Von Alexander Wallasch
Oh je, jetzt kommt es noch dicker für Armin Laschet (CDU): Der Taschenspielertrick des Kanzlerkandidaten der Union, sich bis zur Wahl möglichst wegzuducken und als Nachfolger der immer noch beliebten Angela Merkel locker ins Amt durchzurutschen, geht möglicherweise gerade etwas schief.
Das Elend für den Kandidaten nahm seinen Lauf mit einem Witz, von dem bis heute niemand genau sagen kann, wie die Pointe ausgeht: Laschet war feixend im Hintergrund bundespräsidialer Beileidsbekundungen zu sehen, der Shitstorm darauf war gewaltig. Laschets späterer Gang durch die Flutgebiete geriet fast folgerichtig zum Spießrutenlaufen samt Beschimpfungen.
Und weil das Schießen nun mal eröffnet war, wühlten sich auch gleich die professionellen Tintenkiller ganz tief in ein Buch von Armin Laschet und wurden fündig. Was dann wiederum geeignet war, einen christdemokratischen Schummelhans schamverdünnend neben das grüne Schummellieschen zu stellen.
Und jetzt kommt schon die nächste schallende Ohrfeige für den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, der nächster Kanzler der Bundesrepublik werden möchte und dessen Wunschpartner die Grünen sind:
Armin Laschet weiß, dass er sich positionieren muss. An Positionen ist sein Wahlkampf allerdings arm und obendrein stänkert ihm noch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hinein. Der gescheiterte Mitbewerber um den Kanzlerkandidatenposten nutzt fast jede sich bietende Gelegenheit nachzureichen, dass er doch der bessere Kandidat gewesen wäre.
Und was macht der unter Druck gesetzte Armin Laschet? Er überlegt, mit welcher Hau-auf-den-Tisch-Position er sich beim Wahlvolk noch auf der Zielgeraden profilieren könnte – ob er es selbst ausdenkt oder schon Marketing-Souffleusen die Stichworte geben, weiß nur Laschet allein. Also ist er entweder selbst für die nächste Bauchlandung verantwortlich oder ein Team, dass zielsicher ein kontaminiertes Thema für Laschet ausgesucht hatte: Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan.
Armin Laschet für Abschiebungen nach Afghanistan
Klar, der Zeitpunkt schien günstig, die hardlinerartige Intervention sah aus wie ein Selbstläufer, nachdem die Medien Wind davon bekommen hatten und berichteten, dass es in Deutschland heute schon pro Tag zwei Gruppenvergewaltigungen, also tätliche sexuelle Angriffe von mehreren Männern gegen eine Frau gibt.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fragt bereits im Juli 2019: „In Freiburg stehen elf junge Männer vor Gericht, die eine 18-jährige Studentin vergewaltigt haben sollen. Die meisten von ihnen sind Flüchtlinge. Ist das Zufall und wie reagiert die Politik darauf?“
Ja, wie reagiert die Politik darauf, wo Mitte 2021 via Bundeskriminalamt bekannt wird, dass es über 700 Gruppenvergewaltigungen jährlich sind? Die Bild-Zeitung nennt das zu Recht „Schockzahlen“. Und es sind Zahlen, die ein eklatantes Versagen der Bundesregierung aufzeigen. Armin Laschet ist Vertreter einer der beiden Regierungsparteien und Ministerpräsident – er zählt damit zweifellos zu jenen, welche diese brutalen täglichen Sexualstraftaten übelster Sorte hätten abstellen müssen. Rechnen wir den Zeitraum ab Beginn der Massenzuwanderung, kommen wir so auf über 4.000 Gruppenvergewaltigungen von Frauen.
Was machen also Laschet und / oder sein Team? Sie kreieren ausgerechnet aus jenem NRW-Ministerpräsidenten einen Hardliner, der während der Zuwanderung so darauf bestand, dass seine NRW-Grenzen offen bleiben – die Zahl jener späteren Straftäter, die daraufhin ungehindert in NRW eingereist sind, ist hier noch zu ermitteln.
Der Kanzlerkandidat der Union mit der harten Geste um Stimmen werbend und dabei in etwa so glaubwürdig, wie ein polizeiknüppelschwingender RAF-Anwalt Otto Schily (SPD), als der Bundesinnenminister war.
