Von Null auf 3,2 Millionen – das klingt schön, stimmt aber nicht ganz. Doch der Reihe nach: Heute vor einem Jahr startete diese Seite in ihrer neuen Funktion. „Geburtshelfer“ wider Willen war ausgerechnet ARD-Chef-Faktenfinder Patrick Gensing. Der ging wie aus heiterem Himmel im November 2019 juristisch gegen mich vor, weil ich eine Kachel mit einem Zitat von ihm auf Twitter geteilt hatte (siehe hier). Sein Anwalt nahm auch gleich noch meine Seite hier mit unter Beschuss, die bis dahin ein Schattendasein gefristet hatte mit ein paar hundert (also nicht ganz null) Aufrufen im Monat.
Ich stellte meine Seite sicherheitshalber offline. Und ganz offen gestanden: Ich war kurz davor, sie aufzugeben. Wegen der juristischen Risiken. Doch dann sagte ich mir: Jetzt erst recht! Genau zu dieser Zeit beklagte sich mein guter Freund, der Regensburger Professor für Politik-Wissenschaft Jerzy Maćków, dass kein Medium seinen neuen Kommentar drucken wollte – selbst bei den „Alternativen“ wurde er abgelehnt. Jerzy war etwas niedergeschlagen. Ich bot ihm spontan Asyl auf meiner Seite, die damals noch niemand kannte. Jerzy störte das nicht. „Danke, gerne“, sagte er spontan.
So war reitschuster.de in seiner heutigen Form geboren – mit dem Beitrag „Die ‚Große Koalition‘ beschädigt die Demokratie“. Der Artikel wurde viel gelesen. Obwohl die Seite, handgemacht wie sie war, wenig einladend wirkte. Und ich auch einfach nur den Namen meiner alten Homepage übernommen hatte. reitschuster.de war wie ein Fahrrad inmitten vieler schöner Autos und Luxuswagen. Aber dafür schnell, wendig und nicht abgeschirmt. Die Resonanz ermunterte mich weiterzuschreiben. Schon im ersten Monat hatte die Seite einige hunderttausend Aufrufe.
reitschuster.de wuchs und wuchs. Immer mehr Autoren hielten es wie Prof. Maćków und suchten bei mir Asyl. Oder einfach nur eine neue Plattform. Unter den Gastautoren war der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Arnold Vaatz und Merkels Afrika-Beauftragter Günther Nooke, die ich beide aus alten Zeiten menschlich überaus schätze. Fast von der ersten Stunde an dabei war SPD-Urgestein Gunter Weißgerber, viele Jahre im Bundestag für die Partei und inzwischen ausgetreten. Mein alter Focus-Kollege Olaf Opitz stieß dazu, Alexander Fritsch, der noch vor wenigen Jahren ganz knapp bei der Wahl zum Vorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbands unterlag, Josef Kraus, früher Chef des Lehrerverbandes, um nur einige zu nennen. Zu einem der fleißigsten Autoren wurde Sönke Paulsen, den ich seit vielen Jahren kenne und der politisch links beheimatet ist.
Aus der handgestrickten Seite aus dem Baukasten wurde binnen einiger Monate ein Medium mit allein im Juli 665.000 Besuchern und mehr als einer Million Aufrufen. Im Oktober waren es dann schon 1,8 Millionen Besucher und 3,2 Millionen Aufrufe.
Was da entstanden ist, ist für mich wie ein kleines Märchen. Die Zahl der Besucher wuchs und wuchs. reitschuster.de setzt inzwischen mit Umfragen und exklusiven Geschichten Akzente und Themen. Die Seite schafft es immer öfter in die Rangliste der relevantesten Artikel bei 10000.flies. Einmal Platz eins, mehrfach Platz zwei und drei in einer Liga mit Spiegel, Focus, Bild & Co. In den Twitter-Charts auf Platz 11 bei den Retweets, vor Herbert Grönemeyer, Karl Lauterbach, Georg Restle, der Heute-Show und dem FC Bayern München. Nein, ich zähle das nicht auf, weil mir Ranglisten wichtig wären oder ich eitel würde (ich werde nach Kräften alles tun, um das zu vermeiden). Sondern weil die Medien so oft den Eindruck erwecken, alles würde nur in eine Richtung im Strom schwimmen. Kritiker seien nicht relevant. Eine kleine Minderheit. Extremisten. Die Zahlen belegen: Viele Menschen sehen das, was in Deutschland passiert, kritisch. Menschen aus der Mitte der Gesellschaft.
