Vernichtende Kritik: Der nächste SWR-Mitarbeiter packt aus „Ich bin Martin Ruthenberg und ich bin fassungslos vor Wut“

Von Alexander Wallasch

Es ist nicht das erste Mal, dass beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk einem Mitarbeiter die tendenziöse Berichterstattung so zur Belastung wird, dass er auspackt. Große Aufmerksamkeit bekam Ole Skambraks, der 12 Jahre lang beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk tätig war. Er hatte dem SWR Anfang Oktober vorgeworfen, nicht ausgewogen über die Pandemie zu berichten. Skambraks ist mittlerweile entlassen worden.

Die Begründung für diese Entlassung hatte einen dissonanten Grundklang: Nicht seine Kritik sei der Grund, sondern das „zerstörte Vertrauensverhältnis“. Eine Sprecherin des SWR kommentierte damals: „Jeder im SWR darf sich frei äußern. Grenzen sind dann erreicht, wenn es nicht um Meinungsäußerung geht, sondern um die gezielte Diskreditierung des Unternehmens und der Kollegen.“

Wir erwähnen das hier, weil man Skambraks zwar beim Zwangsgebührensender entlassen, aber doch nicht mundtot machen konnte. Aktuell berichtet der ehemalige SWR-Mitarbeiter auf einem Blog über einen weiteren SWR-Kollegen, der jetzt ebenfalls den Mut aufbrachte, seinem Gewissen zu folgen.

Was ist da los im Sender? Besagter Kollege von Skambraks twitterte am 10. Januar: „Ich bin fassungslos wütend über die BerichtErstattung des SWR, meines ArbeitGebers! Alles Weitere hier:“ – es folgt ein Verweis zu einem Link einer 15-minütigen Sprachnachricht, hinterlegt bei magentacloud.de.

Der SWR-Mitarbeiter beginnt zu erzählen: „Heute ist Sonntag, der 9. Januar 2022. Ich bin Martin Ruthenberg und ich bin fassungslos vor Wut.“

Ruthenberg weist vorab darauf hin, dass er so aufgebracht ist, dass es „Tonsprünge“ in der Aufzeichnung geben könnte, wo er vielleicht abbrechen musste, um sich neu zu sammeln. Das sei aber seiner Wut geschuldet.

Martin Ruthenberg ist ein alter Hase, der schon seit Anfang der 1990er Jahre beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk tätig ist. Ole Skambraks hatte in seinem Bericht Auszüge aus einer E-Mail von Ruthenberg an ihn veröffentlicht, wo der ihm schon bei dessen öffentlicher Empörung Beifall spendete. Nun folgt also Ruthenberg selbst mit einer schwergewichtigen Anklage gegen den SWR.

Er sei arbeitsunfähig seit Ende Oktober. Den Zuhörern stellt sich Ruthenberg als Moderator klassischer Musiksendungen und als Nachrichtensprecher vor. Das seien seine Haupttätigkeiten. Als Nachrichtensprecher zuletzt vor allem für SWR2 und SWR aktuell.

Ruthenberg berichtet, dass er am Vortag auf einer Demonstration „hier in Freiburg“ gewesen sei. 6.000 Teilnehmer seien dort gewesen.

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) hatte gegenüber der „Rheinischen Post“ und mit Blick auf diese Demonstration dazu aufgerufen, sich von Extremisten zu distanzieren: „Ich appelliere an die friedlich gesinnten Demonstrations-Teilnehmer: Distanzieren Sie sich unmissverständlich von geistigen Brandstiftern, von Extremisten, die ihr eigenes Süppchen kochen, ja sogar zur Gewaltausübung bereit sind.“

Übrigens, Christine Strobl, Ehefrau des Innenministers und Tochter von Wolfgang Schäuble (CDU), war lange Jahre Fernsehfilmchefin beim SWR und ist heute Programmdirektorin bei der ARD.

Ich bin kein Spalter

Aber zurück zu Ruthenberg: „Was mich so wütend macht, ist, wie mein Arbeitgeber darüber berichtet hat.“ Die Moderatorin hätte die Demonstranten als „Spalter“ bezeichnet. Dagegen verwahrt sich Ruthenberg, er sei kein Spalter, er fühle sich von diesem Anwurf sogar „diffamiert, ausgegrenzt“. Er hätte keine einzige Person gesehen, die „auch nur eine Tendenz von Spalten wollen“ gezeigt hätte.

