Ein Gastbeitrag von Alexander Fritsch
Wird unter Joe Biden nun alles wieder gut zwischen Deutschland und den USA? Unsere Journaktivisten hyperventilieren schon in Vorfreude auf den neuen Mann im Weißen Haus. Doch der deutsche Amerika-Hass hängt nicht vom US-Präsidenten ab.
„Ich könnte ihm seine Eitelkeit leichter verzeihen, hätte er die meine nicht verletzt.“
(Jane Austen – „Stolz und Vorurteil“, 1813)
Wenn man wissen möchte, wie der polit-mediale Mainstream in Deutschland so tickt, dann sind die offiziellen Verlautbarungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in der Regel eine erhellende Lektüre.
„Mit dem Einzug von Joe Biden ins Weiße Haus sind in Deutschland viele Hoffnungen auf eine Verbesserung des transatlantischen Verhältnisses verbunden.“
So schreibt die DGAP am 20. November 2020 auf ihrer Internetseite, und im Wettbewerb um den Titel „Untertreibung des Jahres“ liegt das gut im Rennen. Wer die Berichterstattung der deutschen Leitmedien und derer, die bei ihnen abschreiben, in den vergangenen Monaten verfolgt hat, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, in den USA habe keine Präsidentschaftswahl stattgefunden, sondern der Endkampf zwischen Messias und Luzifer.
Im Weltbild der üblichen Verdächtigen hat Messias zwar gewonnen. Aber in deren Augen wird Joe Biden die USA trotzdem nicht rehabilitieren können, selbst wenn er über Wasser geht.
Zerrissene Partei
Denn erstens haben die Republikaner kein Interesse daran, Joe Biden dabei zu helfen, die radikalen – und geistesgeschichtlich durchaus unamerikanischen – Ideen des Fundi-Flügels seiner Demokraten umzusetzen. Man kann ja schon jetzt dabei zusehen, wie diese kleine, aber sehr laute (und, ähnlich wie in Deutschland, von den Mainstream-Medien gepamperte) Minderheit einerseits sowie die demokratische Parteimehrheit andererseits öffentlich quasi mit Messern aufeinander losgehen.
Zweitens hängt der deutsche Amerika-Hass in Wahrheit sowieso nicht vom Mann im Weißen Haus ab.
Richtig ist aber auch: In den USA gibt es mindestens 70 Millionen Rassisten, Sexisten, Menschenverachter beziehungsweise Leute, die Rassismus, Sexismus, Menschenverachtung den Weg ebnen, in Ordnung oder egal finden oder zumindest in Kauf nehmen. Mit Letzteren kann man reden,…
— Hasnain Kazim (@HasnainKazim) November 8, 2020
…Dialog führen, sie vielleicht zurückgewinnen, Erstere kann man nur sozial ächten und gesellschaftlich ausgrenzen.
— Hasnain Kazim (@HasnainKazim) November 8, 2020
Der Herr, der da Dutzende Millionen US-Wähler „sozial ächten und gesellschaftlich ausgrenzen“ will, wird übrigens von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung dafür bezahlt, den Teilnehmern einer Veranstaltung mit dem Titel „Gib‘ Hate-Speech keine Chance“ beizubringen, wie man „populistischen Angriffen und Pöbeleien Contra geben“ kann.
Realsatire. Prädikat: unschlagbar.
Aber mal abgesehen davon, dass aus solchen Einstellungen Bürgerkriege entstehen: Hier wird herzerfrischend unverblümt pathologischer Antiamerikanismus vorgeführt, und der ist tief im deutschen Mainstream verwurzelt. Europa stehe für „andere Werte“ als Amerika, von dem man sich „abkoppeln“ müsse, sagte jüngst erst wieder der SPD-Fraktionsvorsitzende Mützenich.
Donald Trump war eine charakterlich so zweifelhafte und politisch so polarisierende Figur, dass es leicht fiel, hinter der speziellen Feindschaft zu ihm den allgemeinen Amerika-Hass zu verstecken, der vor allem im grün-linken Mainstream-Deutschland ein unverändert beliebtes und sinnstiftendes Leitmotiv ist.
Jetzt, ohne Trump, hat der Antiamerikanismus kein Versteck mehr.
Dahinter steckt zum einen das überhebliche Moralisieren des deutschen juste mileu.
Da wird mit maximal herablassender Attitüde gegen das US-Wahlsystem polemisiert. Ausgerechnet die Fraktionssprecherin der SED/PDS/Linken in der Hamburger Bürgerschaft ließ ernsthaft verlauten, der knappe Ausgang der US-Wahlen zeige, wie beschädigt die Demokratie dort sei.
