem sich Marina Litwinenko leider bestens auskennt.

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Hier noch ihr bewegender Appell an die Deutschen:

„Liebe Deutsche: Verwechselt bitte nicht Putin mit Russland!“ Ein bewegender Appell der Witwe des 2006 mit Polonium ermordeten Kremlkritikers Alexander Litwinenko*: „Wer Putin unterstützt, der unterstützt den Zerfall Russlands.“

Ich bin oft in Deutschland, weil ich Land und Leute liebe. Fast jedes Mal, wenn ich hierher komme, wundere ich mich über die Einstellung vieler Deutschen zu Russland. Auf der einen Seite herrscht eine große Begeisterung für alles Russische – für die russische Kultur, für die russische Literatur, für die russische Musik, für das, was man hier die russische Seele nennt, also die Emotionalität von uns Russen. Diese Sympathie für Russland bewegt mich tief.

Allerdings tut es mir sehr weh, zu sehen, wie oft diese Sympathie fehlgeleitet, ja missbraucht wird. Viele Deutsche glauben, wer Russland liebt, muss auch Putin gut finden. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Wer Putin unterstützt, der unterstützt den Zerfall Russlands. Das heutige Regime im Kreml ist kriminell, raubt das Land aus, terrorisiert Kritiker, wie meinen Mann, den es umbrachte. Es überfällt Nachbarländer wie die Ukraine. Es steht für Krieg. Für Terror. Und für eine Mischung aus den schlimmsten Elementen der Sowjetunion und des Westens: Stalinismus und Mafia-Herrschaft.

Ich habe in Deutschland eine merkwürdige Begriff-Verwirrung festgestellt: Russland-Freude nennt man hier diejenigen, die Putin verteidigen – aus der Ferne, ohne in Russland zu leben. Und Putin-Kritiker werden hier Russland-Feinde genannt. Putin-Versteher nennt man diejenigen, die kein Russisch sprechen, die also die Kriegshetze im russischen Fernsehen, das Schüren von Hass gegen Kritiker, von Ultra-Nationalismus, von Blut- und Boden-Stimmung nicht verstehen.

Das Argument vieler Putin-Verteidiger ist, die Menschen in Russland seien nicht reif für Demokratie und Rechtstaat. Wie zynisch ist das! Glauben sie etwa, wir Russen würden gerne in Willkür, und Rechtlosigkeit, in Armut und Unterdrückung leben? Was für ein Bild von den Menschen in Russland haben Putins Verteidiger, wenn sie so argumentieren? Das erinnert an Rassismus, an finstere Zeiten…

Ich bitte alle Deutsche: Gehen Sie diesem Etikettenschwindel nicht auf den Leim. Würden Sie einen Franzosen, der Merkel kritisiert, für einen Deutschlandhasser halten? Nein? Dann tun sie das auch bei Putin-Kritikern nicht. Bitte trennen Sie zwischen den Menschen in Russland und diesem Regime, das sie unterdrückt und ausbeutet.

Es wundert mich, dass in Deutschland so viele Menschen glauben, Putin habe 80 Prozent Unterstützung in Russland. Das, so heißt es, besagten Meinungsumfragen. Das ist absurd. Und naiv: Die Mehrheit der Russen haben Angst, bei Meinungsumfragen die Wahrheit zu sagen. Hinter jedem Befrager könnte ein IM des FSB stecken, wie der KGB heute heißt. Wenn so ein unbekannter Befrager anruft oder klopft, denkt jeder normale Russe sofort an den Standardspruch aus US-Filmen: „Alles, was sie sagen, kann gegen sie verwendet werden.“

Auch höre ich hier oft, Russland wäre ohne Putin verloren. Dass es keine Alternative gäbe, und man deshalb mit ihm zusammenarbeiten müsse. Das ist Unsinn.

Die Demonstrationen Ende März mit Zehntausenden Teilnehmern zeigen das. Es waren vor allem junge Menschen, die auf die Straße gingen. Weil sie keine Zukunft sehen unter dem heutigen Regime. Die in Demokratie und Freiheit leben wollen.

Es ist wichtig, dass Deutschland und Europa jetzt genau die Menschen unterstützt, die sich für Demokratie einsetzen in Russland: Für eine Politik mit ehrlichem Wettbewerb und Konkurrenz, in der Regierungen friedlich abwählen können, in der die Justiz unabhängig ist und die Medien frei.

Wichtig ist auch, dass der Westen endlich umdenkt bei den Sanktionen: Dass die heute geltenden so schlecht greifen, liegt daran, dass sie zu allgemein sind.

Die Sanktionen müssten gegen konkrete Leute aus der Führungsschicht und dem Umfeld von Putin gehen – auch gegen deren Familienmitglieder. Sie entgegnen, das sei Sittenhaft? Nein, denn sie nutzen ihre Beziehungen, um riesige Vermögen anzuhäufen und Russland auszubeuten.

