Das Strafgesetzbuch ist eindeutig. § 201 dort besagt unter der Überschrift „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt
1. das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder
2. eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht.
Weiter besagt der Paragraph:
Ebenso wird bestraft, wer unbefugt
1. das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen mit einem Abhörgerät abhört oder
2. das nach Absatz 1 Nr. 1 aufgenommene oder nach Absatz 2 Nr. 1 abgehörte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen im Wortlaut oder seinem wesentlichen Inhalt nach öffentlich mitteilt.“
Haben genau das Thilo Mischke, Reporter bei ProSieben und Autor bei Focus, bzw. sein Team, getan? Für eine Reportage unter dem Titel „RECHTS. DEUTSCH. RADIKAL“? Schon die Wortwahl ist ein Musterbeispiel für Framing: Das Adjektiv „deutsch“ wird mit „rechts“ und „radikal“ in Verbindung gebracht.
Ein Artikel von Christian Fuchs über den Film in „Zeit Online“, legt den Verdacht nahe, dass bei Arbeiten für den Film nicht alles mit rechten Dingen zuging. Fuchs schreibt: „Dass sich der Pressesprecher einer Bundestagsfraktion mit einer Journalistin in einer Bar verabredet, um ein offenes und vertrauliches Gespräch zu führen, ist Alltag im Berliner Regierungsviertel. Aber das Abendessen, zu dem sich Christian Lüth, der damalige Sprecher der AfD-Fraktion, und die rechtslastige YouTuberin Lisa Licentia am 23. Februar 2020 in der Newton Bar in Berlin-Mitte treffen, ist alles andere als alltäglich. Zum einen, weil Lüth und Licentia keineswegs unbeobachtet sind: Tatsächlich ist ein Journalistenteam des Senders ProSieben mit verdeckten Kameras dabei.“
Weiter schreibt Fuchs in „Zeit Online“: „Die Journalisten entscheiden sich, den Termin mit verdeckten Kameras zu filmen, um dokumentieren zu können, was Lüth wirklich denkt – und was er sagt, wenn er sich unter Gleichgesinnten wähnt.“
Wurde hier illegal gehandelt?
Kein einziges Wort darüber, dass diese Aktion so, wie sie beschrieben wird, die Frage aufwirft: Wurde hier illegal gehandelt? In dem Film selbst werden die Szenen zwar nicht gezeigt, sondern nur zitiert. Auch in anderen Medienberichten wird alles so geschildert, als gebe es lediglich Gedächtnisprotokolle. Der Bericht von Christian Fuchs bei „Zeit Online“ wirkt aber so, als habe der Autor hier Insider-Wissen – und sich über genau dieses sehr ungeschickt verplappert.
Der Journalist Fuchs, selbst vielfach preisgekrönt und dem „Kampf gegen rechts“ verschrieben, schreibt: „Nichts auf der von ProSieben gemachten Aufnahme, die ZEIT ONLINE vorab sehen konnte, spricht dafür, dass Lüth diese Sätze ironisch meint oder lediglich einen geschmacklosen Witz macht.“ Hier stellt sich die Frage: Wie ist das möglich, ohne dass tatsächlich aufgezeichnet und die Aufzeichnung auch verwendet wurde – bzw. einem Dritten zugänglich gemacht? Hat Fuchs, der selbst für den Film interviewt wurde, aber diesen Umstand nicht transparent macht als Autor eines Artikels über den Film, unvorsichtigerweise zu viel verraten und seinem Kollegen damit ein massives Kuckucksei ins Nest gelegt? Hat er da aus Übereifer im „Kampf gegen Rechts“ einen Rechtsbruch durch Pro7 bzw. Mischke entlarvt?
Tatsächlich sind die Worte, die zwischen AfD-Sprecher Lüth und Licentia gefallen sein sollen, unerträglich: „Wir können die [Migranten] nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst“, soll Lüth, der schon im April von seiner Partei freigestellt wurde, gesagt haben. Wenn diese Aussage so gefallen ist, ist sie unsäglich und schockierend. Selbst wenn sie möglicherweise ein „Witz“ war. Sie sorgte für massiven Wirbel in den sozialen Netzwerken und Medien. Bei Twitter trendelte „Die AfD ist eine Nazi Partei“.
