Immer wieder wurde in der Corona-Zeit über mögliche Überlastungen des Gesundheitswesens und insbesondere der Intensivstationen durch Covid-19 geklagt. Im Februar 2022 musste dann selbst der Gesundheitsminister Karl Lauterbach zugeben: Eine Überlastung der Intensivstationen hat es nie gegeben. Logischerweise machen der Sozialdemokrat und seine Anhänger dafür die Corona-Maßnahmen verantwortlich. Während Kritiker dies heftig bestreiten – unter anderem unter Verweis auf Schweden, wo es kaum Maßnahmen gab, aber eben auch keine Überlastung.
War das Thema zu Corona-Zeiten in aller Munde und prangte einem aus allen Medien geradezu entgegen, so wird aktuell über eine faktische Überlastung zwar berichtet, aber eher auf Sparflamme bzw. im unteren Bereich der Seiten. Besonders brisant: Es gibt möglicherweise einen Zusammenhang zwischen den Corona-Maßnahmen und der aktuellen Situation. Aber das scheint ein Tabu-Thema.
Versteckt bis verschämt
„Immer mehr Kinder erkranken an dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV)“, schreibt die „Welt“, die das Tabu zwar aufgreift, aber eher versteckt und verharmlosend – während es andere Medien ganz verschweigen. „Besonders bei Säuglingen und Kleinkindern kann diese Erkrankung lebensbedrohlich werden. In vielen Kliniken gibt es schon jetzt kaum noch freie Kinderbetten“, heißt es in dem Bericht.
„Überbelegte Patientenzimmer, tagelanger Aufenthalt in der Notaufnahme, Verlegung von kranken Babys in mehr als 100 Kilometer entfernte Krankenhäuser: Die aktuelle Welle von Atemwegsinfekten bringt Kinderkliniken in Deutschland an ihre Grenzen“, schreibt das Blatt weiter: „Deutsche Intensiv- und Notfallmediziner beklagen einen dramatischen Bettenmangel in Kinderkliniken.“
Philippe Stock, Präsident der Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (GPP), sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Wir haben derzeit so viele Säuglinge und Kleinkinder, die mit einer RSV-Infektion ins Krankenhaus kommen, wie noch nie.“
Massiver Platzmangel
„Von 110 Kinderkliniken hatten zuletzt 43 Einrichtungen kein einziges Bett mehr auf der Normalstation frei. Lediglich 83 freie Betten gibt es generell noch auf pädiatrischen Kinderintensivstationen in ganz Deutschland – das sind 0,75 freie Betten pro Klinik, also weniger als eines pro Standort“, teilte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) am Donnerstag in München laut „Welt“ mit. Der Verband hatte demnach für seine aktuelle Ad-hoc-Umfrage 130 Kinderkliniken kontaktiert, von denen 110 Häuser ihre Daten übermittelten.
„Das ist eine katastrophale Situation, anders ist es nicht zu bezeichnen. Deshalb fordern wir die sofortige Optimierung von Arbeitsbedingungen in den Kinderkliniken, den Aufbau telemedizinischer Netzwerke zwischen den pädiatrischen Einrichtungen und den Aufbau von spezialisierten Kinderintensivtransport-Systemen. Wir müssen jetzt endlich handeln“, so der Warnruf des DIVI-Generalsekretärs und Münchner Kinder-Intensivmediziners Professor Florian Hoffmann.
Welle baut sich weiter auf
Den Angaben zufolge baut sich die RSV-Welle immer weiter auf; viele Kinder müssten demnach mit Atemunterstützung behandelt werden. „Wir können Stand heute davon ausgehen, dass es zu dieser Behandlung nicht genügend Kinder-Intensivbetten gibt“, so laut „Welt“ Sebastian Brenner, DIVI-Kongresspräsident und Bereichsleiter der interdisziplinären Pädiatrischen Intensivmedizin im Fachbereich Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin der Unikinderklinik Dresden.