Schon heute bekommen viele einfache Russen kein Visum für EU, auch wenn sie Verwandte dort haben. Oft wird die „Rückkehrwilligkeit“ angezweifelt, oder die Geldmittel, die sie nachweisen können, reicht nicht aus.

Warum wird bei einfachen Bürgern mit so hartem Maß gemessen – und diejenigen, die auf ihre Kosten Vermögen anhäuften, sollen privilegiert werden?  Die EU muss hier den Spieß umdrehen: Visaerleichterungen für einfache Russen, Erschwernisse für die Nomenklatura.

Der so genannte Magnizki-Akt zeigt, wie das wirkt: Mit ihm haben die USA für eine Reihe von russischen Beamten, die direkt oder indirekt am Mord an dem Anwalt Sergej Magnizki beteiligt waren, Einreise- und Vermögens-Sperren beschlossen. Im vergangenen Jahr wollte Russland alles daransetzen, dass diese aufgehoben werden. Weil sie so wirksam sind. Wir brauchen einen Magnitzki-Akt der EU.

Die Menschen in Deutschland haben oft keine Vorstellung davon, wie die Lage in Russland wirklich ist. Wie angespannt. Dass die einfachen Menschen die Leidtragenden sind von dem, was schief läuft im Land. Die einfachen Menschen werden mit Abgaben und Steuern erdrückt – viele können ihre Familien nicht mehr ernähren. Die medizinische Versorgung ist katastrophal. Abseits von Moskau und den Millionenstädten zerfällt das Land buchstäblich.

Was in Russland passiert, ist außerhalb der Vorstellungswelt der Deutschen. Bei vielen Gesprächen sehe ich: Sie tun sich schwer, sich das vorzustellen, was ich ihnen erzähle. Etwa bei der Korruption. Die Menschen in Deutschland stellen sich das vor wie Rost an einem Metall. Aber sie verstehen nicht, dass in Putins Russland alles aus Rost besteht – und kein Metall mehr übrig ist.

Hier wären auch die Medien gefragt, die Dinge besser zu erklären. Den Deutschen die Augen zu öffnen. Ja, die Medien berichten von Missständen. Aber Missstände gibt es überall. Aufgabe der Journalisten ist es, den Menschen klar zu machen, dass diese Missstände in Putins Russland allzu oft nicht die Ausnahme sind, wie im Westen, sondern die Regel.

Das System Putin mit seiner unvorstellbaren Korruption und kriminellen Energie ist ein Krebsgeschwür, das leider Metasthasen bildet; die gehen nach Europa, in die USA. Konkret bedeutet das, dass Teile der Eliten dort korrumpiert werden. Putin steht für weltweite Korruption! Das hat mein Mann immer erzählt, davon wollte er berichten. Vor über zehn Jahren. Damals nahm das keiner Ernst. Inzwischen gibt es immer mehr Menschen, die das verstehen.

Ich bitte Sie, liebe Deutsche: Lieben Sie weiter Russland, seine Literatur, Kultur, Musik. Aber auch wenn es schwierig ist: Machen Sie einen Trennstrich in Ihren Köpfen zwischen diesem wunderbaren Russland und diesem Monster, das im Kreml sitzt.

Aufgezeichnet von: Boris Reitschuster


Hier mein aktuelles Wochenbriefing:

Liebe Leserinnen und Leser,

ich hatte dieses Wochenbriefing schon fertig geschrieben, da bekam ich eine Nachricht, die ich unbedingt noch an den Anfang stellen will. Gerade kamen die neuen Zahlen für August rein. reitschuster.de hatte 1,33 Millionen Besucher – ein Plus von 99,8 Prozent gegenüber dem Juli. Die Seite wurde 2,34 Millionen mal aufgerufen. Damit ist reitschuster.de dem Cicero auf den Fersen, einem großen Medium mit großer Redaktion (1,89 Millionen Besucher im August). Aber jetzt weiter mit dem ursprünglichen Wochenbriefing:

Die Ideen von General Iwan I. Agajanz, dem früheren Chef der KGB-Desinformation, scheinen noch erschreckend lebendig. „Jeder, der über unsere wahren Pläne genau oder unparteiisch … schreibt oder spricht, muss rasch als Rechter oder Faschist abqualifiziert oder der Lächerlichkeit ausgesetzt werden.“ Auch heute wird diese Methode wieder ganz breit angewandt. Ohne dass sich diejenigen, die das tun, wohl bewußt sind, wer einst diese Idee ausbrütete.

Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung werden in den Medien mit aller Gewalt als rechtsextrem dargestellt. Dieses Framing ist so erfolgreich, dass der führende Kopf hinter „Querdenken 711“, Michael Ballweg, jetzt seine  Absicht fallen ließ, am 3. Oktober eine neue Demonstration in Berlin zu machen. Stattdessen soll die nun in Konstanz an der Grenze zur Schweiz stattfinden. Ballweg wollte vermeiden, dass erneut Rechtsextreme seine Demonstration nutzen, um mitzumischen.

Das ist tatsächlich auch passiert am 29. August. Es ist gut, das zu thematisieren, denn es ist selbstverständlich ein Problem. Eine Irreführung ist es allerdings, wenn heute sehr viele Medien deswegen den ganzen Protest gegen die Corona-Maßnahmen als rechtsextrem oder zumindest anfällig für Rechtsextremismus hinstellen. Das Zurückweichen von „Querdenken 711“ zeigt, dass diese Taktik aufging: Eine Demonstration an der Schweizer Grenze ist irrelevant. KGB-General Agajanz hätte wohl seine helle Freude daran, wie seine Methoden auch heute noch funktionieren (siehe auch meinen Beitrag „Der Kampf gegen rechts von KGB und Stasi)

Auch ich selbst werde immer wieder mit dem Erbe des KGB-Manns konfrontiert.  Schon mehrfach haben mir Leser, durchaus wohlmeinend, geschrieben, ich solle mich doch mehr mit Rechtsextremismus beschäftigen, weil ich mich sonst angreifbar mache, wenn ich mehr über Linksextremismus schreibe. Das sehe ich genau umgekehrt: Solange in den großen Medien zu 90 Prozent das Thema Rechtsextremismus vorherrscht, wäre es Unsinn, wenn ich als kleines Korrektiv auch noch die Hälfte meiner knappen Zeit damit verbringen würde, mit dem Strom zu schwimmen. Ich muss da Akzente setzen, wo die anderen schweigen. Würden sie nur über Linksextremismus schreiben – ich müsste mich auf den Rechtsextremismus konzentrieren. Weil jeder Extremismus gefährlich ist. Und man sich nicht an den politischen Moden orientieren darf bei der Berichtertattung über ihn.

Wenn in Ihrer Nachbarschaft zwei Häuser brennen, eines links und eines rechts, und wenn alle rennen, um das rechts zu löschen, wenn der Andrang der Löschkräfte so groß ist, dass die Löscher gar nicht mehr durchkommen: Müssen Sie sich dann auch dort in die Schlange der Löschkräfte einreihen? Um „Haltung“ zu zeigen? Oder macht es mehr Sinn, das Feuer links zu löschen, wo kaum jemand löscht? Dass man solche Dinge überhaupt erst erklären muss, zeigt, wie tief das Framing á la KGB-General Agajanz inzwischen in die Köpfe vorgedrungen ist.

Zum Schluss noch ein paar Sätze zur neuen Seite. Endlich ist der lang ersehnte Umzug erfolgt. Mit Nervenkitzel bis in die letzte Minute. Ich bin vom Resultat sehr angetan. Die Seite ist jetzt übersichtlicher, viel schneller, zuverlässiger. Sie hat neue Funktionen. Ich kann jetzt die Themen selbst gewichten. Etwa in der  Rubrik „Empfohlen“ auch ältere Beiträge wieder oben präsentieren, wenn sie wieder aktuell werden. Die Rubriken machen die Seite übersichtlicher, ebenso die Schlagwörter. Wenn Sie sie anklicken, bekommen Sie alle verwandten Themen präsentiert. Es gibt eine Druck-Funktion (unten vor den Kommbewegeentaren), ebenso eine Funktion zum Mailen. In der mobilen Version ist auch Whatsapp integriert.

Ich hoffe, wir haben viel Freude an der neuen Seite. Und sie hat auch gleich eingeschlagen. Heute konnte sie nach der Umstellung zum ersten Mal wieder in der Relevanz-Hitliste der deutschen Medien von 10000flies antreten. Dort wird gemessen, welche Artikel am meisten geteilt wurden bundesweit. reitschuster.de hat in der Kategorie „Blogs“ gleich Platz 1, 3 und 7 besetzt. In der „Bundesliga“ mit allen Medien, also einer Klasse mit „Bild“, „Focus“, „Spiegel“ & Co. war immerhin noch Platz 15 drin.
Bei dieser Gelegenheit ganz herzlichen Dank für die vielen Zuschriften zu meinem Artikel über den Neustart der Seite – viele haben mich tief bewegt, und ich empfehle sie auch sehr zum Durchsehen.

Ein ganz besonderer Dank für Ihre Treue und Ihre Unterstützung. Ohne Sie wäre die Seite insgesamt nicht möglich. Und auch die Neugestaltung wäre undenkbar gewesen. Ich bin Ihnen sehr dankbar!

Einen guten Wochenstart und alles Gute,
herzlich
ihr
Boris Reitschuster

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