Von Max Unangst
Mit der erzwungenen Landung einer A320 auf dem Weg von Casablanca nach Istanbul in Palma de Mallorca hat die Flüchtlingskrise in Südeuropa am Wochenende einen neuen Höhepunkt erreicht.
Einer der Passagiere an Bord soll laut Medienberichten am Freitagabend über Mallorca einen diabetischen Schock simuliert haben, um den Piloten der Air Arabia Maroc zu einem außerplanmäßigen Stopp zu bringen. Als dieser wegen des vermeintlichen Notfalls den Tower angefunkt und auf dem Boden aufgesetzt hatte, verließen 22 Fluggäste tumultartig die Maschine und stürmten über die Rollbahn Richtung Airport-Umzäunung. Das ist auch auf Video-Aufnahmen der Tageszeitung „Diario de Mallorca“ dokumentiert. Mainstream-Medien hatten zunächst unterstellt, dass die Aufnahmen von der spanischen Rechtspartei VOX in den sozialen Netzwerken lanciert wurden.
Da der Flughafen aus Sicherheitsgründen stundenlang seinen Betrieb einstellen musste, verpassten viele Reisende kurz vor dem Ende der Herbstferien ihren Flug. Etliche Maschinen mussten von Mallorca nach Ibiza, Menorca, Barcelona oder Valencia umgeleitet werden. Betroffen waren tausende von Menschen, die teilweise im Hotel übernachten mussten oder mit kleinen Kindern und älteren Leuten im Schlepptau am Flughafen strandeten.
Zwölf Migranten konnten inzwischen in der Gemeinde Marratxí auf Mallorca gestellt werden, von anderen fehlt noch jede Spur. Bei dem mutmaßlichen medizinischen Notfall konnten laut Medienberichten im Krankenhaus Son Llatzer keinerlei medizinische Beeinträchtigungen festgestellt werden. Der Mann und ein Begleiter wurden festgenommen, beide müssen sich nun wegen Begünstigung der illegalen Einreise verantworten.
In spanischen Medien wird nun darüber spekuliert, dass das Vorgehen womöglich zur neuen Masche für die Migration werden könnte. Die Rede ist von einer „Patera aérea“, also einem Flüchtlingsboot in der Luft. Sonst werden Nussschalen mit Außenbordmotor aus Marokko oder Algerien als „Patera“ bezeichnet, wenn es in regelmäßigen Abständen wieder einmal jemand übers Meer geschafft hat. Allein auf Mallorca kamen in diesem Jahr schon 150 Boote mit zirka 2200 Menschen an, und damit so viele wie noch niemals zuvor. Inzwischen ist die Saison für illegale Bootsfahrten wegen der Herbststürme zwar beendet, doch unabhängige Beobachter in Spanien befürchten nun eine unerwünschte „Luftbrücke“ der besonderen Art.
Was die Behörden betrifft, so wurde der Vorfall zunächst beschönigt: Es gebe „keine Elemente“, die eine gezielte Aktion beweisen würden, sagte die Delegierte der spanischen Zentralregierung der Presse auf Mallorca. Inzwischen berichten bürgerliche Medien jedoch, dass sich die Migranten vor dem Start in Casablanca per Facebook abgesprochen haben könnten. Die Ermittlungen laufen in diese Richtung, heißt es. Unter Verdacht steht eine mutmaßliche Flüchtlingshelfergruppe namens „Brooklyn“. Diese soll laut der Tageszeitung „Ultima Hora“ in der Vergangenheit eine halbe Million Euro gesammelt haben und angeblich auch Planungen zu Machenschaften mit Flugzeugen gepostet haben.
Mit schweren Konsequenzen haben die auf Mallorca festgenommenen Migranten indes nicht unbedingt zu rechnen. Nach der üblichen Verwaltungspraxis müssen sie zunächst drei Monate in einer Auffangeinrichtung auf dem Festland verbringen und werden dann womöglich auf freien Fuß gesetzt, da eine Rückführung oftmals sehr schwierig ist. Viele Bootsmigranten blieben nicht in Spanien, sondern steuerten aus wirtschaftlichen oder familiären Gründen Großbritannien, Deutschland oder Frankreich an, heißt es immer wieder in Medienberichten.
Aktuell überlegen die spanischen Juristen allerdings, ob die Drahtzieher der Mallorca-Aktion wegen Aufruhrs und gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr belangt werden können. Bei einer Anhörung wurde Untersuchungshaft für die zwölf zu Fuß geflüchteten Männer verhängt. Insgesamt beläuft sich die Zahl der Inhaftierten derzeit auf 14. Sicherheitskreise in Madrid zeigten sich beunruhigt und kündigten eine Verschärfung der Flughafenprotokolle für außerplanmäßige Landungen an. Diese sollen in Zukunft von der Polizei bewacht werden.
Das deutsche Recht kennt bei „Flugzeugentführung“ übrigens keine Kompromisse und ist noch aus den Zeiten von RAF und Palästinenser-Terror mehr als deutlich formuliert:
„Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer Gewalt anwendet oder die Entschlußfreiheit einer Person angreift oder sonstige Machenschaften vornimmt, um dadurch die Herrschaft über ein im zivilen Luftverkehr eingesetztes und im Flug befindliches Luftfahrzeug oder ein im zivilen Seeverkehr eingesetztes Schiff zu erlangen oder auf dessen Führung einzuwirken“, heißt es in Paragraph 316c im Strafgesetzbuch unmissverständlich. Mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren Haft erfüllen solche Sachverhalte technisch gesehen die Definition eines Verbrechens. Laut der Tageszeitung „Diario de Mallorca“ drohen nach spanischem Recht sogar bis zu zwölf Jahre Haft, falls sich der Verdacht in seiner ganzen Tragweite bestätigt.
Die Regierungskoalitionen von Kommunisten und Sozialisten in Madrid und auf den Balearen wollen allerdings nicht eingestehen, dass es jetzt ein grundlegendes Problem geben könnte. Die mögliche Luftpiraterie wird nur von der bürgerlich-rechten Presse in Spanien auch entsprechend thematisiert. Andere Medien hatten in ihren Formulierungen zunächst einen vermeintlichen medizinischen Notfall im Fokus und spekulierten über eine mögliche Panik bei der Flucht aus der Maschine am Airport von Palma de Mallorca.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Der Autor mit staatsrechtlichen Kenntnissen und großem persönlichen Freiheitsdrang arbeitet als Journalist für Medien und Agenturen in Süddeutschland und hat längere Zeit in Spanien gelebt. Er schreibt hier unter Pseudonym. Sein Repertoire reicht von Lokalberichten bis zu Krisensituationen im Ausland. Noch nie hat ihn politisch etwas dermaßen schockiert wie die weitgehend sinnbefreiten Lockdowns auf dem Rücken von Kindern, Familien, Arbeitnehmern und Unternehmern sowie das lange Schweigen des Bundesverfassungsgerichts in den Jahren 2020/21.
Bild: Shutterstock (Symbolbild)Text: Gast