Hand aufs Herz: Haben Sie es nicht auch satt, ständig negative Nachrichten zu lesen? Bei denen man denkt, es seien „Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus“? Was sie aber leider nicht sind – denn es sind reale Neuigkeiten aus Deutschland. Ich möchte Ihnen ein Kontrastprogramm bieten, aus meiner Zeit in Russland. Zum Entspannen und Schmunzeln. Voilà:
Zum Behinderten-Ausweis ist es offenbar nur noch ein kleiner Schritt. „Es sieht schlecht um Sie aus“, sagt der Mann im faltigen weißen Kittel in einer Moskauer Klinik und legt meine Hand zur Seite: „Um eine Haut-Transplantation werden Sie kaum herumkommen.“ Dabei hatte ich mir doch nur an einer Kerze den Unterarm verbrannt und wollte lediglich eine lindernde Salbe verschrieben bekommen. Stattdessen stelle ich mich nach drei Terminen und täglichem Verbandswechsel innerlich auf die Frührente ein.
Unbezahlbare Oase
Doch bevor ich mir die Haut umpflanzen lasse, gehe ich noch ins „Europäische Medizin-Zentrum“: Eine Oase der französischen Medizin mitten in Moskau – unbezahlbar für Iwan Normalverbraucher, und auch für jede deutsche Krankenversicherung ein Albtraum. Für 120 Dollar sieht sich die russische Hautärztin mit dem Diplom aus Frankreich meine Hand an – und gibt mir prompt Entwarnung: „Das ist nur falsch behandelt! Mit der richtigen Creme verheilt das in ein paar Wochen!“
Nicht nur Normalsterbliche haben zuweilen ihre Not mit Russlands Göttern in Weiß. Präsident Wladimir Putin höchstselbst las bei seiner Ansprache an die Nation vor einer Woche den Ärzten in seinem Land die Leviten: Vor allem Mängel im Gesundheitswesen seien schuld, dass die Lebenserwartung in Russland um zwölf Jahre niedriger liegt als in den USA, und fünf Jahre unter der in China. Formal haben zwar alle Russen das Recht auf kostenlose Behandlung. De facto aber fehlen den Ärzten oft die nötigsten Medikamente und Geräte; viele greifen erst zum Arzneischrank oder zum Skalpell, wenn der Rubel oder Dollar rollt.
Bare Münze für feine Naht
„Wissen Sie, wie niedrig unsere Gehälter sind? Wir bekommen nicht einmal unsere Kinder richtig satt. Es fehlt uns am Nötigsten. Wenn Sie wollen, dass wir eine schöne feine Naht nähen, kostet das extra“, eröffneten die Chirurgen in einem Militärkrankenhaus direkt auf dem Operationstisch kürzlich meiner Bekannten, als sie unter lokaler Betäubung ihren Leistenbruch operierten – offiziell kostenlos. Erst nachdem die entsetzte Frau eine großzügige „Spende“ zusagte, versprachen die Götter in Weiß, ihr nur mit feiner Nadel und dünnen Fäden zu Leibe zu rücken.
Zu alt für Notruf
Dabei schafft es nicht jeder bis auf den Operationstisch. Ein Kollege berichtet vom vergeblichen Notruf seiner Nachbarn auf dem Dorf, anderthalb Autostunden von Moskau entfernt: Als deren Oma plötzlich mit einer Herzattacke umfiel und sie die Notrufzentrale anriefen, fragte der Diensthabende nach dem Alter der Patientin – und winkte dann ab: „Was? Über 70? Da lohnt es sich nicht mehr rauszufahren. Die Benzin-Preise sind zu hoch.“
Horrorgeschichten dieser Art wissen fast alle meine Bekannten zu berichten. Da ist das Neugeborene in Kiew, das umkam, weil es eine betrunkene Hebamme kopfüber auf den Beton-Boden fallen ließ. Da ist der Student im georgischen Tiflis aus der Familie eines Abgeordneten, dem ein Arzt in einer Elite-Klinik mit einem Venen-Verödungsmittel eine Beule am Kopf heilen wollte, ihm so das halbe Gesicht verätzte und für immer entstellte.
Da ist die Mutter, die nach dem Kaiserschnitt lediglich die Auskunft bekam, es sei etwas schief gegangen und das Kind sei nicht in Ordnung – bis sie es dann nach drei Tagen zum ersten Mal sehen durfte: Das Kind war völlig gesund – dafür war die Mutter mit den Nerven am Ende. Und da ist die junge Frau, der ein Zahnarzt statt der versprochenen Wurzelbehandlung einfach oberflächlich ein bisschen Füllung über den Karies-zerfressenen Zahn schmierte.
Hungerlohn für Ärzte
Dabei herrscht in Russland kein Mangel an guten Ärzten; manche haben es wie der Augenchirurg Swjatoslaw Fjodorow gar zu Weltruhm gebracht. Selbst Boris Jelzin vertraute bei seiner schwierigen Herzoperation einem russischen Chirurgen (bestand aber darauf, dass ihm deutsche Kollegen über die Schulter blickten). Es liegt vor allem am fehlenden Geld, dass Russlands Medizin zum Notstandsgebiet wurde: Ärzte verdienen oft weniger als Taxifahrer.
„Bei alten, armen Patienten ohne Angehörige habe ich oft die Wahl, ob ich ihnen auf eigene Rechnung Medikamente kaufe, wo ich selbst kaum was zu beißen habe, oder ob ich auf meinen Ärzte-Eid pfeife und sie nicht behandle“, klagt ein junger Arzt in einer Provinz-Stadt.
Es fehlt an Geräten und Arzneimitteln. Selbst in Moskau sind Brutkästen für Frühgeborene Mangelware. Vielen Russen fehlt zudem das Verständnis für die Nöte der Mediziner, solange sie deren Hilfe nicht selbst brauchen: Manche Autofahrer scheinen sich regelrecht einen Spaß daraus zu machen, Krankenwagen mit Blaulicht den Weg zu versperren. Regelmäßig sieht man verzweifelte Notärzte im Stau stecken.
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