Als ich zum ersten Mal den Video-Mitschnitt sah, in dem eine Stimme, die der von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz gleicht, Geimpfte als „Versuchskaninchen“ bezeichnet, dachte ich: Das muss ein Fake sein, eine gut gemachte Fälschung. Es kann gar nicht sein, dass der Sozialdemokrat diesen Satz wirklich sagte: „50 Millionen sind jetzt zweimal geimpft. Wir waren ja alle die Versuchskaninchen für diejenigen, die bisher abgewartet haben. Deshalb sage ich als einer dieser 50 Millionen – es ist gut gegangen! Bitte macht mit.“ Aber das Video ist echt. Scholz, dessen Zynismus sogar noch den von Merkel zu übersteigen scheint, hat das tatsächlich gesagt.
Und jetzt legte seine Parteichefin nach. Der Impfstoff ist sicher, sagte die oberste Sozialdemokratin Saskia Esken im ZDF, denn er sei „an Milliarden von Menschen getestet, sozusagen in einem großen Feldversuch auf der ganzen Welt“. Man könne sich deshalb, so Esken, „darauf verlassen, abgesehen von kleinen Nebenwirkungen wie Abgeschlagenheit oder zwei, drei Tage Schwierigkeiten, dass man damit gut vorankommt.“ Wenn sich ohne Pflicht nicht genügend Menschen entscheiden, sich impfen zu lassen, sei sie für eine Impfpflicht, so die Parteichefin.
Seit Wochen gilt in Deutschland ein klarer Shutdown für Ungeimpfte, sagte Esken in dem Interview: „Wir haben schon eine wesentliche Einschränkung, und jetzt auch für Geimpfte nochmal die Kontakte beschränkt.“ Auf die Frage, ob noch grundlegend härtere Maßnahmen notwendig werden könnten, sagte sie, es sei klug, in diesen Tagen nichts auszuschließen.
Versuchskaninchen? Großer Feldversuch? Was treibt Politiker einer Regierungspartei dazu, sich so auszudrücken? Sowohl Scholz als auch Esken müssen wissen, dass sich viele, die sich haben impfen lassen, Sorgen machen und durchaus auch gewisse Ängste haben. Wieso diese Menschen genau damit triggern? Ist es schlicht und einfach Ehrlichkeit? Oder blanker Zynismus? Ich tippe auf Letzteres. Wenn man in die Geschichte blickt, dann sieht man – wenn Regierende mit Zwangsmaßnahmen die Rechte der Regierten einschränken, dann geht das sehr oft mit Spott über dieselben einher. Warum das so ist, kann ich Ihnen als Journalist nicht erklären, da könnte nur ein Psychologe helfen. Auf jeden Fall scheinen mir solche Aussagen eine tief sitzende, innere Verachtung den Regierten gegenüber auszudrücken. Und offenbar auch die Überzeugung, dass man selbst dann wieder gewählt wird, wenn man den Leuten solche verbalen Ohrfeigen verpasst.
Text: br
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