Unglaubliche Dinge ereigneten sich in Deutschlands Restaurants in den vergangenen Monaten. Vermehrt war Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Essen an Orten registriert, an denen sie gar nicht verweilte. Auch der Dalai Lama soll diniert haben, wo man ihn nicht erwartete. Und selbst Wladimir Ilitsch Lenin tauchte angeblich in Besucherlisten von Bewirtungsbetrieben auf – obwohl der russische Oppositionsführer schon seit 96 Jahren tot ist. Sein Körper wird zwar bis heute einbalsamiert im Moskauer Mausoleum zur Schau gestellt, doch zum Essen in Deutschland ist er eindeutig kaum noch in der Lage. Insofern stellt sich die Frage: Ist Karneval? Oder was läuft da schief in den Restaurants zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen?
Corona läuft schief. Beziehungsweise die Maßnahmen dagegen. So sehr sich die Mehrzahl der Deutschen scheut, offen gegen diese Position zu beziehen – denn man will ja nicht als „Corona-Leugner“ an den Pranger gestellt werden. Aber im Kleinen freuen sich doch offenbar viele Menschen an der Rache. Oder sorgen sich nur um die spärlichen Reste an Privatsphäre. Sie tragen in den nunmehr obligatorischen Gästelisten beim Außer-Haus-Essen falsche Identitäten ein. Und legen dabei einen Einfallsreichtum an den Tag, der geradezu subversiv ist, den man vielen hierzulande gar nicht zutraut und vor dem sie sich in Wahllokalen offenbar streng hüten.
Das rief jetzt den Zorn der Genossin Vorsitzenden, Entschuldigung, ich wollte schreiben der Bundeskanzlerin hervor. Man möge mir den Fehler verzeihen, aber die frühere FDJ-Sekretärin agiert nunmal in vielem heute eher so, wie man es in einem zentralistischen Staat erwarten würde, und nicht in einem föderalen. «Falsche Personenangaben, das ist kein Kavaliersdelikt», sagte Merkel nach den Beratungen mit den Ministerpräsidenten der Länder. «Ergänzend werden die Wirte aufgefordert, die Plausibilität der Angaben zu überprüfen», erklärte dann auch noch ein Regierungssprecher. In Schleswig-Holstein beschloss die Regierung, dass Kunden bei vorsätzlichen Falschangaben 1000 Euro zahlen müssen.
So weit, so gut. Erstaunlich ist nur, dass bei einem anderen Personenkreis ganz andere Regeln gelten. „Falsche Angaben im Asylverfahren nicht strafbar“, titelte 2019 die „Welt“. Weiter hieß es in dem Beitrag: „Falsche Angaben von Asylbewerbern zu ihrer Identität oder Staatsangehörigkeit werden auch weiterhin nicht unter Strafe gestellt. Wie WELT erfuhr, können Alter oder Identität damit weiterhin vertuscht werden, ohne dass gleich schwerwiegende Konsequenzen folgen. Strafbar ist bislang lediglich der Missbrauch ausländerrechtlicher Dokumente, etwa das Vorlegen eines falschen Passes.“ Und: „Den Informationen zufolge lehnt das Bundesjustizministerium einen entsprechenden Vorstoß des Bundesinnenministeriums zur Strafbarkeit von Falschangaben bislang ab.“
Eine Internet-Recherche brachte auch nichts zu Tage, wonach sich an diesem Zustand etwas geändert hat.
Ein Behörden-Insider schrieb mir: „Ich wollte Ihnen nur sagen, dass es seit Jahren schon so läuft, dass fast alle Asylbewerber unter Alias-Namen geführt werden. Das Prozedere ist in Asylämtern bekannt: Papiere werden häufig von Schleppern weggenommen bzw. es werden falsche Personalien angegeben, darunter auch die Nationalität und die Region – in der Hoffnung auf bessere Chancen, hier als Flüchtling anerkannt zu werden. In den Behörden heißt es dann, Flüchtlinge dürfen einen falschen Namen angeben, weil es kann ja sein, dass sie sonst vom Regime ihres Heimatlandes verfolgt werden, oder ähnliches.“
Weiter schreibt der Insider: „Erstaunlicherweise tauchen dann die echten Papiere (zum Beispiel der Reisepass) wieder auf, wenn das Asylverfahren negativ abgeschlossen ist und Asylbewerber verpflichtet sind, in ihr Heimatland zurückzukehren. Bevor sie ausgewiesen werden, wird ihnen das Recht gewährt, freiwillig auszureisen. Damit sie das nicht auf eigene Kosten machen müssen, wenden sie sich an die freiwillige Rückkehrberatung, die mithilfe von IOM-Geldern eine Rückreise üppig finanziert. Inzwischen gibt es sogar Corona-Hilfen und Reintegrations-Hilfen, sodass schon ein einzelner Rückreisender durchaus an mehrere Tausend Euro kommen kann. Voraussetzung ist jedoch, dass die richtige Identität genannt wird. Plötzlich gibt es dann kein Problem mehr, diese Angaben zu machen und die von den Schleppern ‘weggenommenen‘ bzw. ‘verlorenen‘ Papiere sind dann wieder da. Aber es stellt keiner Fragen in den Behörden wegen den falschen Identitätsangaben. Fast alle Mitarbeiter nehmen es einfach stillschweigend hin.“
Wir fassen zusammen: 50 bis 1000 Euro für falsche Angaben etwa beim Restaurant-Besuch. Keinerlei Strafen dagegen, wenn ein Asylbewerber den Staat betrügt und damit möglicherweise dem Steuerzahler einen immensen finanziellen Schaden bereitet.
Aber wehe, man beklagt sich darüber, dass bei uns oft mit zweierlei Maß gemessen wird. Wer so etwas tut, ist natürlich „rechts“ (= rechtsextrem), „Hetzer“ (alter Nazi- und DDR-Begriff zur Diffamierung von Kritikern des Systems) und/oder Verschwörungstheoretiker (neudeutsch für „Dissident“). Fehlt nur noch, dass auch dafür neben der bereits üblichen sozialen Ächtung eine Geldbuße verhängt wird.
„In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht.“
Kurt Tucholsky, 1890-1935.
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Text: br