Es sind unglaubliche Szenen im Österreichischen Parlament in Wien. Als ich sie das erste Mal sah, traute ich meinen Augen nicht. Der FPÖ-Abgeordnete Christoph Steiner aus Tirol zeigt vor dem Hohen Haus einen Brief des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen an die „Medikamentenkoordinatorinnen und -koordinatoren“ in der Alpenrepublik. Gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium ordnet die Behörde darin an:
„Ablaufende Chargen lagernder COVID-19 Therapeutika dürfen nicht vernichtet,
sondern sollen unter den vom Hersteller in der Fachinformation jeweils vorgesehenen
Lagerbedingungen unter Quarantäne gestellt werden.“
Weiter unten steht dann in dem offiziellen Schreiben, das der Abgeordnete in die Kamera hält:
„Auf diesem Weg soll sichergestellt werden, dass die betroffenen Chargen im Fall einer
(nachträglichen) Verlängerung der Haltbarkeit durch die EMA und das BASG weiterhin
zum Einsatz und somit der österreichischen Bevölkerung zu Gute kommen können.“
Weiter steht da:
„Über eine allfällige Verlängerung der Haltbarkeit der einzelnen Arzneimittelchargen
wird das BMSGPK oder das BASG schriftlich informieren.“
Steiner las diese Passagen – bis auf die letzte – im Parlament vor, redete davon, dass die Regierung „mit ihrem Schwachsinn weitermachen will im Herbst“ und kommentierte sie wie folgt: „Das heißt jetzt, wir sollen uns den abgelaufenen Impfstoff, der jetzt ja gegen die Mutanten sowieso nicht mehr hilft, einfach ein halbes Jahr später noch einmal einspritzen lassen, weil diese Regierung zu viele Millionen Impfdosen gekauft hat. Alle, die sich im Herbst impfen lassen wollen, viel Spaß mit dem abgelaufenen Stoff.“
Aus dem Plenum kommen Rufe, offenbar von der ÖVP: „Das kann nicht schaden“.
Darauf Steiner: „Das weiß man jetzt? Interessanter Zugang der ÖVP, wenn es um die Impfung geht.“
Gesundheitsminister Johannes Rauch intervenierte: „Keine einzige Person in Österreich wird mit abgelaufenem Impfstoff geimpft. Und den Zettel, den Sie in der Hand haben, der ist nichts anderes als ein Hinweis darauf, die Dosen nicht wegzuschmeißen. Wissen Sie warum? Weil wir sie eintauschen werden.“
Weiter schimpfte Rauch auf den Abgeordneten: „Sie können gerne das Rednerpult auch als Büttenreden-Bühne benutzen, das ist zwar dem Ruf des Parlaments nicht zuträglich, aber ich lass einfach nicht stehen, dass Sie hier, öffentlich, in einem öffentlichen Parlament der Bevölkerung weismachen wollen, sie werde mit abgelaufenen Impfstoffen geimpft. Das ist schlicht nicht wahr. Das ist schlicht nicht wahr! Und ich würde Sie bitten, bei aller Polemik, und übrigens ist Lautstärke kein Argument für Richtigkeit, bei aller Polemik wenigstens in Rufweite der Wahrheit zu bleiben, wenigstens in Rufweite. Und hier den Eindruck zu erwecken, nur weil ein Informationsschreiben an die Ärzteschaft geht, das darauf hinweist, Dosen nicht wegzuschmeißen, den Eindruck zu erwecken, es würde abgelaufener Impfstoff verimpft, ist eine glatte Unwahrheit.“
Darauf der Abgeordnete: „Wahrscheinlich kennt man das eigene Schreiben nicht!“
Der Minister: „Selbstverständlich kenne ich es!“
Der Abgeordnete: „Offenbar nicht! Sie haben jetzt behauptet, die Dosen, die man aufbewahren muss, werden ausgetauscht. Oder? Ja, okay! Sie schreiben aber vom Ministerium an die Ärzte – auf diesem Weg soll sichergestellt werden, dass die betroffenen Chargen im Fall einer (nachträglichen) Verlängerung der Haltbarkeit durch die EMA und das BASG weiterhin zum Einsatz und somit der österreichischen Bevölkerung zugutekommen können. Wenn die Impfdosen ausgetauscht würden, würde es wohl da drinstehen“.
Aus dem Plenum kommt lauter Protest.
Der Abgeordnete liest noch einmal die Stelle vor. Der Protest wird noch lauter. Offenbar kommt – im Video nicht vernehmbar, der Hinweis, nach einer Verlängerung der Haltbarkeit seien die Dosen nicht mehr abgelaufen.
Darauf der Abgeordnete: „Wenn ich auf einen abgelaufen Joghurt ein neues Ablaufdatum aufdrucke, ist der Joghurt trotzdem abgelaufen! Das ist nicht normal! Das ist nicht normal! Abgelaufen ist abgelaufen, Herr Minister. Das ist Ihr Schreiben! Es ist nicht von irgendwem. Nicht von irgendeinem anderen Ministerium. Es ist Ihr Ministerium! Eine abgelaufene Charge wird verlängert, nachträglich. Dann ist abgelaufen abgelaufen. Da kann man jetzt sagen was man will! Und dann sagen Sie, da werden Unwahrheiten gesagt! Dann kennen Sie Ihre eigenen Schreiben nicht, Herr Minister“.
Mein Fazit: Der Abgeordnete verliest einen Brief der Regierung – und die tut als Reaktion so, als ob er lügen würde. Mehr noch: Sie verdreht seine Aussage und attackiert ihn auf der persönlichen Ebene. Es ist genau das Grundmuster, nach dem die ganzen von der Regierung mitfinanzierten „Faktenfinder“ die Fakten verdrehen und Kritiker der Regierung diffamieren. Das Muster ist immer ähnlich.
Ich finde, die Szene spricht derart für sich, dass man sich jeden weiteren Kommentar ersparen kann. Bis auf einen: Die Regierung muss ziemlich nervös sein.
Text: br
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