Demütig sei hier gefragt, ob die Amerikaner in Sachen Demokratie von der EU wirklich so viel lernen können: Bei der letzten EU-Wahl hießen die Spitzenkandidaten, aus denen das Volk auswählen sollte, Frans Timmermans und Manfred Weber. Hinter verschlossenen Türen wurde dann von den EU-Regierungschefs Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin ausgekungelt.
Man beobachtet mit einer eigenartigen Mischung aus amüsiertem Interesse und absoluter Fassungslosigkeit, zu welcher entsetzlichen Selbstgerechtigkeit manche Deutsche im Jahr 2020 fähig sind.
Erleichterter Außenminister
Der sogenannte Außenminister Heiko Maaß entblödet sich nicht, sich nach der US-Wahl von deren Ausgang „erleichtert“ zu zeigen – und damit knapp 74 Millionen Bürgern von Deutschlands zweitwichtigstem Handelspartner deutlich zu machen, wie wenig er von ihrem souveränen politischen Urteil (und ihrer Stimme für Trump) hält.
Erneut demütig sei hier daran erinnert: Die USA haben ununterbrochen seit 1776 eine Demokratie, für deren Einführung sie seinerzeit erfolgreich einen Unabhängigkeitskrieg führten. Diese Demokratie hat einen Bürgerkrieg und zwei Weltkriege überstanden.
Heiko Maaß und den Seinen mag es entfallen sein (wenn sie es denn jemals wussten): Das heutige Deutschland brachte es in derselben Zeit auf drei Kaiser, vier Könige, sechs Großherzöge, fünf Herzöge, sieben Fürsten, zwei gescheiterte Republiken – und auf zwei Diktaturen.
Und die deutsche Demokratie, die heute als Rechtfertigung für die geschichtsvergessene Arroganz vor allem so vieler Grün-Linker herhält, war ein Geschenk der USA. Wir haben keinen Krieg geführt, um die Demokratie zu bekommen. Wir haben die Demokratie bekommen, weil wir einen Krieg verloren haben.
Eher Psychologie als Politik
Die – vorsichtig formuliert – Distanz einschlägiger deutscher Kreise zu den USA hat also erkennbar eher psychologische als politische Gründe.
Einerseits: Grün-Linke hassen die Amerikaner, weil die so anders sind.
Amerika ist materialistisch. Deutschland ist idealistisch. In den USA wurde, passend zur ökonomischen Orientierung, der philosophische Pragmatismus erfunden. Wir sehen uns, durchaus mit einiger Berechtigung, als Heimat des Idealismus. Die beiden Konzepte passen nicht zueinander.
Amerika ist risikofreudig. Deutschland ist ängstlich. Nicht zufällig wurde das Risikokapital in den USA erfunden. Wir dagegen sind der zweitgrößte Rückversicherungsmarkt der Welt, mit einem Beitragsaufkommen in Höhe von sagenhaften 19,4 % – bei einem Anteil an der Weltbevölkerung von gerade einmal 1,1 %.
Amerika ist gegenwartsorientiert. Deutschland ist vergangenheitsbesessen. Die USA werden nicht ganz zu Unrecht auch als geschichtslos bezeichnet; auf der politischen Weltkarte gibt es das Land eben erst seit 1776. Wir dagegen definieren uns wahlweise über das Heilige Römische Reich deutscher Nation – oder über das Dritte Reich. Oder kann sich jemand noch an andere Inhalte aus dem Geschichtsunterricht erinnern?
‘Uns Uwe vs. Kaiser Franz‘
Amerika orientiert sich an der Elite. Deutschland orientiert sich am Durchschnitt. Sieger und Spitzenergebnisse werden in den USA aufrichtig bewundert. Die erfolgreichsten Sportler sind auch die populärsten: Muhammed Ali, Michael Jordan, Michael Phelps. In Deutschland war Franz Beckenbauer (das Genie, der elegante Gewinner und Weltmeister) stets hoch angesehen und respektiert – aber nie geliebt. Der populärste deutsche Fußballer war immer Uwe Seeler (der Arbeiter, der unglückliche Verlierer und Vize-Weltmeister). Man beachte die Kosenamen: Beckenbauer war „Kaiser Franz“ – ein sprachliches Maximum an emotionaler Distanz. Seeler war „Uns Uwe“ – der ultimative Ausdruck von Nähe und Identifikation.
Amerika feiert das Bekenntnis. Deutschland pflegt das Verschweigen. In den USA stand fast in jedem Vorgarten ein Schild „Vote Biden“ oder „Vote Trump“. Wie viele Autos fahren in Deutschland mit Partei-Aufklebern herum? Mit offenen Bekenntnissen haben die Deutschen mehrfach schlechte Erfahrungen gemacht. Das Wort „Duckmäuser“ lässt sich kaum übersetzen.
