Von Alexander Wallasch
Armin Laschet geht mit der Kanzlerin in seiner Heimatstadt kamerawirksam einen Kaffee trinken und vergisst das Trinkgeld zu bezahlen. Am Folgetag muss er dann trotz drückender Termine den Büßer spielen und nochmals ein paar Euro ins Lokal tragen. Aber auch da gilt es dann wieder zu überlegen, wie viel es denn sein darf, oder wie bescheiden das Sümmchen bleiben muss, um obendrauf nicht noch als Großkotz dazustehen.
Gemessen an der Summe an Wahlkampfterminen des Unions-Kanzlerkandidaten sicher ein zu vernachlässigender Schnitzer. Sein Grinsen im Nacken des sozialdemokratischen Bundespräsidenten, als Steinmeier vor Flutopfern sprach, wog da deutlich schwerer – zeigte es doch Übersichtslosigkeit und eine bedenklich fehlgesteuerte emotionale Verfasstheit des Kanzlerkandidaten der Union.
Und heute am Wahlmorgen hat Laschet die Wurst schon wieder von der falschen Seite abgebissen. Zunächst muss sich sein Team genau überlegt haben, wann der Kanzlerkandidat ins Wahllokal gehen darf. Geht er zu früh, vergrault er die Kirchgänger, die traditionell nach dem Gebet zur Urne gehen. Und geht er zu spät, verliert er möglicherweise seine Vorbildfunktion.
Auch wird sich Armin Laschet die Frage gestellt haben, in welcher Kleidung er zur Urne geht. Ohne Krawatte und beim Einschmeißen die Ärmel hochkrempeln? Nein, das wäre zu sehr Habeck. Also mit Binder, aber in welcher Farbe? Was drückt Zukunft aus, was zahlt versehentlich für den Konkurrenten ein? Oder nein, doch ohne Krawatte, entscheidet Team Laschet am Ende, lieber ein bisschen Habeck als gar nicht modern, oder?
Ehrlich, wer noch alle Sinne beisammen hat, der braucht ein dickes Fell, der muss gegenüber Eindrücken von außen eine gewisse Immunität mitbringen. Kürzer gesagt: Der sture Charakter hat hier bessere Chancen, emotional unbeschadet durchzukommen als der nachdenkliche selbstkritische Kandidat.
Und dann passiert es doch: So viel bedacht, vielleicht zu viel bedacht, und Laschet schafft es, noch an der Urne dick ins Fettnäpfchen zu treten, als er besonders schlau seinen Wahlzettel so einfaltet, dass die Kameras sehen können, was er gewählt hat. Nein, nicht, dass es nicht jeder geahnt hätte, aber es bleibt nun mal verboten, öffentlich zu machen, was man gewählt hat.
Laschets Panne an der Wahlurne: Maske auf, aber den Wahlzettel nach außen gefaltet, so dass jeder sehen kann, dass Laschet sich selbst und die Union gewählt hat – was für eine Überraschung. Aber dennoch formell einfach falsch, sowas ist auch einem amtierenden Ministerpräsidenten nicht gestattet.
Tatsächlich hat die Bundeswahlleitung da eindeutige Bestimmungen, die jeder auf der Website des Wahlleiters einlesen kann: „Eine wahlberechtigte Person darf nicht nur, sondern sie muss geheim wählen. Deshalb muss sie die zur Sicherung des Wahlgeheimnisses erlassenen Vorschriften einhalten und den Anordnungen des Wahlvorstands im Wahlraum Folge leisten.“ Der Stimmzettel gehört also so gefaltet, dass die Stimmabgabe sich bis zum Einwurf in die Wahlurne im für andere nicht einsehbaren Inneren eingefaltet befindet.
Das allerdings ist leichter gesagt als getan. Wer beispielsweise schon vor Tagen die Kommunalwahlen in Niedersachsen mitgemacht hat, der hatte sieben Kreuze zu vergeben und sage und schreibe drei Wahlzettel separat in drei Urnen zu werfen – dabei kilometerlange Zettel, die, wollte man die Anonymität der eigenen Wahl wirklich einhalten, teilweise drei- bis vierfach gefaltet werden mussten – aber richtig herum!
Merke: Wahlen in Deutschland sind 2021ein Origami und am Ende kommt doch nur der immer gleiche Papiertiger dabei heraus oder der Kranich sieht später aus wie eine lahme Ente.
Armin Laschet wird froh sein, dass das nun alles vorbei ist. Und unabhängig vom Lachen hinter Steinmeier oder seinen ungeschickten Fingern beim Wahlzettelfalten: In diesen letzten Stunden vor dem Ende der Wahl und vor dem Scheitern der Fortführung der Politik der Bundeskanzlerin wirkt Laschet auf einmal fast wie der letzte deutsche Parteisoldat. Und der wird sich schon seit Tagen immer und immer wieder gefragt haben: Warum habe ich das alles nicht Markus Söder überlassen?
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: screenshot welt.de, 26.09.2021Text: wal