Hand aufs Herz: Haben Sie es nicht auch satt, ständig negative Nachrichten zu lesen? Bei denen man denkt, es seien „Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“? Was sie aber leider nicht sind – denn es sind reale Neuigkeiten aus Deutschland. Ich möchte Ihnen ein Kontrastprogramm bieten, aus meiner Zeit in Russland. Zum Entspannen und Schmunzeln. Voilà:
Zwar machen sich in den letzten Jahren unter jüngeren Russen westliche Dekadenz-Erscheinungen breit – etwa, dass Männer zu etwas anderem in die Küche gehen als zum Bierholen, oder erkennen, dass das Bügeleisen keine natürliche Verlängerung von weiblichen Händen ist. Doch in den traditionellen „Keimzellen der Gesellschaft“, wie die Familie zu Sowjet-Zeiten hieß, ist auch 14 Jahre nach dem Ende des Kommunismus meist alles noch auf seinem Platz: Die Frau in der Küche am Herd, der Mann auf dem Sofa vor dem Fernseher.
Deutsche schuld am Geschlecher-Chaos
So verwundert es, dass die Russen sich ihre traditionelle Deutschland-Freundlichkeit bewahrt haben, wo doch ausgerechnet eine Deutsche schuld daran ist, dass die traditionelle Rollenverteilung mindestens einmal im Jahr durcheinander gerät: Auf Initiative der Sozialistin Clara Zektins beschloss die zweite Internationale Sozialistische Frauenkonferenz vor fast hundert Jahren, den 8. März zum internationalen Frauentag zu machen – in Erinnerung an Arbeiterinnen, die an diesem Tag in New York in Streik getreten waren.
Wehmütige Stoßseufzer
Russlands Männer müssen den Eifer der Deutschen bis heute ausbaden. Während der revolutionäre Feiertag in ihrer Heimat längst dem biederen Muttertag zum Opfer gefallen ist und allenfalls noch in Frauenrunden mit wehmütigen Stoßseufzern begangen wird, ist der 8. März in Russland einer der wichtigsten Feiertage – von der Bedeutung her irgendwo zwischen Weihnachten und Ostern in Deutschland angesiedelt. Schon Tage, bevor sie die Bescherung haben, kaufen Heerscharen entnervter russischer Männer (einer Umfrage zufolge genau 44 Prozent) die Blumengeschäfte leer, wo das in Moskau ohnehin chronisch überteuerte Grünzeug pünktlich noch mal um bis zu 100 Prozent teurer wird.
Teurer Liebesbeweis
Noch tiefer in den Geldbeutel müssen jene 14 Prozent der Russen langen, die ihrer oder ihren Liebsten zum Frauentag Handfesteres bieten wollen – Parfüm oder Kosmetik. Nach dem geldbeutel-schonenderen Motto „Liebe geht durch den Magen“ verschenken nach einer Umfrage des Moskauer Lewada-Zentrums 19 Prozent der Russen Süßigkeiten und Torten – wobei diese Form der Bescherung vor allem bei der älteren Generation beliebt ist. Jeder zehnte Russe gewährt seiner besseren Hälfte freie Wahl und lässt Rubel – noch besser Dollar – rollen. Nur vier von hundert Russen klagen, dass sie gar niemanden zum gratulieren haben. Für alle anderen kommt es noch ungemütlicher: Neben der Bescherung gehört es für die Herren der Schöpfung zum guten Ton, an diesem Tag etwas gar Ungeheuerliches zu tun – im Haushalt mitzuhelfen.
'Russinnen lieben stärker'
Feiertags-Geschenke der besonderen Art bot die quasi-amtliche Nachrichtenagentur Itar-Tass: Pünktlich zum 8. März lieferte sie intime Einblicke in die Seele und in die Betten von Russlands besserer Hälfte. „Russinnen könnten stärker lieben als Europäerinnen und Amerikanerinnen“, zitiert die Agentur den Psychologie-Professor und Sex-Forscher Alexander Polejew: „Liebe und Leidenschaft halten bei unseren Frauen länger an, sie neigen zur Liebes-Abhängigkeit und hängen auch dann noch an ihren Partnern, wenn die sich längst anderweitig orientieren.“
Harte Konkurrenz um Männer
Weil wegen der geringen Lebenserwartung der russischen Männer Frauen immer in der Überzahl seien, herrsche an der Liebes-Front „harte Konkurrenz“ – aber die belebe bekanntlich auch das Geschäft, gibt die Schriftstellerin Olga Arnold auf dem Fernschreiber der amtlichen Agentur zu Bedenken: „Unsere Frauen kümmern sich um ihr Äußeres, bemühen sich, besser auszusehen“, Und nicht nur das: Während die Männer bei Krisen depressiv auf dem Sofa liegen, neigen Russlands Frau eher zum Anpacken.
Frust an der Intim-Front
Doch ob auf dem Sofa oder anderswo – wegen ihrer eher patriarchalischen Ansichten sind Russlands Männer zuweilen regelrechte Lustverderber, wie die Agentur am Frauen-Tag enthüllte. Die weit verbreiteten Vorurteile und Tabus hindern viele Russinnen, sich „im Intim-Bereich völlig zu realisieren“, glaubt der Psychologe Polejew: „Wir treffen ständig auf übertriebene Schüchternheit, Geniertheit, Schuldkomplexe. Das führt dazu, dass ein Drittel der Russinnen unbefriedigt ist.“
Hiebe statt Liebe
Noch weniger Freude macht, was dann weiter über den Itar-Tass-Ticker läuft: Die Herren der Schöpfung zeigen sich in Russland auf andere Art zugreifend – 38 000 russische Frauen werden laut Itar-Tass jeden Tag von Männern verprügelt, 14 000 pro Jahr gar umgebracht. Der alte Spruch „Wer seine Frau schlägt, liebt sie“ ist immer noch weit verbreitet.
Zumindest am Frauen-Tag gibt es dafür Trost auch aus Ecken, aus denen man ihn sonst nicht in Russland erwartet: Die sonst eher handfesten Milizionäre müssen sich nach einem Befehl aus dem Innenministerium am 8. März „maximal galant zeigen“ – vor allem, so wörtlich, gegenüber Frauen, die von den Feiern nach Hause zurückkehren – was auch immer damit gemeint ist.
Blumen statt Strafzettel
Auch die Verkehrspolizisten sind ganz gentlemen-like: In Tjumen überreichen sie Frauen am Steuer statt Strafzetteln Blumen. Eigentlich ist das nur folgerichtig – sind die Männer, die mit ihren schwarz-weißen Holz-Stäbchen ebenso verlässliches Inventar am Straßenrand sind wie Alkoholleichen, doch das ganze Jahr über Vorreiter im Kampf um echte Gleichberechtigung: In der Regel kassieren sie ihre Bestechungsgelder ohne jedes Ansehen von Alter und Geschlecht.
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