Die Bundesregierung hat heute gemeinsam mit den Bundesländern einen faktischen „Lockdown“ beschlossen. Das ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil die WHO von Lockdowns tendenziell eher abrät. Dr. David Nabarro, einer von sechs Sonderberichterstattern der WHO, die anlässlich der SARS-CoV-2-Pandemie ernannt wurden, hatte vor kurzem in einem Interview mit Spectator TV eine faktische Abkehr der WHO von Lockdowns als primäres Mittel bei der Bekämpfung der Pandemie verkündet (siehe hier). Nabarro sagte: „Wir brauchen einen Mittelweg: Das Virus in Schach halten und gleichzeitig die Wirtschaft und das soziale Leben am Laufen zu halten. Wir denken, das ist machbar.“ Weiter führte der Arzt aus: „Wir bei der Weltgesundheitsorganisation befürworten Lockdowns nicht als Hauptmittel, um das Virus zu kontrollieren. In unseren Augen sind Lockdowns nur dafür gerechtfertigt, um Zeit zu gewinnen. Und zwar Zeit, um umzuorganisieren, um sich neu aufzustellen, um die eigenen Ressourcen neu auszutarieren, und um medizinisches Personal zu schützen, das erschöpft ist. Aber im Großen und Ganzen raten wir von Lockdowns ab.“
Damit hat der in der WHO mit federführende Mediziner einen klaren Rahmen abgesteckt, wann ein Lockdown Sinn macht. Ich habe heute auf der Bundespressekonferenz Merkels Sprecherin Martina Fietz, mit der ich früher gemeinsam beim Focus gearbeitet habe, das obige Zitat des Arztes vorgelesen und gefragt, wie die Bundesregierung zu diesen Empfehlungen aus der WHO steht. Und vor allem, ob diese vier Punkte, die Nabarro aufzählte, in Deutschland zutreffen. Fietz sagte, sie kenne die Aussage im Einzelnen nicht. Sie führte aus: „Wir sind in keiner Situation, in der unser Gesundheitswesen schlecht aufgestellt wäre. Im Gegenteil!“. Jeder könne angemessen behandelt werden. Es sei wichtig, dies auch bei steigenden Corona-Zahlen zu gewährleisten. Alle Wissenschaftler seien sich einig, dass zur Eindämmung der Neuinfektionen eine Reduzierung der persönlichen Kontakte notwendig sei. Ich fragte nochmal nach, ob ich ihre Aussage dahingehend werten kann, dass keiner der vier Punkte, die laut WHO für einen Lockdown sprechen, in Deutschland erfüllt sei. Fietz antwortete erneut ausweichend: „Ich möchte jetzt nicht auf diese Äußerung eingehen, weil ich sie genau nicht kenne. Ich habe Ihnen dazu gesagt, was ich dazu sagen kann.“ (anzusehen ist die Szene hier).
Bereits zuvor hatte Fietz ausweichend geantwortet auf meine Frage, wie sich die Bundesregierung über die negativen Begleiterscheinungen der Corona-Maßnahmen wie etwa Suizide und verschobene Operationen informiere, ob es hierzu Studien gebe und, falls nicht, ob solche geplant seien (anzusehen ist die Szene hier). Auf meine Frage, ob sich Merkel wie der Sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) einen runden Tisch mit Corona-Maßnahmen-Kritikern vorstellen könne, antwortete Fietz, die Termine der Kanzlerin könne man dem Internet entnehmen.
Fietz sprach mehrfach von einem exponentiellen Wachstum der Infiziertenzahlen, das es zu stoppen gilt. Der R-Wert, also die Reproduktionsrate des Virus, lag jedoch laut Robert-Koch-Institut am Mittwoch bei 1,03 (4-Tage-R-Wert) bzw. 1,17 (7-Tage-R-Wert). Ein R-Wert von 1 bedeutet, dass ein Infizierter einen weiteren Menschen ansteckt, bei einem R-Wert von 2 steckt ein Infizierter zwei Menschen an, usw. Am Sonntag lag der R-Wert noch bei 1,39 (7-Tage-R-Wert). Hier ist die Tendenz also bereits vor den Einschränkungen deutlich rückläufig.
Ich warte immer noch auf diverse Antworten auf Fragen zu Corona von den vergangenen Pressekonferenzen, die nicht vor Ort erteilt werden konnten. Dazu hakte ich heute nach – mit interessantem Ergebnis (mehr dazu in Kürze in einem eigenen Beitrag). Insgesamt lassen die Antworten oder besser gesagt das Ausbleiben von Antworten auf viele wichtige Fragen zu Corona zumindest den Verdacht aufkommen, dass die Bundesregierung im Blindflug agiert. Oder die Erkenntnisse, die sie hat, geheim hält. Im Internet kursieren bereits hämische Video-Zusammenschnitte zu der Ratlosigkeit in der Reaktion der Regierung auf die kritischen Fragen (siehe hier).
Abseits von Corona fragte ich das Innenministerium, wie viele Asylbewerber aus dem abgebrannten Lager in Moria in Deutschland aufgenommen wurden und wie viele Männer, Frauen und Minderjährige darunter seien. Der Sprecher des Innenministeriums antwortete, er habe dazu keine Zahlen.
Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit fragte ich, ob als Konsequenz aus den islamischen Terrortaten von Berlin und Dresden noch einmal überprüft werde, ob man Entwicklungshilfegelder für Staaten einfrieren könne, die nicht bereit seien, ausreisepflichtige Staatsbürger und insbesondere Gefährder zurückzunehmen. Ein Ministeriumssprecher antwortete, dahingehend sei nichts geplant.
Tilo Jung brachte das Thema der Verletzung und Tötung von seltenen Schweinswalen 2019 bei Manövern in der Ostsee auf die Tagesordnung. Er wollte u.a. wissen, ob das Ministerium die Verantwortung dafür übernehme. Ebenso auf der Tagesordnung waren erneut die Aufenthalte des thailändischen Königs in Deutschland, deutsche Waffenexporte und der Mindestlohn.
Bild: ZDF/Screenshot
Text: br