Leonid Breschnew, Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (für die Jüngeren hier – der faktische Herr im Haus) wurde gegen Ende seiner Amtszeit zum Gespött. Weil seine geistigen Kräfte massiv nachließen. Sein Verfall wurde zum Gegenstand zahlreicher Witze. Eines der Hauptmotive der Breschnew-Witze sind falsche Ableser vom Blatt (etwa bei der Eröffnung der Olympiade in Moskau: „Oh-Oh-Oh-Oh-Oh“ – weil er die olympischen Ringe nicht als solche erkannte). Jahrzehnte später und auf der anderen Seite des Atlantiks erinnert ausgerechnet ein US-Präsident an den greisen Chef-Kommunisten: Joe Biden.
Ein großer Unterschied besteht allerdings: Der starke Mann aus Washington produziert die Witze selbst. Jüngstes Beispiel: Bei einem Treffen mit Vertretern der Windkraftindustrie hielt er einen „Spickzettel“ – eine Art „Handlungsanweisung“ offenbar aus Versehen umgedreht in den Händen, so dass alle Anwesenden und auch die Fernsehzuschauer gar nicht umhin konnten, einen Blick auf die nur für ihn bestimmten Hinweise darauf zu werfen.
‚YOU take YOUR seat‘: Very specific cheat sheet reminds Biden how to act https://t.co/eGJGqRzzlY pic.twitter.com/lil708FVho
— New York Post (@nypost) June 23, 2022
Acht Punkte enthält der „Spickzettel“. Erster: „Betreten Sie den Roosevelt Room und begrüßen Sie die Teilnehmer.“ Der Roosevelt Room ist direkt gegenüber von Bidens Arbeitszimmer, dem Oval Office.
Punkt zwei: „Nehmen Sie Ihren Platz ein.“ Sodann steht da: „Die Presse betritt den Raum.“ Und weiter: „Geben Sie kurze Kommentare (zwei Minuten).“ Anschließend heißt es: „Die Presse verlässt den Raum.“
Sodann: „Stellen Sie Liz Shuler, Präsidentin der AFL-CIO, eine Frage.“ Es folgt der Hinweis, dass Shuler nur virtuell dabei ist. Weiter steht da: „Danken Sie den Teilnehmern. Und: „Gehen Sie aus dem Raum“.
Erinnern Sie sich an die Zeiten, als Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika war? Und unsere Medien jeden noch so kleinen Fehltritt des Republikaners genüsslich aufgriffen, ja regelrecht zelebrierten? Selbst als bei ihm einmal etwas Klopapier am unteren Hosenende hängen geblieben war, sorgte das in Deutschland für Schlagzeilen. Kein Anlass war nichtig genug, um ein Füllhorn von Häme über das konservative Hassobjekt auszuschütten.
Bei Biden wird der Vorfall zwar nicht verschwiegen. Aber auf Sparflamme gekocht. Und Biden kommt extrem gut weg. Der Münchner Merkur etwa, für den ich früher schrieb, tut in seinem Beitrag so, als seien solche „Spickzettel“ nichts Ungewöhnliches. Das Motto: wenn man solche Aussetzer schon nicht verschweigen kann, muss man sie herunterspielen. Aber glaubt wirklich jemand, ein Politiker, der geistig auf der Höhe ist, würde so eine Regieanweisung brauchen? Ein Olaf Scholz mit einem Zettel, auf dem steht, dass er ins gegenüberliegende Zimmer gehen soll, dass er sich verabschieden muss und dann gehen muss? Allein die Vorstellung ist absurd.
Aussetzer wie den jüngsten liefert Biden in Serie. 2021 saß er an einem kleinen Tisch und bekam vor laufenden Kameras einen Zettel zugesteckt, als Vize-Präsidentin Kamala Harris das Wort hatte. Biden studierte die Nachricht, wischte sich dann über sein Kinn und starrte danach eine ganze Weile auf seine Hand. Die er dann zu seinen Lippen führte. Peinlicherweise hielt Biden den Zettel später so, dass ihn die Zuschauer lesen konnten. Darauf stand: „Sir, Sie haben da etwas an in Ihrem Kinn.“
Bei einer Trauerfeier für den Senator Bob Dole las der Präsident vom Blatt ab: „Und dann hieß es in der Nachricht: Ende der Nachricht.“ („And then the message said, end of message.“). Statt den Fehler zu korrigieren, wiederholt Biden den Text sogar noch einmal (nachzulesen und anzuhören hier).
So genannte Faktenfinder machen sich eine Aufgabe daraus, Bidens Aussetzer schönzuschreiben. Snopes.com etwa schrieb nach dem „Ende der Nachricht“-Aussetzers, rechtslastige Seiten würden darüber berichten, und betonte dann, Biden habe den Versprecher gar nicht am Ende der Rede gemacht, wie diese Seiten behaupten würden. So soll beim Leser die Botschaft hängen bleiben, es handle sich um ein Fake. Das ist aber Manipulation. Denn zu welchem Zeitpunkt in der Rede Biden den Fehler machte, ist gar nicht der zentrale Punkt. Tatsächlich hat er die „Regieanweisung“ in der Mitte der Rede aus Versehen mit vorgelesen. Der Fehler als solcher bleibt aber der gleiche.
Die Liste der Aussetzer von Biden lässt sich schier endlos verlängern. So vergaß er den Namen des australischen Premierministers, als er diesen traf. Im Wahlkampf 2020 hatte er den amtierenden Präsidenten Trump mit einem seiner Vorgänger verwechselt (offenbar mit George Bush oder seinem Sohn George W. Bush). Er begann einen Satz mit „Was für ein Land werden wir sein? Vier weitere Jahre mit George […]“, woraufhin er sich verhaspelte, erneut den Namen „George“ sagte, den Satz dann abbrach und einen komplett neuen Satz startete – dann allerdings mit dem korrekten Namen des amtierenden Präsidenten. Bei der UN-Klimakonferenz 2021 in Glasgow nickte Biden ein.
Der Autor und Psychiater Wolfgang Meins hat sich wiederholt mit Bidens Gesundheitszustand befasst und geht davon aus, dass der Präsident an Demenz leidet (siehe hier). Die großen Medien berichten gar nicht oder nur auf Sparflamme bzw. wie jetzt verharmlosend über die Aussetzer.
Dabei sind sie gerade in der heutigen Zeit, in der Krieg in Europa herrscht, ein Alarmzeichen. Und drängen geradezu die Frage auf: Wie geistig fit ist der mächtigste Mann der Welt, von dem so viel abhängt? Und wie selbständig ist er in seinen Entscheidungen? Ebenso legendär wie besorgniserregend ist eine Aussage von Tesla-Gründer Elon Musk, der bekannt ist dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und sich gegen den Zeitgeist zu stemmen: „Der wahre Präsident ist derjenige, der den Teleprompter kontrolliert. Der Weg zur Macht ist der Weg zum Teleprompter.“
In den großen deutschen Medien ist über diese Aussage nichts zu finden. Warum wohl?
Bild: Screenshot TwitterText: br
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