Die Schule der Luder Geschichten zum Schmunzeln – Mein Neujahrs-Alternativ-Programm.

Moskau im Jahr 2006. Wer geliebt sein will, muss leiden. Sweta kniet. Mit nackten Beinen, im Minirock auf dem Linoleumboden, vor dem Objekt ihrer Begierde: einem Mann. Sie gewährt ihm Einblicke, die ihm den Atem nehmen sollen, sie strahlt ihn mit ihren rehbraunen Augen an, umspielt mit der einen Hand ihre langen braunen Haare und mit der anderen sein Bein, knieaufwärts. „Wie heißt du? Woher kommst du?“, fragt die russische Ausgabe von Lara Croft. Der Mann schmilzt: „Bitte, setzen Sie sich doch, das ist doch unbequem für Sie auf den Knien.“ Sweta stützt sich auf sein Bein, will sich aufrichten. „Nein, alles falsch“, tönt plötzlich eine Stimme, tief wie ein Nebelhorn, durch den kleinen Saal: „Du hast die Prüfung nicht bestanden, setz dich wieder zurück auf deinen Platz!“

Die Stimme gehört Wladimir Rakowskij, einem Mittvierziger mit der Statur eines Bären und dem Lächeln eines gealterten Alain Delon. Einem, der alle duzt und sich selbst siezen lässt. 100 Frauenaugen starren ihn an. Sweta bleibt gekrümmt stehen. „Du musst unten bleiben, zu dem Mann hinaufschauen, nicht auf eine Ebene mit ihm gehen, auch wenn er es anbietet“, belehrt sie Rakowskij: „Sonst machst du ihm Angst. Und du darfst ihm nicht so viele Fragen stellen, ein Flirt ist doch kein Verhör. Einfach das Knie streicheln und lächeln. Jetzt setz dich hin, und sieh dir an, wie es richtig geht. Natascha, los, zeig, was du kannst!“

Eine blondierte, üppige Schönheit bewegt sich mit leichtem Hüftschwung Richtung Sweta, stupst sie zur Seite, nimmt den Zeigefinger zwischen die Lippen und schmeißt sich vor den Testkandidaten. „Du bist süß“, flötet Natascha und tätschelt das Männerknie. Sie lächelt, spielt mit ihren Haaren und seinen Beinen, haucht hin und wieder ein Kompliment. Rakowskij strahlt, sein Hemd spannt sich, er scheint schier zu platzen vor Stolz auf seine Musterschülerin: „Exzellent, anschmiegsam wie eine Katze, du bietest dem Mann maximalen Komfort, dass er sich einfach wohl fühlt. Natascha, du kannst dich setzen.“ Sie steht auf und stakst übers Parkett, als laufe sie über glühende Kohlen: „Meine Beine sind eingeschlafen, sie tun mir weh“, flüstert sie.

Wie in einer Selbstfindungsgruppe auf altersschiefen Schulstühlen sitzen die Frauen entlang der Wände eines Saales im ehemaligen Kulturpalast der Moskauer Kugellagerfabrik. Sie sind bereit zu leiden – wenn es darum geht, den richtigen Mann fürs Leben zu angeln. Deswegen besuchen sie Rakowskijs Schule für „Sterwas“, was so viel heißt wie „Biest“, „Zicke“, „Luder“ oder auch „Femme fatale“. Knapp 200 Euro zahlen sie für einen Kurs mit sechs Abenden. Wer es zur „Meisterklasse“ bringen will, muss sechs dieser Kurse buchen – und zusätzlich Stunden in „Verführungskunst“ und „Strip-Plastik“. „In einem Land mit chronischem Männermangel, in dem es zum guten Ton gehört, wenn einer seine Gattin schlägt, ist das gut investiertes Geld“, meint eine der jungen Frauen. „Die Konkurrenz um die wenigen halbwegs brauchbaren Männer ist hart.“ Entsprechend gut besucht ist die Zickenschule. Viele Schülerinnen sind jung, klug und attraktiv – und ratlos, dass sie trotzdem nicht den Richtigen finden.

„Russlands Männer geben ein trauriges Bild ab, viele kommen nie aus der Pubertät heraus, lassen sich von ihren Partnerinnen aushalten, verhalten sich so, wie man das eher von Frauen erwartet“, klagt Rakowskij, der früher als Psychologe beim russischen Katastrophenschutz-Ministerium Selbstmörder und Gewaltopfer betreute. „Das geht so weit, dass Männer Kopfschmerzenvorschützen, um sich vor Sex zu drücken.“ Seine Kurse seien die russische Variante der Emanzipation im Westen, beteuert Rakowskij. Eine Schülerin reicht ihm ein Glas Tee, er bedankt sich mit einem Kuss. „Ihre Mütter haben den meisten jungen Frauen die Regeln des Patriarchats eingetrichtert. Danach ist es entscheidend, dass sie einen Mann haben – egal, ob er trinkt oder sie schlägt – Hauptsache, sie sind verheiratet. Davon müssen sie loskommen, zu sich selbst finden.“ Ausgerechnet hier im „Kulturpalast“, der 2002 weltweit bekannt wurde, als tschetschenische Terroristen während des Musicals „Nord-Ost“ mehr als 800 Menschen als Geiseln nahmen und bei der Befreiungsaktion 170 Menschen ums Leben kamen.