Dem Bericht zufolge musste jede zweite Klinik, die der DIVI Daten lieferte, 24 Stunden vor der Datenerhebung mindestens in einem Fall die Annahme eines Kindes ablehnen, die ein Rettungsdienst oder die Notaufnahme in die Kinderintensivmedizin einweisen wollte. In der Praxis bedeutete dies, dass weiter ein Intensiv-Platz für das Kind in einer anderen Klinik gesucht werden musste. „Diese Situation verschärft sich von Jahr zu Jahr und wird auf dem Rücken kritisch kranker Kinder ausgetragen“, sagte Hoffmann laut „Welt“. Allein die Kliniken, die der DIVI antworteten, berichten von insgesamt 116 abgelehnten kleinen Patienten an einem einzigen Tag. Einige Kliniken mussten schon Kinder über Landesgrenzen hinweg in andere Häuser bringen.
Wie dramatisch die Situation ist, zeigt ein Beispiel, das in dem Bericht aufgeführt wird: So musste etwa kürzlich ein einjähriges Kind aus der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) nach Magdeburg verlegt werden – rund 150 Kilometer entfernt. „Meine Kollegen hatten 21 Kliniken angerufen“, berichtet Gesine Hansen, Ärztliche Direktorin der MHH-Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie der „Welt“. Das Kind litt an einer RSV-Infektion. Sie kann vor allem für ganz kleine Kinder und solche mit Vorerkrankungen schnell lebensbedrohlich werden.
Höchst brisanter Aspekt
Laut Robert Koch-Institut (RKI) erkranken weltweit rund 5,6 von 1000 Kindern im ersten Lebensjahr schwer an RSV. In leichter Form machen fast alle Kinder spätestens bis zum zweiten Lebensjahr eine solche Infektion durch. Erst weit unten im Artikel erwähnt die „Welt“ in diesem Zusammenhang den eingangs beschriebenen, politisch höchst brisanten Aspekt – der dem eiligen Leser damit gar nicht auffällt: „Im Zuge der Corona-Schutzmaßnahmen waren viele solche Infektionen allerdings zeitweise ausgeblieben. Sind die Krankenhäuser jetzt am Limit, weil Mädchen und Jungen in der Corona-Zeit wenige Kontakte hatten und jetzt Infektionen nachholen?“ Kritische Experten warnten seit Beginn der Maßnahmen, dass diese zu einer verzögerten Welle von Erkältungskrankheiten führen könnten, gerade auch weil der Bewegungsmangel und die Isolation das Immunsystem schwächten.
Die Zeitung versucht dann zwar zu beschwichtigen: „Die Kindermediziner sehen nicht die Pandemie als primäre Verursacherin der teils dramatischen Situation in den Kliniken.“ Das ist erstens irreführend, weil ja ggf. die Maßnahmen und nicht das Virus selbst verantwortlich wären. Und dass sie „nicht primäre Verursacherin“ sind, bedeutet ja nicht, dass sie nicht mitverantwortlich sind.
Wirtschaftliche Zwänge
Doch aus der Verantwortung wird die Regierung in dem Artikel dennoch nicht gelassen. „Dass Kinderleben im Moment in Gefahr sind, das hat die Politik zu verantworten“, sagt Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, der „Welt“. Denn Anforderungen in Sachen Wirtschaftlichkeit an die Kinderheilkunde seien massiv gestiegen. „Jetzt muss Medizin profitabel sein, nicht Krankheiten heilen, sondern Geld bringen.“
Neben der RSV-Welle macht auch eine Grippewelle den Kinderkliniken zu schaffen. Sechs bis sieben Stunden Wartezeit in der Notaufnahme sind dem Bericht zufolge keine Seltenheit. „Es ist sehr unangenehm, wenn Kinder und ihre Familien in der Notaufnahme quasi campieren müssen“, sagte Jörg Dötsch, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Köln, der „Welt“. Dennoch will er nicht von einer Katastrophenmedizin sprechen: „Wir müssen nicht über Leben und Tod entscheiden.“
Besonders brisant ist, dass nun erste Ärzte eine Maskenpflicht für Kinder fordern wegen der Situation mit RSV. Eine Maskenpflicht würde „definitiv helfen, die Infektionen zu begrenzen“, sagte Philippe Stock, Präsident der Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie, in seinem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung: Man müsse „je nach Lage entscheiden, ob dies auch im öffentlichen Raum wieder notwendig sein wird.“ Mit anderen Worten: Die Corona-Maßnahmen mit Maskenpflicht stehen im Verdacht, eine Situation ausgelöst zu haben, in der wieder eine Maskenpflicht für Kinder notwendig sein könnte. Diesen logischen Schluss habe ich aber in keinem großen Medium gelesen. Warum wohl?
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