Von Kai Rebmann
Die konstituierende Sitzung eines neu gewählten Parlaments ist in aller Regel eine eher trockene Angelegenheit, bei der jede Menge Formalitäten abzuarbeiten sind. Am vergangenen Mittwoch kamen die bei der zurückliegenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gewählten Abgeordneten erstmals in Düsseldorf zusammen, um eben diese Formalitäten zu klären. Unter Tagesordnungspunkt 15 stand die Abstimmung über die Erhöhung der Diäten für die Abgeordneten auf dem Programm. Dass die vorgeschlagene „Anpassung“ der monatlichen Bezüge der Politiker um 237 Euro auf jetzt rund 9.840 Euro eine selten klare Mehrheit fand, ist keine Überraschung. Die Abgeordneten von CDU, SPD, Grünen und FDP stimmten dafür, die Fraktion der AfD war dagegen.
Bemerkenswert ist vor allem, dass der Abstimmung nicht zumindest eine formale Beratung vorausging, wo doch den Abgeordneten in deutschen Parlamenten in anderen Zusammenhängen noch so belanglose Themen ausufernde Debatten wert sind. Man hätte sich zum Beispiel darüber austauschen können, wie es beim Wähler ankommt, wenn sich deren Volksvertreter ausgerechnet in einer Zeit mit Inflationsraten um acht Prozent eine Erhöhung ihrer ohnehin schon sehr üppigen Diäten genehmigen. Oder darüber, ob diese Maßnahme nicht ausnahmsweise einmal ausgesetzt werden sollte, um damit ein wichtiges Zeichen der Solidarität gegenüber den Bürgern zu setzen. Dass es sich bei der alljährlichen Anpassung dieser Bezüge um keinen gottgegebenen Automatismus handelt, stellten die Abgeordneten des Bundestags im Mai 2020 unter Beweis, als sie im Zeichen von Corona auf eben diese Erhöhung verzichtet haben.
CDU-Politiker schwadronieren von Demokratie und entlarven sich dann selbst
Herbert Reul (CDU) eröffnete die konstituierende Sitzung des neuen NRW-Landtags in seiner Funktion als Alterspräsident. Der Innenminister äußerte sich unter anderem mit Blick auf die historisch niedrige Wahlbeteiligung (55,5 Prozent) über den Zustand der Demokratie und die zunehmende Politikverdrossenheit in seinem Land. Viele Bürgerinnen und Bürger würden sich vom demokratischen Prozess entfernen und das Vertrauen in den Staat verlieren, beklagte Reul zu Beginn seiner Rede. Jeder dürfe zwar seine Meinung kundtun, aber: „Hass ist keine Meinung mehr.“ Ebenso gelte es zu verhindern, dass antidemokratische Meinungen in die Mitte der Gesellschaft sickern, wie Reul mit Blick auf die sogenannten Corona-Leugner sagte. Unausgesprochen geht aus diesen Aussagen hervor, dass der Innenminister gerne selbst festlegen würde, was unter „Hass“ und „antidemokratischen Meinungen“ zu verstehen ist.
Der im Rahmen der konstituierenden Sitzung in seinem Amt als Parlamentspräsident bestätigte André Kuper (CDU), forderte in seiner Antrittsrede von seinen Kollegen eine „respektvolle Diskussionskultur“ ein. Mit keinem Wort ging Kuper allerdings auf die zuvor abgehaltene Wahl der Vizepräsidenten des NRW-Landtags ein. Wie schon im Bundestag und in vielen weiteren deutschen Parlamenten ist die AfD die einzige Fraktion, die keinen Vizepräsidenten stellen darf, weil deren Kandidaten in schöner Regelmäßigkeit und ohne Ansehen der Person von den Abgeordneten der anderen Fraktionen abgelehnt werden. Daran wird sich in NRW auch in Zukunft nichts ändern.
Die AfD-Fraktion hatte den salomonischen Antrag gestellt, die Geschäftsordnung dahingehend zu ändern, dass die Zahl der Vizepräsidenten von bisher drei auf vier erhöht wird. Auf diese Weise hätte jede Fraktion einen Vizepräsidenten stellen können. Da CDU, SPD, Grüne und FDP aber auch in Düsseldorf lieber unter sich bleiben wollen, wurde der AfD-Antrag erwartungsgemäß abgelehnt. Also standen sich bei der Wahl zum zweiten Vizepräsidenten Daniel Zerbin (AfD) und Berivan Aymaz (Grüne) gegenüber, wobei der AfD-Kandidat mit 13:170 den Kürzeren zog.
Wer so viel über schwindende Demokratie klagt und für einen respektvollen Umgang miteinander wirbt, wie es die beiden CDU-Politiker Reul und Kuper in ihren Reden getan haben, der muss es aushalten können, wenn es innerhalb eines demokratisch gewählten Parlaments abweichende Meinungen gibt. Wie weit sich insbesondere Reul von der Lebenswirklichkeit der Bürger inzwischen entfernt hat, unterstrich der NRW-Innenminister mit folgendem Satz: „Zu viele Bürger fremdeln mit der parlamentarischen Politik.“ Es gehe in der Politik nicht um „Macht, Posten (und) Selbstdarstellung“, behauptet Reul und ist sich dabei offensichtlich nicht im Klaren darüber, dass insbesondere bei den Nicht-Wählern offenbar der gegenteilige Eindruck entstanden ist. Die Frage nach dem Warum wird sich der CDU-Politiker selbst beantworten können, wenn er sich die Abläufe während der ersten Sitzung des neuen Landtags in Nordrhein-Westfalen noch einmal ins Gedächtnis ruft.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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