Von Kai Rebmann
Am 16. März 2023 veröffentlichte „The Atlantic“ einen Artikel mit der Überschrift „Der bisher stärkste Beweis dafür, dass die Pandemie von einem Tier ausgelöst wurde“. Darin wurde das Ergebnis der Arbeit der Evolutionsbiologin Florence Débarre vorgestellt, an der auch weitere Wissenschaftler wie Kristian Andersen oder Michael Worobey beteiligt waren (reitschuster.de berichtete). Demnach sollen Marderhunde bei der Übertragung des Virus vom Tier auf den Menschen die entscheidende Rolle gespielt haben.
Die Berichterstattung von „The Atlantic“ wurde daraufhin von mehreren auflagenstarken Medien in den USA und in der Folge auch weltweit praktisch ungeprüft übernommen. Der immer gleiche Tenor bei Presseagenturen und Zeitungen wie „New York Times“ oder „Washington Post“ sowie in Fachmagazinen wie „Science“ lautete: „Neue Daten bringen den Ursprung der Pandemie mit dem Tiermarkt in Wuhan in Verbindung“. Natürlich dauerte es nicht lange, bis auch Deutschlands oberster „Pandemie-Papst“ Christian Drosten auf diesen Zug aufsprang und sich in seiner bisherigen These bestätigt sah.
Irreführung und Überbewertung
Jetzt meldet „Biosafety Now“ massive Zweifel an der Arbeit der Forscher sowie an der diesbezüglichen Darstellung in den Medien an. Das Bündnis veröffentlichte hierzu eine Erklärung, die von 18 Experten aus fachübergreifenden Disziplinen der Wissenschaft unterschrieben wurde. Im Kern fordern die Unterzeichner eine Korrektur der „zutiefst irreführenden“ Berichterstattung. Sie werfen der „kleinen Gruppe“ um Débarre, Andersen und Worobey vor, ihre Ergebnisse überzubewerten und die Öffentlichkeit mit einer vermeintlichen Gewissheit über den Ursprung von Corona in die Irre zu führen.
Das ist starker Tobak, den die Autoren der Erklärung mit drei Argumenten untermauern:
1. Die Daten, auf denen die Erkenntnisse beruhen, sind anderen Forschern weder zur Bestätigung noch zur unabhängigen Interpretation zur Verfügung gestellt worden. Solche Peer-Review-Verfahren gelten in der seriösen Wissenschaft eigentlich als Standard. Stattdessen wurde die vorliegende Arbeit von den Forschern im Rahmen eines „privaten Treffens“ lediglich einigen Entscheidungsträgern bei der WHO vorgelegt. Die Medien haben daher keine unabhängigen Belege dafür, dass die präsentierten Daten stichhaltig und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen der Forscher zutreffen, wie die Unterzeichner anmerken.
2. Die Daten liefern keine wesentlichen neuen Informationen über den Ursprung des Virus. Den Medienberichten zufolge handelt es sich um „eine einzelne positive Probe“, die DNA von einem Marderhund enthält. Dies sei jedoch kein Beweis dafür, dass dieser Marderhund die Pandemie ausgelöst hat. Es gibt noch nicht einmal einen Beweis dafür, dass dieser Marderhund überhaupt mit SARS-CoV-2 infiziert war. Die Probe enthielt ebenso menschliche DNA, sodass das Virusmaterial auch von einem infizierten Menschen stammen könnte. Vielmehr scheint diese eine Probe aus insgesamt 73 positiven Proben, die auf dem Tiermarkt in Wuhan gesammelt wurden, „herausgepickt“ worden zu sein, da eben diese Probe die „spezifische Darstellung“ untermauerte, die dieselben Forscher schon in früheren Veröffentlichungen unterstützt hatten.