„Das waren alles sehr friedliche, sehr liebevolle Menschen.“ Und der SWR-Moderator und Nachrichtensprecher hält, was da passiert, schon lange nicht mehr für eine Ausnahmeerscheinung, es sei sogar die Regel geworden.

Ruthenberg ist etwas über 60 Jahre alt, so stellt er sich vor. Er sei sich sicher, dass ihn, wäre er jünger, diese Erfahrung mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ radikalisiert hätte.

Ruthenberg distanziert sich aber von jeder Form von Radikalität, Gewalt oder Feindlichkeit. Er berichtet weiter, dass er nebenberuflich als Therapeut tätig sei.

Tatsächlich hat der SWR-Mitarbeiter über seine Empörung hinaus eine Botschaft zum Thema Gesundheit. So erzählt er, er hätte gelernt, dass es ihm und anderen Menschen mehr hilft, „wenn ich Krankheiten nicht als Funktionsstörungen, sondern als Entwicklungsprozesse betrachte“.

Dieser Ansatz von Ruthenberg erinnert den einen oder anderen spontan sicher an einen Bestseller der 1980er Jahre, der unter dem Titel „Krankheit als Weg“ sehr populär wurde.

„Ich betrachte unseren Planeten als ein großes lebendiges System“, erzählt Ruthenberg. Er selbst betrachtet sich als „als Teil eines größeren lebendigen Systems“.

Bei Ruthenberg steht also die Wut über die tendenziöse Berichterstattung des SWR einer gereiften inneren Haltung gegenüber, insbesondere, was den Blick auf die Pandemie und den Umgang damit betrifft. Hier könnte ein Risiko bestehen, dass seine Kritik an der Berichterstattung insgesamt verwässert wird.

Es stimmt was nicht mit dem Planeten

Aber Martin Ruthenberg weiß sehr genau mit Sprache umzugehen. Er spinnt seine Fäden so, dass man, was ihn auf unterschiedlichen Ebenen bewegt, durchaus noch auseinanderhalten kann. Nichtsdestotrotz ist sein gesundheitlicher Ansatz in Kombination mit der fundamentalen Kritik am SWR eine zweite Hausnummer.

„Als das mit Corona losging, war mir sofort klar, dass Corona, diese Krankheit, wiederum nur das Symptom dafür ist, dass mit diesem Planeten was nicht stimmt und dass es im Kern, was uns Menschen betrifft, um das Thema Angst geht.“

Es folgt eine kurze Abhandlung über die Mechanismen von Angst und Wut. Über „Wut als Teil unserer Lebenskraft“. Aber Martin Ruthenberg findet mühelos den Weg wieder zurück zum Demo-Geschehen: Wut könne man nicht einfach wegmachen. Aber man kann, so der SWR-Mitarbeiter, die Wut konstruktiv lenken, indem man demonstrieren geht. Das wäre so eine Möglichkeit. Den Demonstranten sei es gelungen, ihre Wut in konstruktiver Weise zu integrieren „und das unterscheidet sie möglicherweise von vielen anderen in unserer Gesellschaft“, lobt er die Spaziergänger.

Dem Freiburger Oberbürgermeister Martin Horn hingegen attestiert er einen Angriffsmodus. Der nämlich hätte in einer SWR-aktuell-Nachrichtensendung die Demonstranten als „Spalter“ verkaufen wollen. Der Oberbürgermeister (parteilos) hätte von einem Plakat auf dieser Demo gesprochen, „das Parallelen zieht zu den Medizinern in der Nazi-Diktatur“.

Er selbst hätte aber kein einziges solches Plakat wahrgenommen. Dann erzählt Ruthenberg einen schockierenden Teil seiner Familiengeschichte: Sein Großvater wurde aufgrund seiner politischen Ansichten von den Nazis totgespritzt.

