Von Kai Rebmann
Es ist wirklich eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Monat für Monat müssen sich Frauen in Unkosten stürzen, um sich mit Tampons, Binden und sonstigen Menstruationsartikeln einzudecken. Diese Meinung vertritt zumindest die Heidenheimer Zeitung (HZ). Am 1. September erschien in dem Blatt unter der Überschrift „Binden und Tampons sollen nichts kosten“ ein Artikel, in dem eben dieser „Mangel an Geschlechtergerechtigkeit“ angeprangert wird. Der Kauf von Menstruationsartikeln schlage im Leben einer Frau mit hohen Kosten zu Buche, die Männer nicht hätten, klagt die regionale Tageszeitung aus Baden-Württemberg allen Ernstes.
Ja, das Leben ist kein Wunschkonzert und kann manchmal ganz schön ungerecht sein. Aber zum Glück gibt es auch so etwas wie ausgleichende Ungerechtigkeit. Wo Frauen naturgemäß auf Hygieneartikel für „Menstruierende“ angewiesen sind, haben Männer eben geschlechtsspezifische Kosten für Rasierzeug. So weit denkt bei der HZ aber offenbar niemand, ganz im Gegenteil. So gäben Frauen pro Jahr bis zu 500 Euro für ihre monatliche Regelblutung aus, was diese in eine „Perioden-Armut“ stürzen könne, die ärmeren Frauen die Teilhabe am öffentlichen Leben erschwere, wie es in dem Bericht heißt.
Pilotprojekte in Heidelberg, Karlsruhe und Tübingen
In Karlsruhe und Heidelberg ist am 1. September der Startschuss für die kostenlose Verteilung von Binden und Tampons an Frauen gefallen. „Die Stadt Karlsruhe will ab diesem Schuljahr an zunächst einem Gymnasium, einem städtischen Amt und allen Jugendhäusern ein Jahr lang Menstruationsprodukte kostenlos zur Verfügung stellen“, berichtet die HZ über das Pilotprojekt in der Fächerstadt. Einige A5-Kilometer weiter nördlich liegt Heidelberg. Dort soll das „weiße Gold“ in Holzkistchen bereitgelegt werden und zwar an vier Standorten: im Rathaus, im Bürgeramt Mitte, in einer Gemeinschaftsschule und in einem Kulturzentrum. Der Kämmerer der Stadt lässt für dieses ebenfalls auf ein Jahr befristete Angebot 20.000 Euro springen. Und wenn man im Badischen ein Projekt von solch großer Bedeutung anpackt, dann macht man es auch richtig. Deshalb ist sowohl in Karlsruhe als auch Heidelberg nächstes Jahr um diese Zeit eine Evaluierung dieses Pilotprojekts geplant.
Schon mindestens zwei Schritte weiter sind die Kommunalpolitiker in Tübingen. Dort versorgen Tampon- und Bindenspender den weiblichen Teil der Bevölkerung erstens schon seit Jahresbeginn mit entsprechenden Hygieneartikeln und zweitens sind diese über das gesamte Stadtgebiet verteilt an nicht weniger als 23 Standorten zu finden. Geiz ist geil scheint im Schwabenland ausgedient zu haben, der Kampf um die Geschlechtergerechtigkeit macht’s möglich. Dem Bericht zufolge stehen Binden und Tampons unter anderem am Hölderlinturm, dem Rathaus, der Bücherei und dem Stadtmuseum zur Verfügung. Wie die HZ weiter berichtet, geht das Projekt in Tübingen auf einen gemeinsamen Antrag der SPD-Fraktion und des Jugendgemeinderats zurück. Die jährlichen Kosten werden mit 10.000 Euro beziffert.
Gelegenheit macht Diebe
Angst vor einem eventuellen Missbrauch ihres Projekts zur Rettung der gesellschaftlichen Teilhabe der Frau hat man in den Rathäusern in Baden-Württemberg offenbar nicht. Dieses Angebot richte sich an Frauen mit „spontanem Bedarf“, wie die Heidelberger Gleichstellungsbeauftragte Marie-Luise Löffler erklärt. Wenn dennoch große Mengen auf einmal mitgenommen würden, müsse über alternative Formen dieses Angebots nachgedacht werden. Es ist wirklich aller Ehren wert, dass Löffler offenbar an das Gute in den Menstruierenden glaubt, doch die Erfahrung lehrt eher, dass Gelegenheit Diebe macht. Es soll während der „Klopapier-Krise“ im Frühjahr 2020 Menschen gegeben haben, die den heimischen Vorrat mit Material aus öffentlichen Toiletten aufgestockt haben.
Wie um sich für die Veröffentlichung dieses verstörenden dpa-Artikels zu rechtfertigen, verweist die HZ auf eine Yougov-Umfrage zu dem Thema. Demnach sollen sich knapp zwei Drittel (66 Prozent) der Befragten für die kostenlose Ausgabe von Binden und Tampons ausgesprochen haben. Ein weiteres hervorragendes Beispiel dafür, wie Meinungen verzerrt werden können und das Volk in die Irre geführt werden kann. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man es befürwortet, dass die entsprechenden Hygieneartikel für den „spontanen Bedarf“ (ähnlich wie etwa Klopapier auf öffentlichen WCs) zur Verfügung gestellt werden, oder ob man einen solchen Service unter dem Aspekt der vermeintlichen „Geschlechtergerechtigkeit“ für geboten hält. Letzteres blieb bei der betreffenden Umfrage unberücksichtigt. Dieser Logik folgend muss die nächste Forderung ansonsten lauten: Gratis-Rasierschaum für alle Barttragenden!
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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