3. Die Unterzeichner bescheinigen den Forschern eine „dokumentierte Erfolgsbilanz“ darin, ihre eigenen Ergebnisse überzubewerten und Zweifel daran sowie eventuell bestehende Interessenskonflikte zu verschweigen. Demnach haben im Jahr 2022 einige der an der vorliegenden Arbeit beteiligten Forscher behauptet, „eindeutige und unwiderlegbare Beweise“ dafür zu haben, dass SARS-CoV-2 das Ergebnis des Handels mit Wildtieren sei. Später mussten sie diese Behauptung zurückziehen. Darüber hinaus waren einige der Forscher im Jahr 2020 auch an dem nicht minder umstrittenen Fachartikel „Proximal Origins of SARS-CoV-2“ beteiligt, in dem die „wissenschaftliche Gewissheit“ vermittelt worden war, dass das Virus nicht aus dem Labor stammen könne.
Massive Zweifel an der Glaubwürdigkeit
Dabei hatten es die betreffenden Autoren jedoch versäumt, einen „größeren Interessenskonflikt“ anzugeben: Die Leiter der Organisationen, die diese Arbeit gefördert hatten, haben bei der Erstellung eben dieses Papiers eine „aktive Rolle“ gespielt. Auch die Zweifel an den eigenen Schlussfolgerungen ihrer Arbeit haben die betreffenden Autoren verschwiegen, sodass diese Zweifel erst im Rahmen von Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (Freedom of Information Act) öffentlich bekannt wurden.
Die Experten von „Biosafety Now“ sehen diesen Fall als weiteres „unglückliches Beispiel“ dafür, wie einflussreiche Medien unter dem Deckmantel einer wissenschaftlichen Erkenntnis ein spekulatives Narrativ verbreiten. Aufgrund der „Dürftigkeit der Daten“, die an die Öffentlichkeit verkauft werden, sehen die Unterzeichner eine umfassende und forensische Untersuchung des Ursprungs von Corona umso dringender geboten. Dies beinhalte nicht nur die Auswertung wissenschaftlicher Daten, sondern ausdrücklich auch alle zur Verfügung stehenden „Werkzeuge der Geheimdienste“, einschließlich jenem der Strafverfolgung.
Der Hamburger Nano-Wissenschaftler Prof. Dr. Roland Wiesendanger gilt in Deutschland als einer der bekanntesten Kritiker der sogenannten „Gain-of-Function“-Forschung, die beim Ausbruch in Wuhan eine wesentliche Rolle gespielt haben dürfte. Gegenüber reitschuster.de kommentierte Wiesendanger die Erklärung seiner Kollegen von „Biosafety Now“ wie folgt:
„Andersen, Worobey, Débarre und Kollegen haben für ihre Analysen Daten aus einer Datenbank verwendet, die im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit einer wissenschaftlichen Publikation chinesischer Autoren öffentlich gemacht wurden. Die chinesischen Autoren kamen dabei zu der Schlussfolgerung, dass der Huanan-Fischmarkt gerade nicht der Ursprungsort der Pandemie sein konnte, sondern lediglich bei der starken Verbreitung der Corona-Infektionen eine Rolle gespielt hat. Die Analysen von Andersen, Worobey, Débarre und Kollegen weisen in keinem Fall auf eine Tiersorte hin, welche die Rolle eines Zwischenwirts bei der Übertragung des SARS-CoV-2 Virus auf den Menschen gespielt haben könnte, sondern belegen lediglich, dass gewisse Tiersorten auf dem Huanan-Fischmarkt gehandelt wurden. Dies war jedoch schon lange bekannt. Dass man auf dieser Basis und mit fremden Daten – ohne die chinesischen Autoren auch nur zu erwähnen – an die breite Öffentlichkeit gegangen ist und bei der Interpretation der Daten weit über das Ziel hinausgeschossen hat, erachte ich als schwerwiegendes wissenschaftliches Fehlverhalten.“
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog. Bild: ShutterstockMehr von Kai Rebmann auf reitschuster.de