Von Daniel Weinmann
Seinen Ruf als unbeirrbarer Schwarzer Sheriff der Coronapolitik hat sich Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher seit Ausbruch der Pandemie vor gut zwei Jahren redlich verdient. Angesichts der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes vom 20. März sah der SPD-Politiker offensichtlich seine Felle davonschwimmen. Allein mit sogenannten Basisschutzmaßnahmen möchte sich der 56-Jährige wohl nicht abspeisen lassen.
Der „NDR“ berichtete bereits am 24. März, dass die meisten Fraktionen in der Hamburgischen Bürgerschaft die Corona-Regeln verlängern wollten. Wie gut, dass die „Hotspot“-Regelung dem humorfreien Hardliner ein Hintertürchen offenlässt, sein rigides Maßnahmen-Regime zu verlängern. Denn diese erlaubt bei einer lokal begrenzten, bedrohlichen Infektionslage die Anwendung erweiterter „Schutzvorkehrungen“, etwa Maskenpflicht, Abstandsgebote oder Hygienekonzepte.
Mix aus Unverfrorenheit und Bauernschläue
Voraussetzung ist indes die Feststellung der konkreten Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage. Damit scheint Tschentscher überaus großzügig umzugehen. Die „Welt“ wollte wissen, auf welcher Basis die Stadt zu einem „Hotspot“ erklärt wurde, und fragte den Sprecher des Hamburger Senats, Marcel Schweitzer: „Welche Informationen liegen dem Senat aktuell dazu vor, wer ‚mit‘ und wer ‚wegen‘ Corona in Hamburg im Krankenhaus liegt? Sofern sich dieses Verhältnis auch in Hamburg durch Omikron signifikant verändert hat, welche Rolle spielt das bei der Entscheidung über die Verlängerung der Corona-Maßnahmen?“
Die Antwort verblüfft mit ihrem Mix aus Unverfrorenheit und Bauernschläue: „Wir können Ihre Frage nicht beantworten, wofür ich um Verständnis bitte, da uns die zur Beantwortung erforderlichen Daten nicht vorliegen.“
Nun gibt es zwei Interpretationsmöglichkeiten: Tschentscher und seine Erfüllungsgehilfen halten es für nicht nötig, einer der größten deutschen Tageszeitungen zu antworten. Oder die Lage in Hamburg erfüllt schlicht nicht die Bedingungen, die Hansestadt zu einem „Hotspot“ auszurufen.
Hamburger Senat handelt nach eigenem Gutdünken
„Die Frage ist, ob wir das mit den fehlenden Informationen glauben sollen“, twitterte „Welt“-Reporter Tim Röhn und verweist auf eine Anfrage vom Januar. Auch damals täuschte der Hamburger Senat Unwissenheit vor und teilte dem Fragesteller mit, es gebe diese Zahlen nicht. Zugleich erhielt die Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein (FDP) eine Tabelle mit Daten des Instituts für Hygiene und Umwelt. „Und plötzlich hatte man doch Zahlen parat, sogar ganz konkrete“, staunte Röhn.
Der Senat unter Leitung von Peter Tschentscher scheint offenbar eine Vorauswahl darüber zu treffen, wer mit welchen Informationen bedacht wird. Einer demokratischen und frei gewählten politischen Institution ist dieses Verhalten schlicht unwürdig.
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Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
Bild: Parilov/ShutterstockText: dw