Sehen Sie hier mein neues Video aus der Bundespressekonferenz.
Die Regelung ist eindeutig: „Das Bundesministerium für Gesundheit legt dem Deutschen Bundestag nach Beteiligung des Bundesrates bis spätestens zum 31. März 2021 einen Bericht zu den Erkenntnissen aus der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie vor. Der Bericht beinhaltet Vorschläge zur gesetzlichen, infrastrukturellen und personellen Stärkung des Robert Koch-Instituts sowie gegebenenfalls zusätzlicher Behörden zur Erreichung des Zwecks dieses Gesetzes.“ So steht das im Paragraphen 4, Absatz 1a des erneuerten Infektionsschutzgesetzes, das die Regierung mit den Stimmen ihrer eigenen Abgeordneten im Bundestag durchdrückte.
Doch ganz offensichtlich hält die Regierung die Einhaltung der Vorschrift im Gesetz für nicht notwendig. Bereits am Mittwoch fragte ich auf der Bundespressekonferenz die Sprecherin von Gesundheitsministerium Jens Spahn (CDU), Teresa Nauber, dazu:
REITSCHUSTER: (…) Ist dieser Bericht vorgelegt worden? Wo kann man ihn einsehen?
NAUBER: Das kann ich Ihnen aus dem Kopf nicht sagen. Das kann ich aber gerne nachschauen.
NACHFRAGE REITSCHUSTER: Es ist Ihnen also bisher nicht bekannt, dass er vorgelegt wurde?
NAUBER: Herr Reitschuster, ich habe nicht das gesammelte Wissen des ganzen Hauses immer bei mir. Insofern sehen Sie es mir nach. Ich kann das gerne nachreichen, aber ich habe es aktuell nicht im Kopf.
Bis Freitagmittag kam aber keinerlei „Nachreichung“. Deshalb fragte ich heute nach:
FRAGE REITSCHUSTER: Frau Nauber, laut § 4 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes muss das Gesundheitsministerium bis zum 31. März einen Coronabericht vorlegen. Ich habe Ihnen diese Frage am Mittwoch gestellt, ob der vorgelegt wurde. Sie haben versprochen, das nachzureichen. Das ist nicht nachgereicht worden. Können Sie das hier beantworten?
NAUBER: Ja. Dieser Bericht befindet sich in Abstimmung mit den Ländern und wird dem Deutschen Bundestag dann so bald wie möglich vorgelegt werden.
NACHFRAGE REITSCHUSTER: Das heißt, Sie haben das Gesetz also nicht eingehalten, das, was da vorgeschrieben ist. Warum halten Sie das Gesetz hier nicht ein?
NAUBER: Wir haben den Bericht den Ländern vorgelegt. Der befindet sich jetzt in der Abstimmung mit den Ländern, und dann wird er dem Deutschen Bundestag vorgelegt.
Ich halte das für erstaunlich. Das Parlament gibt der Bundesregierung – faktisch von dieser selbst vorgeschlagen – per Gesetz den Auftrag, einen Bericht zu Corona vorzulegen „und Vorschläge zur gesetzlichen, infrastrukturellen und personellen Stärkung des Robert Koch-Instituts sowie gegebenenfalls zusätzlicher Behörden“ zu erarbeiten. Die Bundesregierung und das RKI betonen seit Monaten die Dramatik der Lage – und ignorieren einfach die Frist und verzichten auf die Vorschläge zur Stärkung der obersten Bundesbehörde und zusätzlicher Behörden. Für mich ist das ein eklatanter Widerspruch. Und schlimmer noch: Das Parlament scheint es offenbar gar nicht zu kümmern, dass es hier ignoriert wird. Obwohl das Verstreichen der Frist eine Ohrfeige für die gewählten Volksvertreter ist. Eine Entschuldigung, „Asche auf das Haupt“, ein Versprechen, eilig Abhilfe zu schaffen? Pustekuchen. Die Art und Weise, wie die Regierung die Frage erst ignoriert und dann quasi nebenbei über die leichte Schulter beantwortet, sagt mehr über die Beziehung der Regierung zum Gesetz und auch zwischen Regierung und Parlament sowie der Presse aus als viele Analysen. Drastisch ausgedrückt: Merkels Kabinett pfeift schon mal auf Gesetz, Parlament und Medien.
Böse Zungen, gerade aus dem Kollegenkreis, werden mir für diese Kritik wie üblich wieder vorwerfen, es sei „Verschwörungstheorie“, „Desinformation“, „Populismus“ und „rechtsradikal“. Wahlweise einzeln oder in beliebigen Schnittmengen. Ich finde aber: Eine Regierung hat sich ans Gesetz zu halten. Und wenn sie es nicht tut, muss das von Journalisten thematisiert und öffentlich gemacht werden. Umso mehr, wenn sie das Gesetz fast schon demonstrativ ignoriert. Eine Rechenschaft der Regierung gegenüber dem Parlament gehört zum Allerheiligsten einer Demokratie. Dass in Deutschland so eine Missachtung des Gesetzes durchgeht und offenbar niemanden in Politik und Medien interessiert, dass im Zweifelsfall wohl beschwichtigt und beschönigt wird („Lappalie“, „aufgeblasen“), ist ein demokratischer Offenbarungseid. Und erklärt auch, warum so heftig diejenigen angegriffen werden, die auf solche Missstände hinweisen. Frei nach Tucholsky: „Im Übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.“
Hier geht es zu meinem Video über die heutige Bundespressekonferenz.
Bild: Boris Reitschuster
Text: br
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