Grünen-Beigeordnete bleibt dank AfD im Amt Wird die Wahl jetzt rückgängig gemacht?

Von Kai Rebmann

Blieskastel ist eine an der deutsch-französischen Grenze im Saarland gelegene Kleinstadt mit etwas mehr als 20.000 Einwohnern. Der Stadtrat unter Vorsitz von Bürgermeister Bernd Hertzler (SPD) zählt 39 Mitglieder. Bei der jüngsten Kommunalwahl 2019 konnte die AfD drei dieser Mandate erringen, die weiteren Sitzen entfallen auf SPD (13), CDU (12), Grüne (7), DUB (2) sowie FDP und Linke (je 1). Der politische Einfluss der Alternativen hält sich angesichts dieser Mehrheitsverhältnisse in Blieskastel also in stark überschaubaren Grenzen. Sollte man zumindest meinen. Dass das Gegenteil der Fall ist, hat jetzt die Posse um die Erste Beigeordnete Lisa Becker (Grüne) gezeigt, die sich nur dank der Unterstützung der AfD hauchdünn im Amt halten konnte. Forderungen nach einer Wiederholung dieser Wahl oder danach, dass das Ergebnis „rückgängig“ gemacht werden müsse, sind im Saarland aber bisher trotzdem noch nicht laut geworden.

Rückblick: Im Februar 2020 hievte die AfD im Landtag in Thüringen mit einem einfachen Bauerntrick Thomas Kemmerich (FDP) ins Amt des Ministerpräsidenten. Hierzu nominierte sie zwar einen eigenen Kandidaten, stimmte dann aber für den Liberalen, so dass dieser – auch dank der Stimmen der AfD – mehr Stimmen auf sich vereinen konnte als Bodo Ramelow (Linke). Dieser eigentlich sehr klassische demokratische Vorgang wurde von Politik und Medien als „Tabubruch“ bezeichnet und die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sah sich genötigt, sich aus dem fernen Südafrika zur Wahl in Erfurt zu Wort zu melden. Unter größtem öffentlichen Druck – unter anderem war seine Familie bedroht worden – wurde Kemmerich schließlich zum Rücktritt gezwungen. Nicht zuletzt aus den Reihen der Grünen mussten sich allen voran CDU und FDP bittere Vorwürfe gefallen lassen, man arbeite mit einer „rechtsextremen Partei“ zusammen.

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Situation in Blieskastel erinnert an Erfurt – nur unter anderen Vorzeichen

Jetzt ist der AfD in Blieskastel ein ähnlicher Coup gelungen, wenn auch einige politische Etagen tiefer als damals in Thüringen. Im Sommer 2022 ist es im Stadtrat zu einem offenen Zerwürfnis zwischen SPD und Grünen gekommen. Nachdem Lisa Becker die Urlaubsvertretung für Bürgermeister Hertzler übernommen hatte, wurde der Grünen vorgeworfen, während dieser Zeit ihre Kompetenzen überschritten zu haben. Schon zuvor hatte sich der Rathaus-Chef vom Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Laufe einer öffentlichen Sitzung als „Flachzange“ beleidigen lassen müssen.

Die SPD strengte daraufhin ein Verfahren zur Abwahl der Ersten Beigeordneten an, da eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Lisa Becker und den Grünen nicht mehr möglich schien. Hierzu ist im Stadtrat eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, die im November 2022 im ersten Wahlgang mit 26 Stimmen auch erreicht wurde – allerdings mit den Stimmen der AfD. Da das Votum allerdings noch durch einen zweiten Wahlgang bestätigt werden musste, war das damalige Ergebnis rechtlich noch nicht bindend. Dieser zweite Wahlgang fand nun am Donnerstag vergangener Woche statt.

In der Zeit zwischen Ende November und Anfang Januar schaffte es die Provinz-Posse in Blieskastel in die Berichterstattung überregionaler Medien. Und auch die Landesverbände von SPD und CDU sahen sich zum Eingreifen in die Kommunalpolitik vor Ort gezwungen. Am Tag vor der entscheidenden Abstimmung wurde den Stadträten mit Sanktionen gedroht, falls sie sich erneut „auf die Stimmen der AfD verlassen“, wie der „SR“ berichtete. Demokratie in Reinkultur! Daraufhin vereinbarte die SPD-Fraktion, dass sich deren Vorsitzender Achim Jesel bei der Abstimmung enthalten werde. Die AfD wiederum gab bekannt, dass ein Mitglied ihrer Fraktion gegen die Abwahl von Lisa Becker stimmen werde, so dass Jesel nun doch wieder dafür stimmen wollte.

AfD sichert Lisa Beckers Verbleib im Amt

Letztlich stimmten nur 25 Stadträte für die Absetzung der Grünen als Erste Beigeordnete – alle 13 SPD-Räte, neun von der CDU, zwei von der AfD sowie der Abgeordnete der FDP. Das kurzfristige Umschwenken des AfD-Mitglieds hat also dazu geführt, dass Becker im Amt bleiben konnte, so dass genau das eingetreten ist, wovor die saarländische SPD-Chefin Anke Rehlinger gewarnt hatte: „Die AfD darf nicht das Zünglein an der Waage sein. Es kann nur eine demokratische Mehrheit ohne AfD geben, das ist unbestrittene sozialdemokratische Haltung.“

Schnell wird klar, dass die AfD mit ihren drei von 39 Sitzen das politische Wohl und Wehe in Blieskastel in jedem Fall entscheidend beeinflussen konnte. Hätten alle drei Stadträte für die Abwahl gestimmt, so hätte sich SPD-Fraktionschef seiner Stimme auf Geheiß aus Saarbrücken enthalten müssen – um eine Mehrheit für einen von den Sozialdemokraten selbst eingebrachten Antrag zu verhindern. Und auch Lisa Becker selbst scheint keine Bedenken zu haben, nur dank einer entscheidenden Stimme der AfD im Amt zu bleiben. Das Verfahren sei zwar „alles andere als angenehm“ gewesen, letztlich sei sie aber froh, „wieder zur Sacharbeit“ zurückkehren zu können, wie die Grüne gegenüber der dpa erklärte.

Das Schauspiel im Saarland zeigt aber auch: Die „Altparteien“ geben der AfD viel mehr Macht, als diese vom Wähler eigentlich übertragen bekommt. Mit ihrer sturen Verweigerungshaltung und dem geradezu kindisch anmutenden Dogma „Keine Mehrheiten mit der AfD“ werden solche Possen wie in Erfurt oder jetzt in Blieskastel bald keine Einzelfälle mehr sein, sondern – je nach Mehrheitsverhältnissen in den jeweiligen Parlamenten – eher zur Regel werden. Und vor allem wird dabei eines vergessen: Die Bürger nehmen derartige Vorgänge und das dahinter versteckte Demokratieverständnis über kurz oder lang sehr wohl zur Kenntnis.

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Stefan Braeutigam/Shuttserstock

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