Laschet mit dem vermeintlichen Coup:
„Wir beobachten die Situation in Afghanistan sehr genau“, sagte er der Bildzeitung. „Aber unsere Linie bleibt klar: Wer in Deutschland straffällig wird, hat sein Gastrecht verwirkt.“
Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans wiederum reagiert gegenüber der Rheinischen Post entsetzt auf Laschets Vorstoß: „Diese Überlegung ist voll auf der menschenfeindlichen Linie von Populisten. Auch ausländische Straftäter sind Menschen. Sie verdienen ihre Strafe, aber niemand hat das Recht, sie in den Tod zu schicken. Sollte das drohen, müssen Abschiebungen gestoppt werden.“
Laschet lässt sich davon zunächst nicht beirren: „Null Toleranz gegenüber Kriminellen“ sei ein Grundsatz, der keine Ausnahmen erlaube. Straftäter müssten „weiter konsequent abgeschoben werden, auch nach Afghanistan“. Sagt der Unionspolitiker, dessen Partei die Regierung im Land stellt, der selbst in NRW die Zügel in der Hand hält, es aber über viele Jahre nicht geschafft hat, dahingehend Ordnung in seinem Laden zu schaffen. Aber jetzt ist Wahlkampf.
Laschets Griff ins Warme
Wie sehr der Unions-Kanzlerkandidat dabei ins Warme gefasst hat, wurde nun im Kontext mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte deutlich: Der EGMR hatte nämlich per einstweiliger Verfügung eine Abschiebung von Österreich nach Afghanistan gestoppt. Wenige Wochen zuvor noch hatten Kanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) immer wieder betont: „Wir werden weiter nach Afghanistan abschieben.“ Ausschlaggebend für die Haltung der österreichischen Regierung mag hier die Vergewaltigung und der Mord an einem dreizehnjährigen Mädchen durch afghanische Asylbewerber gewesen sein.
Jetzt das vorläufige Aus für Abschiebungen nach Afghanistan. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt, dass der Gerichtshof auch Deutschland ermahnt hätte, sogenannte Rückführungen derzeit zu unterlassen. Das Urteil verbucht eine österreichische Nichtregierungsorganisation (NGO) für sich, die in Straßburg erfolgreich geklagt hatte. Wer sich für die Formalien interessiert: Gegriffen hat hier eine sogenannte vorläufige Maßnahme nach Artikel 39 der Verfahrensordnung. „Der Artikel wird laut Gericht meist angewendet, wenn unmittelbare Gefahr eines nicht wiedergutzumachenden Schadens droht.“
Das Magazin Focus leitet aus dem Urteil ab: „Auch in Deutschland können sich Betroffene in Zukunft auf die Entscheidung berufen.“ Zwar beschäftigt sich der Gerichtshof nur mit Einzelfällen, aber beispielsweise die österreichische NGO „Deserteurs- und Flüchtlingsberatung“ ist sich schon sicher, dass die Begründung Allgemeingültigkeit hat.
Laschet gibt die Merkel: Erfolgreiches Kompetenzverschiebetheater
Man darf gespannt sein, wie sich Armin Laschet dazu neu positioniert und wie er die Klippe umschiffen will. Das Fatale an dieser neuen Situation dürfte aber für Laschet sein, dass hier so frappierende Ähnlichkeiten mit der Politik der Bundeskanzlerin der letzten Jahre sichtbar werden. Warum?
Weil sich Angela Merkel immer besonders erfolgreich um politische Entscheidungen gedrückt hat, indem sie an die nächsthöhere Ebene verwiesen hat: Reichte die EU-Ebene nicht, nationale Entscheidungen zu umgehen, dann wurden eben solche übergeordneten Forderungen wie der UN-Flucht- und Migrationspakt vorgeschoben, um dem Souverän zu sagen: Mir sind leider die Hände gebunden.
Die Bundeskanzlerin sagt noch 2018 gegenüber der Zeit in einer Lobrede auf diese Pakte: „Legale Migration schafft Wohlstand.“ Die Millionen illegal nach Deutschland eingereister Migranten hatte Merkel da bereits vergessen und in die deutschen Sozialsysteme überführt.
Laschet wird die dämpfende Entscheidung aus Straßburg möglicherweise sogar dankbar annehmen – viel zu kühn war ja sein Vorstoß, für den er im Zweifel eine vehemente Verteidigung benötigt hätte. Jetzt sind dem Kanzlerkandidaten die Hände gebunden – ihn wird’s nicht stören.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Volkswagen tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild photocosmos1/ShutterstockText: wal