Andererseits: Grün-Linke hassen die Amerikaner, weil die so sind wie sie selbst.
Amerika ist religiös. Deutschland ist das auch. In den USA gehören Gebete zum Kern des gesellschaftlichen Lebens. In Deutschland geben wir uns gerne säkular – in Wahrheit übersteigern wir jede modische Meinung ins Religiöse: Klima, Migration, Corona, …
Alte weiße Männer
Amerika ist chauvinistisch, rassistisch und sexistisch. Deutschland ist das auch. Nur, wer sich Augen und Ohren fest zuhält, kann leugnen, dass die USA ein Rassismus-Problem haben (es ist allerdings keines, das nur in eine Richtung verläuft). Und nur, wer jede Selbstdistanz verloren hat, kann leugnen, dass die in grün-linken Kreisen so beliebte Verächtlichmachung von „alten, weißen Männern“ natürlich nichts anderes als chauvinistisch, rassistisch und sexistisch ist. Und das ist nur ein Beispiel unter ganz, ganz vielen.
Amerika ist sprunghaft und unberechenbar. Deutschland ist das auch. „Man kann sich immer darauf verlassen, dass die Amerikaner das Richtige tun – nachdem sie alles andere ausprobiert haben.“ Das sagte einst der US-Minister John Block. „Die Mittellage des Gemüts ist keine deutsche Kernkompetenz.“ Das sagte einst Friedrich Merz. Noch Fragen?
Amerika ist überheblich. Deutschland ist das auch. Die USA halten sich sehr ernsthaft für die großartigste Nation auf der Welt. Deutschland will schon immer die Welt belehren: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ ist kein Bisschen besser als „the Greatest Nation on Earth“. Eher schlimmer.
Amerika ist nationalistisch. Deutschland ist das auch. Nur dass der US-Nationalismus für das eigene Land argumentiert – und der deutsche dagegen. Das Anti-Deutsche ist der neue, grün-linke Nationalismus. Daher die Fixierung auf Migranten: Das Fremde wird dem Eigenen vorgezogen.
Haß aufs Spiegelbild
Was manche Deutsche an Amerika so hassen, ist in Wahrheit das eigene Spiegelbild.
Deutschland bestimmt nicht mehr den Gang der Dinge. Es ist keine Kraft, die allein weltweit noch irgendetwas durchfechten kann. Unserer Großmannssucht – unseliges Erbe des unseligen Idealismus – versetzt das einen furchtbaren, schmerzhaften, traumatischen Schlag.
„Andere Kulturen wissen das genau. Bewusst fördern sie die westlichen (deutschen, d. Red.) Schuldgefühle – von dem einen oder anderen afrikanischen Potentaten über Wladimir Putin bis hin zu Chinas Präsident Xi Jinping.“
Das schreibt Jacques Schuster in einem großartigen Essay. Und weiter:
„Schon 2006 beklagte Pascal Bruckner den europäischen Masochismus. Er sei immer auch ein umgekehrter Sadismus. Das ganze Paradox des ernüchterten Europa bestünde darin, (…) dass es genauso überheblich wie das einstige imperiale Europa sei, da es seine Kategorien weiterhin auf den Rest der Welt projiziert und sich auf kindische Weise rühmt, letztlich für alle Leiden der Menschheit verantwortlich zu sein.“
Man ersetze „Europa“ durch „Deutschland“ – und man versteht diesen unverständlichen, grünen, linken Antiamerikanismus.
„Unser Überlegenheitskomplex drückt sich in einem immerwährenden Schuldeingeständnis aus, unsere verkümmerte Persönlichkeit auf ein globales Maß aufzublähen.“
(Pascal Bruckner)
Es ist eine zum Selbsthass kondensierte verletzte Eigenliebe.
Stolz gegen Selbsthaß
Die USA und Deutschland, das ist die Geschichte von Stolz gegen Selbsthass.
Der amerikanische Stolz darauf, das eigene Land und die eigene Lebensweise selbst erkämpft und erarbeitet zu haben.
Der deutsche Selbsthass dafür, in einem Land und auf eine Weise zu leben, die nur durch einen verlorenen Krieg entstanden sind und die von den Siegern zwangsweise eingeführt wurden.
Diese Geschichte wird weitergehen – egal, wie der Präsident gerade heißt.
Alexander Fritsch, Jahrgang 1966, studierte Volkswirtschaft und Philosophie in Frankreich und Deutschland und arbeitet seit 25 Jahren als Journalist. Außerdem berät er als Business Coach Unternehmen und Verbände, vorrangig bei den Themen Kommunikation und Strategie.