30 Meter weiter, in einem anderen kleinen Saal voller Wasserpfeifen und Topfpflanzen: 15 Frauen sitzen auf einer Stuhlreihe, allesamt in kurze Röcke gezwängt, ihre Haare gespannt mit straffen Zöpfen über den Ohren. Ihnen gegenüber, im gleichen Outfit, ein junges Mädchen vor einer Spiegelwand, rosa Hemd, rosa Stiefel und knapper Faltenrock: Schenja, 21 Jahre alt, Fotomodell, die vierte Frau von Zickenlehrer Rakowskij und heute Lehrerin an seiner Schule. Während er die Theorie lehrt, ist sie zuständig für die Praxis – angewandte Anmache.


„Was wollt ihr lernen von mir in den Verführungsstunden?“, fragt Schenja mit einer Stimme, hauchzart wie ihre Figur. „Verlangen auszudrücken. Vor allem sexuelles“, sagt eine junge Frau stockend. „Aufhören, mich zu schämen, auch für meinen Körper.“ Eine andere Schülerin will „flirten, ohne dabei vulgär zu wirken“. Ihre Nachbarin möchte „endlich die Männer verstehen“. Konkreter die Frage der schmollmundigen Blondine: „Wie mache ich ihm verständlich, dass ich nicht gleich mit ihm ins Bett will – oder eben doch?“ Auch die robuste Schwarzhaarige daneben erhofft sich Lebenshilfe: „Ich habe oft das Problem: Ein Mann lächelt mich an, und damit hat es sich. Es passiert nichts.“

Wie man als Frau dafür sorgt, dass etwas passiert, illustriert Schenja mit Filzstift auf einer Tafel, nach Buchstaben geordnet: A) Frisur, B) Make-up, C) Parfüm, D) Kleidung, E) Unterwäsche. Es folgen die Phasen der Bekanntschaft. Das erste Kennenlernen, das Werben, das Verlieben. Die Blondine mit dem Schmollmund unterbricht: „Aber wenn ich ihn gleich vernaschen möchte?“ Schenja lacht: „Du wirst nie einen anständigen Ehegatten finden.“ In einem Rollenspiel sollen die Frauen lernen, wie sie „seine“ Aufmerksamkeit gewinnen: Sie lassen Stifte fallen, um sich miniberockt nach ihnen zu bücken. Sie lernen den Trick, sich das Handy eines Mannes für einen kurzen Anruf auszuleihen: „Dann die Freundin anwählen, so ist dann seine Nummer bei ihr gespeichert, und du kannst zurückrufen.“ Und dann noch die Lutscher- und Bananenmasche, funktioniert immer. „Entscheidend ist es, die eigene Schüchternheit abzulegen“, erklärt Schenja und rollt langsam einen Lutscher über ihre Lippen.

Nebenan im Saal vertieft ihr Gatte die Theorie. Er spricht schnell und routiniert. Drei Typen von Männern und Frauen gibt es in Rakowskijs Geschlechterlehre. Sie passen zusammen oder eben nicht, fast wie Puzzle-Teile. Die Gattung Mann gliedert er in die „kleinen Jungen“, die ihr Leben lang eine Mama suchen, die „Teenager“, dauerhaft unreif und spaßfixiert, und schließlich die „Männer“, die ihren Beschützerinstinkt ausleben müssen und deswegen eine Lolita suchen. Die drei weiblichen Typen sind: die „Frau“, bereit, für das Kind im Mann aufzukommen und deswegen so begehrt bei den „kleinen Jungen“. Das „kleine Mädchen“ mit dem Habitus einer höchstens Fünfjährigen, das den Behüter im reifen Mann anspricht. Die „Teenagerin“, gefragt bei ihrem männlichen Gegenstück auf der Suche nach Ablenkung und Spaß.

Der Rest ist einfach, verkündet Rakowskij: Kennt die Frau erst einmal die drei Männertypen, muss sie die Zielgruppe nur richtig einordnen – und dann genau jenen Typ von Frau geben, den er erträumt: „Es ist wichtig, den Mann zu überzeugen: ,Ich kann dir all das geben, was du brauchst; wenn du mich hast, brauchst du keine andere mehr.“ Doch Vorsicht: „Wer die falsche Strategie wählt und etwa dem kleinen Jungen als kleines Mädchen kommt, der weckt den Fluchtinstinkt“, warnt Musterschülerin Natascha. „Einfacher ist alles mit Ausländern, etwa Deutschen, die sind sehr leicht einzuordnen und zu dressieren.“ Doch mit der Zeit könne es deshalb langweilig werden mit ihnen.