Grundprinzip des Rechtsstaats
So schlimm und unentschuldbar die Aussage ist: Wenn sie gefallen ist, fiel sie in einem privaten Gespräch. Entweder wurde dieses illegal abgehört, oder nur mitgehört, und es gibt nur Erinnerungsprotokolle. Letztere hätten nur bedingte Beweiskraft. Illegale Aufzeichnung dagegen dürfen in einem Rechtsstaat nicht einmal vor Gericht als Beweismittel verwendet werden. Hier stellt sich die Frage: Spielt die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes, ein Grundprinzip des Rechtsstaats, für manche heute keine Rolle mehr? Solange politisch alles in die richtige Richtung geht? Wird gar hier gezielt, mit Absicht Recht gebrochen? Der Fall Strache hat es vor gemacht: Mit einer Falle und einem illegal aufgenommenen Video wurde Österreichs Vize-Kanzler und die ÖVP-FPÖ-Regierung gestürzt. Später kam heraus, dass dabei massiv manipuliert wurde und entlastende Aussagen nicht oder nur am Rande erwähnt wurden.
Abhöraktionen im Privaten zur Diskreditierung sind klassische Methoden von Geheimdiensten wie dem KGB oder der Stasi. Dass sie heute wieder fröhliche Urstände feiern, ist mehr als alarmierend. Es muss eine ganz klare Abwägung geben: Was ist wichtiger? Die Privatsphäre von Menschen bei einem privaten Treffen? Oder das Interesse der Allgemeinheit, schmutzige, skandalöse oder auch unerträgliche Aussagen bei privaten Treffen zu erfahren? Auf die Gefahr hin, dass auch ein geschmackloser Witz im Privaten zu einer öffentlichen Ächtung führen kann? Je nachdem, wie man auf diese Frage antwortet, landet man in zwei völlig unterschiedlichen Arten von Gesellschaft und System. Freiheitliche Gesellschaft schützen die Privatheit höher ein. Die Überwachung von Aussagen im Privaten ist ein Anzeichen für eine unfreie Gesellschaft, ja meistens für eine totalitäre.
AfD-Sprecher Lüth ist eine schillernde Figur. Kritiker halten ihn sogar für ein U-Boot innerhalb der AfD. Die Spiegel-Korrespondentin Melanie Amann hat im November 2019 eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, dass sie zu Lüth lediglich eine professionelle Verbindung, aber keine darüber hinaus gehende private oder gar intime Beziehung habe. Das Thema gilt für Journalisten als vermintes Gelände, da sofort juristische Schritte drohen. Nachzulesen sind Informationen dazu hier sowie hier.
Der Beitrag von Mischke, der ausgerechnet bei dem früher eher konservativen PRO7 erschien, ist aber nicht nur wegen des Verdachts des illegalen Abhörens bedenklich. Auf der Seite des Senders heißt es: „‘Wie rechts ist Deutschland?‘, fragt Thilo Mischke bei seinen Recherchen Christian Fuchs, investigativer Journalist bei der Wochenzeitung ‘Die Zeit‘. ‘Es gab einen massiven Rechtsruck. Es sind Organisationen entstanden, die das Land nach rechts verschoben haben. Die Grenze des Sagbaren wurde nach rechts verschoben. Es gibt eine stärkere Polarisierung, die immer den rechten Extremen in die Hände spielt.‘“
Verfolgung Andersdenkender
Ist das Satire oder Propaganda? Mit der „Grenze des Sagbaren“ haben Linke in Deutschland keinerlei Probleme. Wohl aber Bürgerliche, Liberale und Konservative. Selbst Merkels Afrika-Beauftragter Günther Nooke beklagte gerade in einem exklusiven Gastbeitrag für „reitschuster.de“ eine „Verfolgung Andersdenkender“ in Deutschland. Mehr muss dazu wohl nicht gesagt werden.
