Von Daniel Weinmann
„Zum ersten Mal in der EU-Gesetzgebung gibt es einen Schutz der redaktionellen Unabhängigkeit von Medien.“ Mit diesen hehren Worten preist die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Věra Jourová, das sogenannte Medienfreiheitsgesetz an. Der ambitionierte Anspruch der Brüsseler Bürokraten: Es soll die Pressefreiheit in Europa stärker schützen, sowohl öffentlich-rechtliche als auch private Medien sollen so vor staatlicher Einflussnahme bewahrt werden.
„Wir haben in den letzten Jahren gesehen, wie auf unterschiedliche Weise Druck auf die Medien ausgeübt wird. Es ist höchste Zeit zu handeln“, beweihräucherte sich Jourová anlässlich der Präsentation des Gesetzentwurfs am vergangenen Freitag in Brüssel selbst. „Wir müssen klare Grundsätze festlegen: Journalisten dürfen nicht wegen ihres Berufs ausspioniert werden. Öffentlich-rechtliche Medien dürfen nicht zu Sprachrohren der Propaganda gemacht werden. Daher schlagen wir heute erstmals gemeinsame Vorkehrungen zum Schutz der Freiheit und des Pluralismus der Medien in der EU vor.“
Dies sei ein Gesetz für „die Zeiten, in denen wir leben – und nicht für die, in denen wir gerne leben würden“. Es gehe um einen stärkeren Schutz der Medienfreiheit. „Die öffentlich-rechtlichen Medien dürfen nicht zu einem Propagandakanal einer Partei werden“, warnte Jourová.
»Der ‚Media Freedom Act‘ fördert die Pressefreiheit nicht, er untergräbt sie«
Wohlfeile Phrasen en masse, die den Eindruck erwecken, als ziele die für Werte und Transparenz zuständige Vizepräsidentin auf Deutschland ab, dessen öffentlich-rechtliche und Mainstream-Medien während der Coronakrise zum Sprachrohr der Regierung avancierten: Was das Kabinett Merkel oder Scholz vorgaben, wurde vorbehaltlos abgenickt, kritisches Hinterfragen war Fehlanzeige. Im Visier der EU-Kommission stehen indes vor allem Staaten wie Ungarn, Polen oder auch Slowenien, in denen kritische Journalisten noch unverhohlener diffamiert werden als hierzulande.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) begrüßt diese Initiative: „Der Vorschlag stellt einen wichtigen Schritt nach vorn für die Medienfreiheit und für die Erhaltung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der gesamten Europäischen Union dar.“ Der Entwurf sei jedoch in einigen Bereichen noch unzureichend und müsse verbessert werden, mahnt RSF- Generalsekretär Christophe Deloire.
Verkehrte Welt? Für Empörung sorgen die Pläne der Kommission nicht nur in Ungarn, Polen und Slowenien. Auch hierzulande zeigen sich wichtige Branchen-Repräsentanten besorgt. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und der Medienverband der freien Presse (MVFP) etwa verurteilten das Vorhaben der Kommission vehement. „Der ‚Media Freedom Act‘ fördert die Pressefreiheit nicht, er untergräbt sie“, schreiben sie in einer Stellungnahme.
Befürchtungen für eine politische Vereinnahmung der Medien
Stein des Anstoßes ist vor allem der geplante Medienrat, der ausschließlich aus Vertretern der nationalen Regulierungsbehörden für audiovisuelle Medien bestehen, aber zugleich für die Presse zuständig sein soll. Nach Meinung des Europäischen Verlegerrats wäre die Presse dann nicht mehr frei von Regierungsüberwachung – was in EU-Staaten mit funktionierender freier Presse schädlich sei.
Mehr als fragwürdig ist auch der Vorstoß der Kommission, keinen Unterschied zwischen Eigentümern und Verlegern zu machen. „Mit dem Vorschlag, den Grundsatz der redaktionellen Freiheit von Verlegerinnen und Verlegern de facto außer Kraft zu setzen, würde die EU die Pressefreiheit zerstören“, wettern der BDZV und der MVFP unisono. Zudem öffne das neu eingerichtete „Board“ für Mediendienste „Befürchtungen für eine politische Vereinnahmung der Medien Tür und Tor.“
Drastische Worte findet auch der Europäische Verband der Zeitungsverleger (ENPA): „Unsere Befürchtung, ein „Medienunfreiheitsgesetz“ vorgelegt zu bekommen, ist Wirklichkeit geworden“, schrieb die Interessensvertretung schon vor der Präsentation des Gesetzesentwurfs. Nicht nur große Online-Plattformen, sondern auch Medienaufsichtsbehörden könnten nun in die freie Presse eingreifen, während Verleger von ihren eigenen Publikationen entfremdet werden. „Die redaktionelle Freiheit der Presseverleger ist bedroht und damit die Grundlage der Pressefreiheit in Europa.“
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
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