„Aber wenn ich mich nicht verstellen will? Wenn ich einfach ich selbst sein will“, fragt eine offenbar deplatzierte Kursteilnehmerin und erntet einen mitleidigen Blick Rakowskijs. Im Prinzip sei alles wie in der freien Wirtschaft: „Man muss ein Angebot schaffen, das der Nachfrage entspricht. Wie jeder gute Verkäufer. Du musst herausfinden, was dem Käufer fehlt, und das Bedürfnis wecken.“ Die kluge Frau wähle sich zuerst mit dem Verstand einen Mann aus, bringe alles über ihn in Erfahrung – und wenn sie zu dem Schluss komme, dass er der Richtige ist – dann verliebe sie sich und keinesfalls umgekehrt, mahnt Rakowskij: „Wie ihr ihn dazu bringt, euch zu heiraten und zu verwöhnen, verrate ich beim nächsten Mal. Jetzt die Hausaufgabe: Versucht, die ganze nächste Woche ohne Geld auszukommen, borgt euch etwas von Freunden, Verwandten, Bekannten. Überwindet eure Hemmungen.“

Marina hat bereits alle Scheu abgelegt. „Für mich begann dank Rakowskij ein neues Leben“, sagt die 29-Jährige mit drei Hochschulabschlüssen. „Dabei habe ich mich vorher in Gedanken als Frau schon beerdigt.“ Lebenslustig und froh sei sie gewesen, sagt die rothaarige Marketingexpertin, „bis zur Hochzeit“. Ihr Mann wollte ein Heimchen am Herd, verbot ihr kurze Röcke, grelle Farben. „Er saß immer vor dem PC oder Fernseher, ich musste ihn bedienen“, sagt sie, und mit einem Mal verdüstert sich ihre jugendliche Aura: „Jeden Abend dasselbe, ich wollte ausgehen, sagte ihm, dass ich ihm vorab etwas koche und in den Kühlschrank stelle, er verbot mir das: ,Wer soll mir das Essen dann servieren? Oder er ließ mich kochen, stundenlang, den Tisch decken, und dann meinte er barsch, er habe keinen Appetit.“ Sie fühlte sich wie seine Leibeigene, sagt Marina und schüttelt angewidert den Kopf: „Ich wollte flüchten, hatte aber nicht den Mut.“

Bis eine Freundin sie mit in Rakowskijs Zickenschule nahm; sie gehe zu einem Englischkurs, log sie zu Hause wie die meisten Rakowskij-Schülerinnen. „Ich habe verstanden, dass ich mich in eine Rolle drängte, die ich nicht wollte, ich war für meinen Mann zur Mutter geworden, hatte die ganze Verantwortung. In meinem ganzen Leben musste ich immer andere umsorgen, schon als Kind die jüngere Schwester.“ In der Zickenschule fasste sie Mut, aus ihrer Rolle zu fliehen. Nach ein paar Monaten reichte sie die Scheidung ein. „Jetzt bin ich endlich frei, tue, was ich will“, sagt sie und strahlt über das ganze Gesicht. „Ich habe meine Zwänge abgelegt, ich hole jetzt meine Jugend nach, die ich nie hatte.“

Ihre Freundinnen erkannten sie nicht wieder, erzählt Marina. „Heute gebe ich es einem Mann zu verstehen, wenn er mir gefällt. Statt wie früher wegzusehen, erwidere ich seine Blicke, das hätte ich mich früher nie getraut“, sagt sie. „Auch in der Arbeit funktioniert es. Wenn ich Hilfe brauche, spiele ich das kleine Mädchen. Da kommen die Männer sofort, unterstützen mich. Wichtig ist es, danach zu danken, ihnen zu sagen, wie intelligent sie sind, wie toll. Das hören sie gern.“

Auch wie sie den Mann fürs Leben finden kann, hat Marina bei Rakowskij gelernt: „Man muss sich mit Frauen anfreunden, die in den entsprechenden Kreisen unterwegs sind. Irgendwann wird es dann etwas.“ Ist der Richtige erst gefunden, heißt es, Beherrschung zu zeigen: „Wenn du einem Mann deine Stärke zeigst, ist das das Ende. Nie darf man sich auf eine Ebene stellen mit ihm! Man muss immer die Schwächere bleiben. Du musst ihm immer sagen, dass er der Allerbeste ist.“ Ob das nicht verlogen ist? Marina zögert keine Sekunde mit der Antwort: „Klar, man kann das Manipulation nennen. Aber es gewinnen doch beide: Wenn du dem Mann gibst, was er will, gibt er dir, was du brauchst.“

Marina lächelt. „Im Westen sind die Frauen stärker, erfolgreicher, reicher – und finden keinen Mann.“ Emanzipation? Nein, damit habe sie nichts am Hut, sagt sie: „Für mich ist die Stärke einer Frau ihre Schwäche. Ihr kann niemand widerstehen.“ Ob das nicht ein wenig unromantisch sei? Marina kommt ins Grübeln. „Vielleicht. Ja, das ist alles sehr nüchtern mit diesen Mechanismen. Aber wenn man sie kennt, tut man sich leichter im Leben.“ Marina seufzt. Es sei wie in der Wirtschaft. Du hast ein Produkt – dich selbst. Du schaust, wie es auf dem Markt wirkt, wie viel du dafür bekommen kannst und von wem. „Die Liebe“, sagt sie und blickt zur Seite, „ist halt auch nichts anderes als Marketing.“

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