Weiter fragt Pro7-Reporter Mischke für seinen Film: „Wie bewertet der Verfassungsschutz die neue Rechte?“ Die Antwort stammt von Thüringens oberstem Verfassungsschützer Stephan Kramer. Der ist für seine Nähe zu der früheren Stasi-IM Anetta Kahane von der „Amadeo Antonio Stiftung“ bekannt und gilt seinen Kritikern als strammer Linker. Er legte unter anderem mit Putins berüchtigten Rockern, den stramm nationalistischen russischen „Nachtwölfen“, am 9. Mai 2015 am Sowjetischen Ehrenmahl bei den Seelower Höhen in Brandenburg einen Kranz nieder. Kramer liefert Mischke auch die offenbar gewünschten Antworten: „Vor ein paar Jahren hätte ich noch zu Ihnen gesagt, wir müssen uns zwar Sorgen machen, aber wir sind noch nicht die Weimarer Republik. Aber wenn ich mir die Entwicklungen in den letzten fünf Jahren anschaue, muss ich offen gestehen, mache ich mir ernsthafte Sorgen um unsere Demokratie. Man geht aus der Deckung, man ist selbstsicher, man klaut am laufenden Band in den Sicherheitsbehörden – ob Militär oder Polizei – Munition und Sprengstoff. Ich muss das Ganze nicht gefährlicher beschreiben, als es ist. Aber es macht uns zu Recht große Sorgen.“ Daraus mache Mischke die Schlagzeile: „Rechtsruck in Deutschland, ein Verfassungsschützer in großer Sorge.“
Alle Mittel Recht
Der Film wurde denn auch gleich im heute-Journal im ZDF gepriesen, der Autor in die „Late Night Berlin“ eingeladen. Der Streifen zeigt, dass es in Deutschland gefährliche Rechtsextreme gibt. Darüber zu berichten ist wichtig und gut, auch wenn es hinlänglich bekannt ist. Wenn aber gleichzeitig Linksextremismus (Titelvorschlag: „Links. Bunt. Radikal“) und etwa islamischer Extremismus (Titelvorschalg: „Islamisch. Traditionell. Extrem“) verharmlost und verschwiegen werden, ist so eine einseitige Themen- und Schwerpunktsetzung Manipulation, ja Propaganda. Und das macht mindestens genauso viel Sorgen wie Rechtsextremismus. Zumal eine Immunität, ja ein Problembewusstsein weitgehend fehlen. Sorge macht auch, dass für den Narrativ des „Kampfes gegen rechts“ und eines vermeintlichen „Rechtsrucks“ manchen Politikern, Beamten und Journalisten offenbar alle Mittel Recht sind.
PS: Der Münchner Merkur meldete 2018: „ProSieben-Chef will jetzt auch Rundfunkbeitrag – Der Vorstand des privaten Medienunternehmens fordert öffentliche Gelder für die Finanzierung „gesellschaftlich wertvoller“ Programme.“ Vielleicht klappt es ja jetzt!
PS: Eine Kollege sagte mir, der Film habe ihn an den Schwarzen Kanal von Karl Eduard von Schnitzler und das DDR-Jugendfernsehen mit Berichten über angeblich schlimmen Zuständen in der BRD erinnert. Die Methoden seien auffassend ähnlich. Er fragte: Wird Thilo Mischke so einen Bericht auch über die linksextremen Zustände in Berlin und Leipzig unter dem Arbeitstitel „Links.Antifa.Radikal“ machen? Wohl eher nicht, denn das hätte er schon seit über fünf Jahren recherchieren können.
PS: Ein Leser schrieb mir: „Leider erwähnen Sie jedoch bei der Wiedergabe des § 201 StGB nicht Abs. 2 Satz 2, der die Produzenten der “Doku” schützen könnte.“ In diesem heißt es: „Die Tat nach Satz 1 Nr. 2 ist nur strafbar, wenn die öffentliche Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen. Sie ist nicht rechtswidrig, wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überragender öffentlicher Interessen gemacht wird.
Das bezieht sich in meinen Augen nur auf Absatz 2, nicht jedoch auf Absatz 1 (bestraft wird, wer „1.) das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder 2. eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht.) Wenn die Produzenten der Doku wirklich durch Abs. 2 Satz 2 geschützt wären, stellt sich die Frage, warum sie dann in dem Streifen nicht offen zu einer möglichen Abhöraktion stehen.
Bild: Screenshot Youtube / StagiaireMGIMO/Wikicommons/CC BY-SA 4.0
Text: red