Hier geht es direkt zu dem Interview mit Antonin Brousek.
Abgeordnete, die demonstrativ weghören, in ihre Handys versinken oder sich in kleinen Gruppen zum Plausch zusammenstellen, wenn vom Rednerpult Meinungen zu hören sind, die ihnen nicht passen: Es ist ein erschütterndes Zeugnis, das Antonín Brousek seinen zu in großer Zahl „sehr jungen und weiblichen“ Kollegen ausstellt: Der Tscheche mit Doppelpass ist seit gut einem Jahr Abgeordneter des Berliner Landesparlaments.
So wie jede Volksvertretung wird es „Hohes Haus“ genannt. Doch Brousek, der anders als viele seiner Abgeordneten-Kollegen eine vollständige Ausbildung und sogar einen normalen Beruf hat – er ist Volljurist und Richter – findet diese Bezeichnung nicht mehr angemessen.
„Ich habe von Anfang an das Gefühl, dass das gar kein hohes Haus ist, sondern eine seltsame Bude, wo Dinge gemacht werden, die eigentlich nicht so sich abspielen sollten“, so der gebürtige Prager. Die Leute draußen am Fernsehen würden immer nur den Redner vorne am Rednerpult sehen, aber nicht die Reaktionen im Hintergrund im Saal hören oder sehen. „Wenn wir von der AfD dran kommen, geht erst mal die Hälfe der Leute raus, um uns zu zeigen: Ihr seid Scheiße“, berichtet Brousek, dessen Vater ein bekannter tschechischer Schriftsteller ist und nach dem Prager Frühling 1969 nach Deutschland kam.
Brousek hatte unlängst in einem kurzen Video über die unglaublichen Sitten im Berliner Parlament berichtet. Dieses ging viral – und ich sagte mir: Diesen Mann muss ich interviewen! Was ich nun auch getan habe. Die (Un-)Sitten in der Volksvertretung gehen so weit, dass Abgeordnete von Rot-Rot-Grün sich demonstrativ auf den Boden setzten, als der tschechische Botschafter Antworten gab, die ihnen politisch nicht ins Konzept passten. Er beantwortete sie so, als ob er Mitglied der AfD wäre. Er sagte zum Beispiel, Atomkraft finde man in Prag gut. „Oder die Flüchtlingspolitik fanden wir in Tschechien nie gut, wir sind der Meinung, dass Deutschland da einen Kurs fährt, der Europa schadet.“ Der Botschafter warf der deutschen Linken gar Dekadenz vor.
„Als die Damen merkten, in welche Richtung das geht, nahmen sie alle ihr Handy und alle fingen an damit oder mit ihrem Computer zu spielen. Besonders grotesk: Dann standen sie zwischendurch auf, bildeten Quatsch-Gruppen, wie 14-jährige Mädchen, die sich nicht benehmen können, und einige setzten sich sogar auf den Boden. Und guckten hoch und redeten miteinander. Die Vorsitzende ist ein 25-jähriges Mädchen, das studiert, das niemanden zurechtweisen kann.“ Der Botschafter sei total irritiert gewesen, habe gar nicht glauben können, was er sah, so Brousek: „Ich auch nicht.“
Ohrfeige durch schlechtes Verhalten
Das Parlament sei eine „Mischung aus Irrenhaus und Mädchen-Lyzeum“, eine „Art selbstverwaltete Schule, wo es überhaupt keine Autoritäten mehr gibt“. Er glaube, im Berliner Landtag gebe es „wenig Autorität“. Und die Autoritäten würden von diesen Leuten „ausdrücklich und ostentativ missachtet, denn sie lehnen ja Autoritäten ab“. Das könne man auch so machen, so Brousek: „Aber es ist nicht autoritätsfrei, sondern man gibt dem anderen eine Ohrfeige durch dieses schlechte Verhalten, man zeigt, wie sehr man den anderen verachtet. Indem man Kommunikation ablehne. Das ist ganz gefährlich.“
Nicht einmal im Fahrstuhl werde man als AfD-Abgeordneter von den anderen gegrüßt, auch wenn man selbst höflich grüße, so Brousek: „Das ist eine subtil-primitive Art, wo man eigentlich Schläge durch Ignoranz ersetzt. Manchmal hat man das Gefühl, die würden einem am liebsten ins Gesicht schlagen.“ Diese Leute „wollen keine Diskussion und lehnen diese ab, weil sie ja davon ausgehen und wissen, dass sie die Weisheit ohnehin mit Löffeln gefressen haben. Die anderen sind für die gar nicht satisfaktionsfähig. Ich auch nicht. Das ist für die so, wie wenn ein dreijähriges Kind einem Kernphysiker etwas erklären will. Wir werden empfunden wie dreijährige Kinder, wir werden total verachtet. Sie schmoren im eigenen Saft. Weil sie keinerlei Feedback haben.“
Brouseks Fazit: Eine inhaltliche Auseinandersetzung finde nicht mehr statt, es werde nonverbal kommuniziert, unter der Gürtellinie, so das Fazit des Abgeordneten: „Die Leute sind infantil, aber es ist auch eine Art der Aggression, die dahintersteckt.“ Eine Auseinandersetzung mit Kritik oder anderen Meinungen finde so nicht mehr statt. Die Folgen sind fatal. Und jeden Tag zu besichtigen – etwa, wenn man kritische Medien liest.
Hier finden Sie das Interview mit Brousek.
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