Der dreiminütige Beitrag auf SWR-aktuell mache, so Ruthenberg, „in exemplarischer Weise deutlich, wie Medien und Politiker seit dem Beginn der Corona-Krise funktionieren“.

Und weiter: Es spräche vieles dafür, „dass hier international agierende Netzwerke so genannter Spin-Doktoren ihre Hände im Spiel haben. Das sind Public-Relations-Werbefachleute, die sehr genau wissen, wie sie die öffentliche Meinung lenken können. Wie genau diese Zusammenhänge sind, dass werden wir erst herausfinden können, wenn wir diese Krise bewältigt haben“.

Corona-Leugner verzweifelt gesucht

Martin Ruthenberg hat, so sagt er, in den gesamten letzten Jahren keinen einzigen Menschen getroffen, der Corona geleugnet hätte: „Der Begriff Corona-Leugner ist ein Kampfbegriff, den die Medien in unserer Gesellschaft salonfähig gemacht haben.“

Er selbst leugne nicht, dass Menschen an Corona gestorben sind, aber er glaube, dass Corona nicht so gefährlich sei, wie es den Anschein hätte. Die wissenschaftliche Lage zu allen Fragen, die Corona betreffen, sei keineswegs so eindeutig, wie die Medien sie darstellen.

Nach dem Großvater von Ruthenberg und dessen schlimmen Schicksal erfahren wir auch etwas über Ruthenbergs Vater: „Ich bin durch die harte Denkschule meines inzwischen 92-jährigen Vaters gegangen.“ Der sei Mathematiker und Physiker, der bis ins hohe Alter an Zahlenräumen geforscht hätte. Ruthenberg selbst hätte in den „Tiefen des Internets“ herausgefunden, dass der wissenschaftliche Diskurs zu Corona immer noch geführt wird.

Über sich selbst sagt Ruthenberg, er hätte immer wieder gehört, dass seine Stimme (als Nachrichtensprecher) beruhigend wirken würde. Er sei ja nicht für den Inhalt der Nachrichten selbst verantwortlich gewesen, aber er hätte immer versucht, „zumindest über die Stimme den Menschen etwas von der mehr oder weniger bewussten oder unbewussten Angst zu nehmen“.

Das mag ganz sicher ein ehrenwerter Ansatz sein, aber will man das wirklich? Von einem Nachrichtensprecher schlechte Nachrichten – möglicherweise sogar falsche oder verdrehte Nachrichten mit beruhigender Stimme vorgetragen bekommen?
Auch das mag wiederum der eine oder andere bereits als übergriffig empfinden.

Ruthenberg berichtet abschließend auch davon, dass er nach der Kündigung seines hier eingangs erwähnten SWR-Kollegen Ole Skambraks einen Brief an den Intendanten und die Geschäftsleitung geschrieben habe mit der Bitte, die Kündigung zurückzunehmen und „einen angstfreien Diskurs über das Thema ausgewogene Berichterstattung einzuleiten“.

Seitdem sei er arbeitsunfähig, so Ruthenberg.

Skambraks sei gekündigt worden, weil der das Vertrauensverhältnis zerrüttet hätte. Ruthenberg fragt sich nun seinerseits, ob er nicht dem SWR kündigen sollte, weil die ihm gegenüber das Vertrauensverhältnis zerrüttet hätten.

Er endet mit einer Erwähnung seiner Webseite, über die er erreichbar sei.

Martin Ruthenbergs Entscheidung, an die Öffentlichkeit zu gehen, war sehr mutig.
Seine Zuhörer müssen drei Dinge versuchen, auseinanderzuhalten: Da ist zum einen die fundamentale Kritik am SWR. Dann Ruthenbergs Einordnung wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Pandemie. Und drittens ein philosophisches Denkgebäude, welches Martin Ruthenberg quasi als Meta-Ebene über seine anklagende Rede gelegt hat.

Darunter kommt das eigentliche Anliegen, nämlich die Kritik an der Berichterstattung des SWR möglicherweise etwas zu kurz. Es bleibt also spannend, was der Moderator und Nachrichtensprecher des SWR in Zukunft noch alles zu erzählen haben könnte.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: screenshot https://www.voicecraft.org/start/martin-ruthenberg
Text: wal

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