Darum ist es mir so wichtig, dass die Seite viele neue Begegnungen mit wunderbaren Menschen brachte, wertvolle Bekanntschaften und auch neue Freunde. Dass sich auch viele Menschen dank der Seite untereinander vernetzt haben. Aus dem Ein-Mann-Betrieb ist eine regelrechte Familie entstanden, ein Team wunderbarer, engagierter, liebenswerter Menschen, die ich aus meinem Leben nicht mehr wegdenken kann. Ekaterina Quehl ist zur Seele der Seite geworden, Denis und Yvonne Kussmann sind das Herz – sie halten alles im Fluss, auch mitten in der Nacht, wenn es sein muss. Dazu kommen viele andere. Korrektoren, Lektoren, Rechercheure. Auch Kolleginnen und Kollegen von den großen Medien, die unglaublich viel mithelfen. Diskret natürlich.
Entscheidende Helfer sind auch Sie, liebe Leserinnen und Leser. Die Zahl der Themen-Anregungen und Hinweise ist überwältigend. Es ist so, als hätte man hundert Ohren und Augen. Wir schaffen es beim besten Willen nicht, auf alles zu antworten – sonst müsste die Seite stillstehen. Aber ohne die vielen Zuschriften wäre alles nichts. Und ohne Ihre Unterstützung, die ermöglicht hat, dass wir Schritt halten mit den Besucherzahlen und auf einen neuen, stabilen Server mit Reserven umziehen konnten (siehe hier). Immer wieder stockt mir der Atem, wenn Menschen schreiben, dass sie von ihren ganz geringen Mitteln noch etwas abzwacken für die Seite. So wichtig Ihre Unterstützung ist: Ich bitte alle, die ohnehin wenig haben, dieses Wenige zu behalten. Umso mehr freue ich mich über die Hilfe derjenigen, denen sie nicht weh tut.
Weil der Geburtstag ein Grund zum Feiern ist, will ich das mit Ihnen gemeinsam tun. Denn Sie sind die Väter und Mütter des Erfolges: Ich verlose zehn Exemplare meiner „Briefe aus einem untergehenden Imperium“. Alles, was Sie tun müssen, ist bis einschließlich 4. Dezember hier einen Kommentar zu schreiben.
Zum Geburtstag verspreche ich Ihnen: Ich werde mich weiter anstrengen. Ich werde mich hüten, Ihnen „Wahrheiten“ zu präsentieren. Ich werde versuchen, alles zu hinterfragen. Auch mich und meine Arbeit. Ich werde immer an Sie appellieren, sich aus verschiedenen Quellen zu informieren, verschiedene Perspektiven und Blickwinkel kennenzulernen. Nur so gehen Demokratie und Pluralismus – die momentan bei uns massiv unter Beschuss sind. Was etwa darin zum Ausdruck kommt, dass manche, bis hinauf zum SWR-Intendanten Kai Gniffke, nicht verstehen, dass in einer Medienlandschaft, die sehr einseitig und regierungstreu geworden ist, eine kleine Seite wie meine nur ein Korrektiv sein kann. Und eben nicht in der Lage ist, alle (!) Perspektiven abzudecken und in den Chor einzustimmen von abertausenden Mitarbeitern der gebührenfinanzierten Anstalten. Und der Redaktionen, die Steuermillionen bekommen.
Hier wird es keine Quote für Regierungs-Bauchpinselei und politische Korrektheit geben. Sollte sich eines Tages dagegen der politische Wind drehen, werde ich versuchen, mich ihm dann von der anderen Seite entgegenzustemmen.
Ich muss Sie warnen, dass mir Fehler passieren werden. Anders geht es leider nicht, vor allem angesichts des Arbeitspensums. Aber mir machen diejenigen, die sich für unfehlbar halten, am meisten Angst. In diesem Sinne: Bleiben Sie meiner Seite treu. Und bleiben Sie trotzdem kritisch mir und allen Beiträgen hier gegenüber!
Besonders freuen würde ich mich, wenn Sie an der folgenden Umfrage teilnehmen würden, die helfen soll, meine Seite noch besser zu machen.
PS: Und Professor Mackow hat pünktlich zum Geburtstag einen neuen Artikel geschrieben. Nicht weniger provozierend als der erste: „Polen und Ungarn verteidigen Demokratie und Freiheit“,
Text: br